Ganztagsschule in Offenburg: „Echte Zukunftsinvestitionen“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. Die Stadt Offenburg im Westen Baden-Württembergs nimmt viel „in die Hand“, weil Schulen eine hohe Priorität haben. Bürgermeister Hans-Peter Kopp im Interview.
Online-Redaktion: Herr Bürgermeister, was sollten wir über Offenburg wissen?
Hans-Peter Kopp: Offenburg liegt zentral am Oberrhein zwischen Karlsruhe und Freiburg und auch nur 20 Minuten von Straßburg entfernt. Mit 61.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist sie die Hauptstadt des Ortenaukreises, dem flächenmäßig größten Kreis in Baden-Württemberg, und dementsprechend auch ein zentraler Schulstandort mit allen Schulformen und auch vielen Ganztagsschulen. Bei jungen Familien ist Offenburg wegen der guten sozialen Infrastruktur beliebt. Das geht von der Kinderkrippe bis zum Technischen Gymnasium.
Online-Redaktion: Wie fächert sich die Schullandschaft auf?
Kopp: Im Primarbereich gibt es 14 Grundschulen mit insgesamt 1.900 Schülerinnen und Schülern. Davon sind drei gebundene und zwei offene Ganztagsgrundschulen mit 650 Ganztagsschülerinnen und -schülern. Hinzu kommen noch die private Waldorfschule und die Montessorischule. Bei den Sekundarschulen sieht es so aus: wir haben in Offenburg drei städtische Gymnasien mit 2.300 Schülerinnen und Schülern, zwei Werkrealschulen mit 400 Schülerinnen und Schülern, zwei Realschulen mit 1.000 Schülerinnen und Schülern, davon eine mit einem offenen Ganztagsangebot, ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) und eineinviertel Gemeinschaftsschule. Insgesamt sind das 4.100 Schülerinnen und Schüler, davon 800 im Ganztag.
Online-Redaktion: Eineinviertel Gemeinschaftsschule?
Kopp: (lacht) Wir haben eine eigene Gemeinschaftsschule und steuern noch zur Gemeinschaftsschule eines Nachbarortes rund 25 Prozent der Schülerschaft bei. Dazu kommen noch „das Kloster“ mit einem von der Katholischen Kirche getragenen Mädchengymnasium und einer Mädchenrealschule, die private Waldorfschule und fünf beruflich orientierte Gymnasien des Kreises.
Online-Redaktion: Wie entwickeln sich die Schülerzahlen?
Kopp: In den vergangenen fünf Jahren sind sie gestiegen, was wir zuerst in den Krippen und Kindergärten gemerkt haben, wo es deutliche Zuwächse gab. Die Schülerzahlen im Ganztag haben sich kontinuierlich nach oben entwickelt. Im Grundschulbereich haben sie sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Im Sekundarschulbereich verzeichnen wir eher eine Stagnation durch den Rückgang der Werkrealschulen und den Trend zum Gymnasium – wobei zwei Gymnasien ebenfalls Ganztagsschulen sind, aber eben nur de facto.
Online-Redaktion: Sie haben in Offenburg mehrere gebundene Ganztagsgrundschulen. Ist das in Baden-Württemberg mit der Diskussion um möglichst große Flexibilität nicht ungewöhnlich?
Kopp: Die gebundene Ganztagsgrundschule ist in Baden-Württemberg tatsächlich noch eher ein Exot, und das wir gleich drei haben, ist daher schon ungewöhnlich. Das ist kein einfacher Prozess gewesen, der bereits in den 2000er Jahren – vor meiner Zeit – eingeleitet wurde. Gegen einige politische Widerstände und auch Skepsis mancher Eltern gelang es damals mit Stadtmitteln und viel Engagement, die drei gebundenen Ganztagsgrundschulen zu installieren.
Online-Redaktion: Wer hat sich damals seitens der Stadt eingesetzt?
Kopp: Ganz besonders unser Sozialdezernat mit der Überzeugung, dass der Ganztag mehr zu Bildungsgerechtigkeit und Bildungschancen beitragen kann als die Halbtagsschule. Als ich 2014 Bürgermeister wurde, habe ich eine zweite Initiative gestartet und bin in den Folgejahren mit dem Thema Ganztagsgrundschule über die Dörfer getingelt. Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig es ist, zu vermitteln, welche Vorteile die Ganztagsgrundschule hat. Ich hatte Praktiker mitgebracht, und wir haben die Ganztagsgrundschule objektiv mit anderen Betreuungsformen wie dem Hort verglichen. Aber es gab Vorwürfe von Eltern und das Argument, sie könnten selbst zu Hause genauso gut mit den Kindern lernen. Da gab und gibt es leider viele Vorurteile.
Online-Redaktion: Sie haben auch Ganztagsgrundschulen in Wahlform?
Kopp: 2019 ist die zweite Ganztagsgrundschule in Wahlform an den Start gegangen – zugleich unsere größte Grundschule in Offenburg mit vier Zügen. Da sind jetzt im zweiten Jahr die Zahlen im Ganztag stabil, sodass dort weiter zwei Züge gebildet werden konnten.
Online-Redaktion: Da die fünf Ganztagsgrundschulen weiterhin existieren, kann man also sagen, dass sie diesen Wettbewerb von Ganztags- und Halbtagsschulen bestanden haben?
Kopp: Und zwar mit Bravour! Das Thema ist doch folgendes, und diese Erfahrung mache ich immer wieder: Wenn die Kinder erstmal in der Ganztagsschule sind, wenn die Eltern erleben, wie dort gelernt wird, wollen sie das nie mehr missen. Wenn Kinder länger gemeinsam lernen, voneinander lernen und auch sozial miteinander lernen, die leistungsschwächeren von den stärkeren Mitschülerinnen und Mitschülern und umgekehrt, ist das eine ungeheure Stärke der Ganztagsschule. Jedes Kind hat irgendwo eine Stärke, und das zu erkennen, zu fördern und für alle Erfolgserlebnisse zu ermöglichen, ist in einer Ganztagsschule besser möglich.
Online-Redaktion: Wie bringt sich die Stadt beim Thema Schulentwicklung ein?
Kopp: Uns ist ein stimmiges pädagogisches Konzept mit einer guten Rhythmisierung wichtig. Das liegt natürlich nicht in unserer Zuständigkeit als Schulträger, aber wir unterstützen das, so gut wir können. Als Stadt sind wir auch insofern im Ganztag mitbeteiligt, als alle unsere Ganztagsgrundschulen mit Partnern der Stadt, in der Regel unseren Stadtteil- und Familienzentren, zusammenarbeiten. Das sind Gemeinweseneinrichtungen, die Familien vor Ort in den Stadtteilen bei Bedarf begleiten, neben Krippen und Kitas beispielsweise teilweise auch durch die Schulkindbetreuung. In diesen Einrichtungen findet auch die offene Kinder- und Jugendarbeit statt.
Die Ganztagsschulen erhalten von uns ein Budget, um sich Leistungen in den Stadtteil- und Familienzentren einzukaufen. Dafür stellen wir auch Personal, hauptsächlich Erzieherinnen und Erzieher, zur Verfügung. Inzwischen gibt es in allen unseren Schulen von der Grundschule bis zum Gymnasium die Schulsozialarbeit, wobei der Stellenumfang von der Schulgröße abhängt.
In der Stadtverwaltung haben wir eine Stelle geschaffen, auf der sich ein Mitarbeiter explizit um das Thema Ganztag kümmert, sowohl in den Ganztagsschulen als auch in der Schulkinderbetreuung in Halbtagsgrundschulen. Dieser Kollege gestaltet gemeinsam mit den Pädagogischen Fachkräften die Prozesse in den Ganztagsschulen und in der Schulkindbetreuung. Sämtliche Ganztagsschulen haben zusätzliches städtisches Personal für das Mittagsband und zusätzliche Angebote. Dafür stellen wir jährlich eine Million Euro zur Verfügung. Ein Budget gibt es für die Zusammenarbeit der Ganztagsschulen mit anderen städtischen Einrichtungen wie der Musikschule und der Kunstschule, weil wir diese Kooperationen für besonders interessant halten.
Dann ergänzen wir die Ganztagsschule mit „Ergänzenden Betreuungsangeboten‟. Die Ganztagsschule hört um 15.45 Uhr auf, was für manche Eltern vielleicht doch ein bisschen zu früh ist, und so bieten wir nochmal eine weitere Stunde an, ebenso den den Freitagnachmittag. Hinzu kommen 30 Tage Ferienbetreuung im Jahr mit jeweils neun Stunden täglich. Das ist allerdings nicht kostenfrei.
Online-Redaktion: Die Stadt als Schulträger ist für die räumliche Ausstattung zuständig?
Kopp: Für die unterschiedlichen Unterrichtsformen und die Angebote im Ganztag benötigen die Schulen andere Räume. Wir investieren da kräftig, bauen die Schulen um, errichten Mensen an allen Ganztagsgrundschulen. Die Planungen legen wir immer partizipativ an, das heißt, wir beteiligen neben den Schulleitungen und Lehrkräften auch die Eltern und die Schülerinnen und Schüler. Aktuell investieren wir zum Beispiel 24 Millionen Euro in den Umbau einer Grund- und Gemeinschaftsschule sowie in die größte Grundschule unserer Stadt. Daneben laufen weitere Bau- und Sanierungsvorhaben mit 11 Millionen Euro – das ist eine ganz schöne Summe! Bei unseren Gemeinderäten besitzt die Schule aber eine hohe Priorität, und da sind sie bereit, richtig Geld in die Hand zu nehmen. Die Schulen sind der größte Einzeletat in unserem Investitionshaushalt. Für die kommenden fünf Jahre haben wir nochmal Maßnahmen für weitere 40 Millionen Euro beschlossen. Das sind echte Zukunftsinvestitionen.
Online-Redaktion: Sie haben die Mensen genannt, wie ist denn das Mittagessen organisiert?
Kopp: In allen Ganztagsschulen gibt es ein betreutes Mittagessen. Für die 14 Schulen haben wir elf Mensen. Das Essen wird zentral in der Gastronomie der Messegesellschaft, einer 100-prozentigen Stadttochter, gekocht. Die bereiten dort täglich bis zu 2.000 Kita- und Schulessen zu. Die Messegesellschaft ist auch für die Lieferung und die Ausgabe in den Mensen verantwortlich. Kostendeckend ist das nur zu etwa 55 Prozent, den Rest trägt die Stadt bei.
Online-Redaktion: Wieso hat die Stadt auch das in die Hand genommen?
Kopp: Weil wir diesen zusätzlichen Organisationsaufwand den Schulen nicht auch noch aufbürden wollten. Dort hat man genug zu tun, dass die Schülerinnen und Schülern eine gute Bildung erhalten und Spaß in der Schule haben. Außerdem sind wir fest davon überzeugt, dass es sinnvoller ist, ein Cateringsystem statt 14 verschiedene zu haben. Zupass kam uns bei der Entscheidung, dass wir sowieso eine Million Euro in eine Großküche auf der Messe investiert hatten und der damalige Kämmerer – das war zufällig ich – gemeint hat, dass es sinnvoll wäre, dieser Küche mit dem Schulcatering eine Grundlast zu gewährleisten.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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