"In Bildungsbiografien von Kindern denken" : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf
Grabenkämpfe um die Bildungspolitik gehören in Nürnberg der Vergangenheit an. Der Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, Dr. Ulrich Maly, erläutert in einem Gespräch mit der Online-Redaktion, seinen Ansatz.
Online-Redaktion: Dr. Maly, was macht Ihr Selbstverständnis als Oberbürgermeister aus? Verstehen Sie sich eher als Macher oder als Begleiter?
Ulrich Maly: Begleiter wäre ein bisschen wenig. Ich sehe mich schon als denjenigen, der die Dinge vorantreiben muss.
Online-Redaktion: Sie haben sich, seit Sie 2002 ins Amt gewählt wurden, gerade im Bildungssektor sehr engagiert. Welche Bedeutung hat Bildung für Sie?
Maly: Insgesamt in der Gesellschaft, aber speziell auch in Nürnberg besitzt sie eine Schlüsselfunktion für die Zukunft. Mein Anliegen ist es, sich vom Denken in Institutionen in den Instanzen der Bildung gedanklich zu entfernen und in Bildungsbiografien von Kindern zu denken.
Wenn man beginnt, in diesen Dimensionen zu denken, dann folgt als Konsequenz daraus, dass wir besonders in den sozial benachteiligten Gegenden in die Familien hineingehen, Kinderhorte und Kinderkrippen ausbauen, eine Kindergartenvollversorgung anstreben und eben in die Ganztagsschulen investieren müssen.
Das Delegieren von Bildungsaufgaben an die Eltern, wie es die Halbtagsschule mit sich bringt, funktioniert in vielen Elternhäusern einfach nicht mehr. Das zeigt sich in unserer Stadt ganz konkret an den jugendlichen Arbeitslosen. Hier gibt es überdurchschnittlich viele ohne Schulabschluss und ohne Berufsausbildung. Deshalb muss ich die Kinder und ihre Familien wieder in das System einbinden, die Bildungsaufgabe wieder "insourcen".
Online-Redaktion: Wieso haben Sie dem Ausbau gebundener Ganztagsschulen Priorität eingeräumt?
Maly: Weil genau das Chancen verbessert. Die ersten gebundenen Ganztagsangebote quer durch alle Schulformen - Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien - erhielten bereits einen wahnsinnigen Zulauf. Es gibt offensichtlich viele Eltern, die realistisch einschätzen, dass sie ihren Kindern ab einem bestimmten Punkt in Sachen Schulunterstützung nicht mehr helfen können.
Wir wollen, dass diese Kinder ihre Chance erhalten, um ihren Lebensweg erfolgreich zu meistern. Allerdings haben wir im Bereich der gebundenen Ganztagsschulen noch lange nicht die erforderliche Bedarfsdeckung erreicht.
Online-Redaktion: Sie haben dafür auch Mittel aus dem Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) des Bundes genutzt.
Maly: In der Summe haben wir 33 Projekte mit knapp 60 Millionen Euro umgesetzt. Die durchschnittliche Förderquote liegt bei rund 45 Prozent - es hat also in unserem Haushalt einen ordentlichen Eigenteil abverlangt. Ohne jeden Zweifel wurde dadurch auch ein Investitionsstau in vielen Schulen beseitigt.
Wir haben die finanzielle Förderung nicht nur quer durch alle Schulformen gewährleistet, sondern es sind auch die Stadtteile berücksichtigt worden, in denen das Bildungsdefizit am größten ist. In Nürnberg gibt es die Besonderheit, dass neben dem staatlichen Schulsystem noch stadteigene Schulen existieren, die wir selbst betreiben. Ich habe dafür Sorge getragen, dass nicht nur diese städtischen Schulen und Gymnasien durch die Mittel bedacht worden sind.
Online-Redaktion: Gibt es im Rat der Stadt Nürnberg denn eine Mehrheit für Ganztagsschulen?
Maly: Mittlerweile eine ganz große. Die CSU hat sich längst von ihrer skeptischen Einschätzung verabschiedet, sodass wir diese Fragen seit vier bis fünf Jahren immer mir überwältigender Mehrheit beschließen.
Online-Redaktion: Welche Gestaltungsspielräume hat die Kommune Nürnberg in Bayern? Wie nutzen Sie diese?
Maly: Wir sind bei den staatlichen Schulen Sachaufwandsträger. Schule ist der Raum, in dem Pädagogik entweder stimmt oder nicht; entweder ist sie nur Lernort oder auch Lebensort für die Kinder. Wir sind bei unseren eigenen Schulen beides: Sachaufwandsträger und Träger der Pädagogik. Hier können wir als Kommune beweisen, wie man Schule richtig macht - was uns auch nicht immer besser gelingt als anderen.
Die Stadt ist außerdem Träger des beruflichen Schulwesens: In Nürnberg gibt es insgesamt 2.500 Jugendliche, die Berufsfachschulen besuchen. Das sind freiwillige Angebote für diejenigen, die auf dem dualen Ausbildungsmarkt nicht Fuß fassen. Diese Angebote werden ausschließlich von der Stadt Nürnberg finanziert.
Insgesamt verfügen wir meiner Einschätzung nach über ein ordentliches Gestaltungspotenzial, und daraus erwächst die politische Legitimation, sich auf Landesebene in der Bildungspolitik Gehör zu verschaffen.
Online-Redaktion: Ist der Ausbau von Ganztagsschulen ein Baustein im "Lebenslangen Lernen"?
Maly: Das lebenslange Lernen schließt sich an die erfolgreich absolvierte Basisausbildung an. Unter Basisausbildung verstehe ich Familienerziehung, Kinderkrippenerziehung, Kindertagesstättenerziehung, Kinderhort und Ganztagsschule. Wir bemühen uns darum, den Menschen mit einem ordentlichen Schulabschluss den Weg ins Berufsleben zu ebnen.
Online-Redaktion: Welche lokalen Bildungslandschaften gibt es in Franken? Inwiefern gestalten Sie die lokale Bildungslandschaft Nürnberg eigenverantwortlich mit, und wie funktioniert der Austausch mit den Partnergemeinden?
Maly: Die Bildungslandschaft selber habe ich eben geschildert. Sie besteht in der bayrischen Besonderheit einer städtischen und staatlichen Schulträgerschaft. Wir sind, was die Spezialitätenbildung an Gymnasien anbelangt, gut koordiniert, damit nicht jeder ein musisches oder wirtschaftlich orientiertes Gymnasium aufmacht.
Ansonsten sind die Stadtgrenzen überschreitenden Aktivitäten eher in der Erwachsenenbildung vorhanden. Beispielsweise wird in den Volkshochschulen unter der Überschrift "Lernende Regionen" viel zusammengearbeitet. Im Bereich der beruflichen Bildung werden die Stadtgrenzen ohnehin von den Jugendlichen überschritten, im Schulwesen eher nicht.
Online-Redaktion: Welche bildungspolitischen Visionen haben Sie?
Maly: Ich habe meine Bildungsziele einmal auf einem "Bierdeckel" festgehalten. Darauf stand: Zehn Prozent mehr Abiturienten, 15 Prozent mehr Realschüler, 20 Prozent weniger Schulabbrecher und für jeden Jugendlichen nach der Schule ein Angebot. Das ist keine Vision, aber ein Ziel, von dem wir noch so weit entfernt sind, dass ich mich daran noch immer sehr gut aufrichten oder abarbeiten kann.
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