Gemeinde Michelfeld: Ganztagsschule in flexibler Form : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Gemeinde Michelfeld im Landkreis Schwäbisch Hall war mit ihrem „Familienpolitischen Gesamtkonzept“ auch gut auf die neue Koordinierungsstelle Ganztagsschule vorbereitet. Bürgermeister Wolfgang Binnig im Interview.

Im Schuljahr 2018/2019 startete das Land Baden-Württemberg das Pilotprojekt „Koordinierungsstelle Ganztagsschule und Betreuung“. Die Koordinierungsstellen sollen schulische Verwaltungsaufgaben, die an Ganztagsschulen anfallen, bündeln, um Schulleitungen zu entlasten. Die Gemeinde Michelfeld mit rund 3.800 Einwohnern im Landkreis Schwäbisch-Hall gehört zu diesen Pilotkommunen.

Online-Redaktion: Herr Bürgermeister, Michelfeld ist eine von fünf Kommunen in Baden-Württemberg, in der eine Koordinierungsstelle Ganztagsschule eingerichtet worden ist. Wie kam es dazu?

Wolfgang Binnig: Ich bin auch Mitglied im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport beim Gemeindetag und wusste schon frühzeitig, dass das Pilotprojekt von Landesseite geplant war. Für unsere Gemeinde ist die Einrichtung einer Koordinierungsstelle für die Ganztagsschulen in der kommunalen Verwaltung nichts Neues gewesen, weil wir so auch schon gearbeitet haben. So fiel es uns leicht, da mitzumachen.

Porträtfoto Wolfgang Binnig
Bürgermeister Wolfgang Binnig © Gemeinde Michelfeld

Ich finde es richtig, dass Ganztagsschulen von den Verwaltungsaufgaben entlastet werden sollen und sich die Schulleitung so auf den Schulbetrieb und die Pädagogik konzentrieren kann. Verwaltungsexpertise sollte da gebündelt werden, wo sie sowieso stattfindet. Ebenso richtig finde ich, dass es dafür eine finanzielle Unterstützung vom Land gibt, damit die Kommunen diese Aufgaben übernehmen können. Aus den Erfahrungen des Pilotprojektes sollen dann die Schlüsse für weitere politische Entscheidungen von Landesseite gezogen werden.

Online-Redaktion: Sie sind seit 2001 Bürgermeister von Michelfeld. Können Sie sich noch erinnern, wann das Thema Ganztag das erste Mal aufkam?

Binnig: Als ich das Amt antrat, war eines meiner Schwerpunktthemen die kommunale Familienpolitik mit einem hohen Anspruch an die Qualität der Angebote, insbesondere was Betreuung und Bildung von Kindern angeht. Das war damals noch etwas exotisch. Mein Gemeinderat hatte sich bis dahin einmal im Jahr mit den Kindergartenbeiträgen beschäftigt und war etwas erstaunt, wie man dieses Thema so hochziehen konnte.

Ich möchte nicht sagen, dass es ein Hobby ist, aber ich verfolge schon stark die Veränderungen in der Gesellschaft. Auch Biografisches spielte sicherlich mit hinein. Wenn man in der Phase ist, in der man selbst eine Familie gründet und Kinder bekommt, dann rückt das gesamtgesellschaftliche Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz nah an einen heran. Meine beiden Töchter waren in der Kleinkindbetreuung in unserem Kindergarten, was damals auch noch ungewöhnlich war, und dann an unserer hiesigen Grundschule. Bereits 2006 hatten wir hier in Michelfeld ein Angebot der Kleinkindbetreuung.

Online-Redaktion: Welche Schritte haben Sie unternommen, um Ihre Vorstellungen umzusetzen?

Schülerinnen und Schüler spielen in der Halle Tischtennis
© Gemeinde Michelfeld

Binnig: 2002 haben wir den „Gemeindeentwicklungsplan Michelfeld 2020“ auf den Weg gebracht, und eines der strategischen Handlungsfelder war das „Familienpolitische Gesamtkonzept“. Ein Baustein darin waren die umfassenden Betreuungsangebote von der Kita bis in die Schule, die aufeinander abgestimmt sind und keine Brüche aufweisen. Alles, was wir in unseren Kindertagesstätten implementieren, muss seitdem nahtlos in der Grundschule fortgeführt werden – Ganztagsbetreuung, Ferienbetreuung und auch die Betreuung an Brückentagen. Dann haben wir in der Grundschule die Randzeiten im Rahmen der Verlässlichen Grundschule von 7.30 Uhr bis Schulbeginn um 8.00 Uhr und nach Schulschluss bis 13.30 Uhr eingerichtet.

Im Februar 2009 startete schließlich unsere Grundschule als Ganztagsschule plus in flexibler Form, die an fünf Tagen bis 16.30 Uhr geöffnet ist. Dazu haben wir pädagogische Konzepte und Leitbilder erarbeitet und eine Profilierung für die Kitas und die Grundschule entwickelt. Bei uns gibt es die Besonderheit, dass alle Kindertagesstätten kommunal getragen sind – es gibt also keine freien Träger oder kirchlichen Einrichtungen. Wir erreichen alle Familien in der Gemeinde direkt.

Online-Redaktion: Wer saß bei der Konzeptentwicklung mit am Tisch?

Binnig: Wir haben den Arbeitskreis Grundschule plus gegründet, der sich seither regelmäßig trifft. Darin vertreten sind die Kita-Leitungen, die Schulleitung, die Verwaltung, der Förderverein der Grundschule und die Vereine. Was da inhaltlich entwickelt und verbindlich vereinbart wird, setzen wir dann auch um. Das ist vielleicht unser Erfolgsgeheimnis, dass das dort Verabredete nicht nochmal durch andere Gremien muss.

Online-Redaktion: Ist es Ihnen so auch gelungen, die Vereine zur Mitarbeit in den Arbeitsgemeinschaften der Grundschule zu gewinnen?

Binnig: Ich bin selbst lange Fußballtrainer im Jugendbereich gewesen und kenne die Befindlichkeiten der Vereine. Mir war bewusst, dass wenn wir von staatlicher Seite eine Ganztagsschule den Strukturen vor Ort gegenüberstellen, dass dann Ängste bei den Vereinen aufkommen würden, dass sie die Kinder nicht mehr erreichen. Stattdessen haben wir es zusammen im Dialog im Arbeitskreis geschafft, die Expertisen der Vereine TSV Michelfeld und TTC Gnadental in die Schule einzubringen und Doppelungen im Angebot zu vermeiden. So sind alle Seiten zufrieden.

Online-Redaktion: Sie sprachen von der „Ganztagsschule in flexibler Form“. Wie viel Flexibilität verbirgt sich dahinter?

Schülerinnen und Schüler in der Sporthalle
© Gemeinde Michelfeld

Binnig: Die Angebote sind bei uns verbindlich und verlässlich. Wir haben gesagt: Und wenn es nur eine Familie gibt, die das Angebot in Anspruch nehmen will, dann bekommt sie das! Es hat nichts mit Verlässlichkeit zu tun, wenn eine Familie die Betreuung benötigt und diese dann nicht zustande kommt, weil es an vorgegebenen Mindestgruppengrößen scheitert.

Unser Angebot ist für die Eltern frei wählbar und kombinierbar. Sie können die Tage und die einzelnen Angebote wählen, an denen ihr Kind in die Betreuungsangebote, zum Mittagessen, in die Hausaufgabenbetreuung oder in die AGs gehen soll. Es ist ein Rundum-sorglos-Paket für die Eltern, bei denen sie nur ihr Kreuzchen bei den entsprechenden Angeboten setzen müssen. Im Hintergrund bedeutet das für Rathaus und Schule einen hohen Verwaltungsaufwand, aber das ist es uns wert.

Online-Redaktion: Beeinträchtigt Flexibilität die Qualität des Angebots?

Binnig: Wir haben einen hohen Anspruch an die Qualität sowohl im Unterricht als auch in den Angeboten. Wir evaluieren ständig mit verschiedenen Methoden und vergleichen auch die Übergangsquoten in die weiterführenden Schulen. Und da sehen wir, dass unsere Schule erfolgreich arbeitet, wie zum Beispiel die überdurchschnittlichen VERA-Ergebnisse zeigen.

Grundsätzlich kann man nicht die Augen davor verschließen, dass im Berufsleben viel Flexibilität von den Arbeitnehmern erwartet wird. Da können wir nach meiner festen Überzeugung in der Schule nicht auf starren zeitlichen Strukturen beharren, sondern müssen den Eltern, so weit es geht, entgegenkommen.

Online-Redaktion: Wie engagiert sich die Gemeinde finanziell im Ganztag?

Schülerinnen und Schüler beim Mittagessen in der Mensa
© Gemeinde Michelfeld

Binnig: Wir haben ein relativ altes Schulgebäude aus dem Jahr 1954 mit zwei Erweiterungen. Im Laufe der Jahre sind alle Räume für den Ganztag umgestaltet und genutzt worden. In der neben der Schule liegenden Mehrzweckhalle befindet sich eine tolle Küche, die früher nicht ausgelastet war, und diese nutzt die Schule nun als Mensa. Ab April beginnt ein neues Bauvorhaben: Wir investieren 4,1 Millionen Euro in die Modernisierung unserer Grundschule und auch in den Neubau von Ganztagsräumen, weil wir schlichtweg von der Nachfrage überrollt werden.

2001 sind wir mit zehn Schülerinnen und Schülern in der Verlässlichen Halbtagsgrundschule gestartet, 2009 ging es in der flexiblen Ganztagsstruktur mit rund 40 Kindern los. Und heute sind es über 90 von 165 Schülerinnen und Schüler. Wir beschäftigen fünf Personen auf drei Vollzeitstellen, die wir selbst finanzieren. Das sind Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen, die wir von der Akademie für Innovative Bildung und Management in Heilbronn haben weiterbilden lassen und die in der Ganztags- und Hausaufgabenbetreuung tätig sind. Für das Mittagessen waren zunächst nur Ausgabekräfte beschäftigt, aber wir haben schnell gemerkt, dass auch jemand das Mittagessen pädagogisch begleiten muss, hier beschäftigen wir ebenfalls eine Pädagogin.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

 

Zur Person:

Wolfgang Binnig, Jg. 1967, ist seit September 2001 Bürgermeister von Michelfeld. Er absolvierte die Ausbildung zum gehobenen Verwaltungsdienst mit dem Abschluss Diplom-Verwaltungswirt 1991. Von 1993 bis 2001 arbeitete er als Kämmerer in der Gemeinde Rosengarten im Landkreis Schwäbisch-Hall. Unter anderem ist er Mitglied im Ausschuss Bildung, Jugend und Sport beim Gemeindetag Baden-Württemberg und beim Deutschen Städte- und Gemeindebund sowie Ausschussmitglied im Evangelischen Landesverband Tageseinrichtungen für Kinder in Württemberg.

 

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