Ganztag in Wilsdruff: Bildung für die Fachkräfte von morgen : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. In Wilsdruff westlich von Dresden ist Bürgermeister Ralf Rother überzeugt: Jeder in Bildung investierte Cent lohnt sich. Ein Ergebnis ist das neue Gymnasium.
Online-Redaktion: Herr Bürgermeister, Ende September findet in Neukieritzsch die Schulbau-Konferenz der Architektenkammer Sachsen statt, und Sie werden einer der Gesprächspartner sein. Das Thema lautet „Schul(T)Räume im ländlichen Raum – Neubau Gymnasium Wilsdruff“. Fühlen sie sich als Bürgermeister eines ländlichen Raums oder einer großen Kleinstadt?
Ralf Rother: Ganz klar als Bürgermeister eines ländlichen Raumes. Unser Wilsdruff ist mit seinen 13 Ortsteilen auf einer Fläche von über 80 Quadratkilometern ländlich geprägt.
Online-Redaktion: Wilsdruff hat tief in die Tasche gegriffen, man spricht von 27 Millionen Euro, um Standort eines großen Gymnasiums zu werden. Warum?
Rother: Weil die Kinder unserer vier Grundschulen an den Standorten der umliegenden Gymnasien in Freital und Nossen keinen Platz mehr hatten. Unser Landkreis ist Träger der Schulnetzplanung, und in seiner Bedarfsanalyse hat er vor einigen Jahren die Notwendigkeit für ein neues Gymnasium festgestellt. Da haben wir nach dem Motto „Kurze Wege für kurze Beine" reagiert und den Standort in Wilsdruff ins Spiel gebracht. Allein unsere Grundschulen füllen jedes Jahr unser Gymnasium, ebenso wie unsere Oberschule. Warum also die Kinder weite Wege im Bus fahren lassen? Und aus unserer Sicht ist ohnehin jeder Euro, der in Bildung und in die Zukunft unserer Kinder investiert wird, sehr gut angelegtes Geld.
Online-Redaktion: Was zeichnet das neue Gymnasium aus und wie konnten pädagogische Ansprüche auch für den Ganztag umgesetzt werden?
Rother: Eine Frage für die Schulleiterin Katja Laetsch.
Online-Redaktion: Gerne, Frau Laetsch…
Katja Laetsch: Im Zentrum der Visionen für die Schulentwicklung am Gymnasium Wilsdruff steht die Vielfältigkeit der Interessen und Begabungen der Schülerinnen und Schüler. Auf dieser Grundlage sehen wir uns einerseits als naturwissenschaftlich orientierte Schule, in der Neugier, Freude am Experimentieren und Begabungen durch modernen und praxisnahen Unterricht gefördert werden, beispielweise im Vertiefungskurs MINT3 oder im Profil „STEAM@GYW –Naturwissenschaft trifft Kunst“ oder auch in passenden Ganztagesangeboten.
Andererseits verstehen wir uns als eine Schule, die die künstlerischen und musischen Begabungen unserer Schülerinnen und Schüler sucht und fördert. Entsprechende schulspezifische Angebote finden sich beispielsweise im Vertiefungskurs Ensemblemusizieren, im Profil „MusicArt on Stage“ und auch hier wiederum in umfangreichen Ganztagesangeboten.
Online-Redaktion: Wie gut ist der Draht der Schule zur Stadt?
Laetsch: Unabhängig vom gewählten Profil erleben unsere Schülerinnen und Schüler immer die starke regionale Verankerung unseres Gymnasiums in der Stadt Wilsdruff. Unsere Stadt räumt ihnen frühzeitig Gelegenheit zur Mitwirkung und Mitgestaltung ein. Unsere pädagogischer Ansatz ist das verantwortliche Lernen, wie er sich beispielsweise in den CampusCreators*Wilsdruff widerspiegelt, das ist eines unserer Projekte, das gerade ausgezeichnet wurde. Hier erlaubt die moderne Ausstattung des Schulgebäudes den Schülerinnen und Schülern den Schritt von Konsumierenden digitaler Medien hin zu aktiven digitalen Gestaltern ihres Umfelds. Entsprechende Angebote werden auch über unsere Ganztagesangebote schrittweise erweitert.
Online-Redaktion: Was heißt moderne Ausstattung?
Laetsch: Mit moderner Ausstattung meine ich, dass alle Unterrichtsräume mit Active Panels, also interaktiven Tafeln ausgestattet sind. WLAN ist in allen Räumen verfügbar, Tablets und Notebooks sind ausreichend vorhanden und auch außerhalb des Informatikunterrichts unkompliziert nutzbar. Und auch alle erforderlichen Lehrmittel für Demonstrations- und Schülerexperimente stehen uns zur Verfügung.
Online-Redaktion: Was war Ihnen wichtig am neuen Gebäude?
Laetsch: Bei der Auswahl der Inneneinrichtung, der Ausstattungsgegenstände oder der Lehr- und Lernmittel war mir besonders wichtig, dass die Möblierung flexibel ist. Eine flexible Möblierung sollte die ganze Vielfältigkeit methodischer und didaktischer Herangehensweisen an Unterricht zulassen. Zum Beispiel muss im naturwissenschaftlichen Unterricht die Bereitstellung der erforderlichen Medien, also von Gas, Strom und Wasser unabhängig von den fest installierten Tischen und Stühlen sein, um auch Gruppenarbeiten, Forschungsstationen oder andere differenzierte Angebote zu ermöglichen. Sie wurden in unserem Gebäude unter der Decke montiert, sodass darunter „alles beweglich“ ist.
Online-Redaktion: Herr Bürgermeister, wie haben Sie diese Planungs- und Bauphase erlebt?
Rother: Die große Herausforderung war für alle, eine Schule neu zu planen und zu denken, für die es noch keine Nutzer gab. Unsere Projekte entwickeln wir sonst immer gemeinsam mit den Nutzern, um möglichst alle Ansprüche für den täglichen Bedarf einfließen zu lassen. In diesem Fall haben wir uns in mehreren Projektrunden mit zwei Schulleitern anderer Gymnasien zusammengesetzt und beraten. Dann waren wir sehr froh, dass knapp ein Jahr vor der Gründung des Gymnasiums Wilsdruff, also durchaus noch rechtzeitig in der Planungs- und Bauphase, die neue Schulleiterin Katja Laetsch mit einbezogen werden konnte.
Online-Redaktion: Hat der „Schul(T)Raum Gymnasium“ nicht auch Begehrlichkeiten bei anderen Schulen geweckt?
Rother: Wir haben als Schulträger immer alle unsere Schulen im Blick! Lange, bevor über eine neue Schulart nachgedacht werden konnte, haben wir bereits saniert, erweitert und neu gebaut. Ganz aktuell sind wir dabei, für unsere Oberschule Wilsdruff noch einmal einen Anbau zu planen, weil hier die Kapazitäten schon wieder knapp werden.
Online-Redaktion: Welche Bedeutung haben die vier Grundschulen, die Oberschule und das Gymnasium für Wilsdruff?
Rother: Alle Schularten ortsnah anbieten zu können, ist ein Segen für unsere Stadt. Mit einer guten Schule vor Ort verbinden sich immer auch viele Projekte und Freizeitaktivitäten im kulturellen und sportlichen Bereich. Und wenn ihnen fast zwei Stunden mehr Freizeit am Tag durch kürzere Wege zur Verfügung stehen, haben die Kinder und Jugendlichen auch bessere Möglichkeiten sich zum Beispiel in unseren zahlreichen Vereinen zu engagieren. Das ist uns auch sehr wichtig.
Online-Redaktion: Wie viele Schülerinnen und Schüler besuchen die Wilsdruffer Schulen?
Rother: Insgesamt sind es aktuell 1.597 Schülerinnen und Schüler. Sie verteilen sich auf die Grundschule Grumbach (100), die Grundschule Oberhermsdorf (226), die Grundschule Mohorn (127), die Grundschule Wilsdruff (321), die Oberschule Wilsdruff (487) und das Gymnasium Wilsdruff (336).
Online-Redaktion:
Wie wichtig finden Sie, dass alle Schulen in Sachsen und damit auch in Ihrer Stadt zusätzliche Ganztagsangebote unterbreiten?
Rother: Sehr wichtig. In den Ganztagsangeboten sehe ich die Möglichkeiten, Lerninhalte praktisch zu erproben und insbesondere auch soziale Kompetenzen zu vermitteln. Durch die Einbindung von externen Kräften in die Ganztagsangebote lässt sich zudem die Vernetzung von Schule und Ort, also der Schulen mit der Stadt Wilsdruff und ihrer Umgebung gut befördern.
Online-Redaktion: Spielen die Ganztagsangebote, in Sachsen kurz GTA genannt, auch für Zuziehende oder Firmen, die sich in Wilsdruff ansiedeln möchten, eine Rolle?
Rother: Hier ist gerade unsere Oberschule seit Jahren intensiv bestrebt, über Berufsorientierungsprojekte viele Perspektiven für die Schülerinnen und Schüler aufzuzeigen. Und unsere Unternehmen haben wiederum großes Interesse, um ihre Fachkräfte von morgen zu werben. Sobald unser Gymnasium in diese Altersgruppe aufgewachsen ist, wird es auch gemeinsame Projekte von Oberschule und Gymnasium geben. Apropos gemeinsam: Wir sehen unsere Schulen nicht nur auf Grund ihrer räumlichen Nähe als Schulcampus. Als Schulträger unterstützen wir auch sehr gern gemeinsame Projekte.
Online-Redaktion: In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind Schulen vom Hochwasser betroffen. Auch Wilsdruff hat leider solche Erfahrungen gemacht. Wurde das beim Neubau des Gymnasiums berücksichtigt?
Rother: Unser Schulstandort ist an einem vor Hochwasser geschützten Standort errichtet. Aber Corona hat gezeigt, wie wichtig auch die technische Ausstattung ist. Wir haben alle Räume mit interaktiven Tafeln ausgestattet. Schülerinnen und Schüler verfügen bei uns ebenso wie Lehrerinnen und Lehrer über mobile Geräte.
Online-Redaktion: Ein Blick in die Zukunft. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Wie sieht die Schullandschaft in Wilsdruff in zehn Jahren aus?
Rother: Ich wünsche mir, dass alle Schulen und insbesondere unser Campusgelände eine Kaderschmiede der Fachkräfte von morgen und zugleich ein kulturelles Zentrum im Ort sind, deren Arbeitsgemeinschaften nahtlos in die vielen Angebote unserer Vereine übergehen.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview.
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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