Ganztag in Schutterwald: „Nichts ohne die Eltern planen“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. Entscheidungen nicht am Bedarf vorbei zu fällen, gehört ebenso zu ihren Aufgaben. Bürgermeister Martin Holschuh im Interview über Schutterwald im Ortenaukreis.
Online-Redaktion: Herr Holschuh, was zeichnet Ihre Gemeinde Schutterwald aus?
Martin Holschuh: Schutterwald wirbt mit dem Slogan „Die Wohlfühlgemeinde der Ortenau“. Unsere Freizeit, Sport- und Erholungsmöglichkeiten bieten einen hohen Lebensstandard. Schutterwald ist beides: eine attraktive Wohngemeinde und ein interessanter Wirtschaftsstandort. Bekannt ist aber vor allem unser großes und reichhaltiges Vereinsleben. „TUS Schutterwald“ sagt vielleicht dem einen oder anderen noch etwas: Vor rund 20 Jahren spielte der TUS in der Handball-Bundesliga groß auf und verkörperte vom Image her das, was der SC Freiburg heute in der Fußball-Bundesliga darstellt – einen Verein, der durchaus mit Spitzenmannschaften mithalten kann.
Handball, Fußball, Tischtennis, Gymnastik und Leichtathletik stehen jedoch nur für einen Teil des Angebots in der Gemeinde. Die kulturellen Vereine bieten mit zwei Musikvereinen, dem Gesangverein, der Trachtengruppe oder den Fastnachtsvereinen ebenso zahlreiche Möglichkeiten, sich zu engagieren. Insgesamt sind über 60 Vereine aktiv, in die sich viele Bürgerinnen und Bürger einbringen und die Tag für Tag das Leben in der Gemeinde bereichern. Das ehrenamtliche Engagement ist einfach großartig. Im Jahr 2018 beispielsweise feierte die Gemeinde ihr 750-jähriges Jubiläum. Mit einem fulminanten Angebot, viel Liebe zum Detail und einer schier grenzenlosen Ideenvielfalt setzten die Vereine und Institutionen ein kreatives Ausrufezeichen. Der Zusammenhalt im Dorf ist da noch einmal gestärkt worden.
Online-Redaktion: Wie sieht die Schullandschaft in Schutterwald aus?
Martin Holschuh: Bei uns in der Gemeinde gibt es mit der Mörburgschule eine Grund- und Werkrealschule und die Grundschule im Ortsteil Langhurst, die seit 2016 Außenstelle der Mörburgschule ist. Daneben existiert mit der privat betriebenen Schule PEGASUS noch eine staatlich anerkannte Fachschule für Sozialberufe. Die Grundschule Langhurst hat derzeit drei Klassen mit etwa 40 Schülerinnen und Schülern. Dort werden wegen der zurückgehenden Schülerzahlen die erste und die zweite Klasse als Familienklasse unterrichtet.
Online-Redaktion: Wie entwickeln sich aktuell die Schülerzahlen?
Holschuh: Mit etwa 190 Schülerinnen und Schüler an der Grundschule der Mörburgschule stabil zweizügig. Vorher hatte sich aber der allgemeine Trend rückläufiger Schülerzahlen bemerkbar gemacht. Seit 2010 arbeiten wir deshalb mit unserer Nachbargemeinde Neuried im Werkrealschulbereich zusammen. Die Zweizügigkeit ging dort verloren. 2014, vier Jahre nach der Einrichtung, musste eine Außenstelle in der Nachbargemeinde aufgehoben werden. Die komplette Werkrealschule wurde nach Schutterwald verlegt. Derzeit werden in der Werkrealschule sechs Klassen mit etwa 130 Schülerinnen und Schülern unterrichtet.
In den Grundschulen ist in den letzten beiden Jahren mit steigenden Geburtenzahlen wieder ein positiver Trend bei den Anmeldezahlen auszumachen, der sich in den kommenden Jahren fortsetzen wird. Auch die Werkrealschule verzeichnet jetzt wieder mehr Anmeldungen. Ins laufende Schuljahr 2019/2020 startete die Klasse 5 mit 20 Schülerinnen und Schülern.
Online-Redaktion: Welche ganztägigen Angebote gibt es?
Holschuh: Im Grundschulbereich bietet die Gemeinde seit vielen Jahren erfolgreich die Schulkindbetreuung an. Die Verlässliche Grundschule bis 14 Uhr und die Schulkindbetreuung bis 17 Uhr erfreuen sich großer Nachfrage. Der Caritasverband Offenburg-Kehl e.V organisiert und gestaltet das Angebot. Es beinhaltet insbesondere eine Hausaufgabenbetreuung, freizeitpädagogische Inhalte oder auch ein Mittagessen. Erfahrene Erzieherinnen, unterstützt von in der Erziehung erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, betreuen mittlerweile Tag für Tag rund 90 Kinder. Die jedes Jahr aufs Neue steigenden Teilnehmerzahlen, aber auch Umfragen und Rückmeldungen der Eltern belegen eine hohe Zufriedenheit mit dem Angebot.
Die Werkrealschule ist schon seit dem Schuljahr 2015/2016 als offene Ganztagsschule ausgestaltet. An vier Tagen in der Woche gibt es Angebote von 7.25 Uhr bis 16 Uhr. Alle Angebote außerhalb der Unterrichtszeiten wie die Betreuungszeiten mit der Lernzeit, das Mittagessen, die Hausaufgabenbetreuung und Arbeitsgemeinschaften werden auch hier durch den Caritasverband Offenburg-Kehl e.V. durchgeführt. Die Teilnahme ab Klasse 5 liegt stabil bei etwa 30 Schülerinnen und Schülern.
Online-Redaktion: 2016 wurde in Ihrer Gemeinde die Frage offener oder gebundener Ganztag sehr diskutiert. Wie haben Sie diesen Prozess wahrgenommen?
Holschuh: Unser Gemeinderat hatte Anfang 2014 nach mehreren Beratungen mit einem Grundsatzbeschluss die Möglichkeit für die Mörburgschule eröffnet, einen Ganztagsschulbetrieb einzurichten. Für die Ganztagsschule sprachen aus unserer Sicht besseres Lernen, mehr Bildungschancen für alle Kinder und bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ob die Ganztagsschule in offener oder in gebundener Form angeboten wird, blieb zunächst offen.
Zunächst legten die Gemeinde und die Schule die Priorität auf die Werkrealschule. Im Sommer 2014 fand dort eine Informationsveranstaltung für Eltern zur Ganztagsschule statt. Dort haben Eltern kritisiert, dass sich Schule und Gemeinde auf die offene Ganztagsschule festgelegt haben, sie wünschten sich damals auch Informationen über eine gebundene Ganztagsschule. Im Zuge der Diskussion über die Einführung einer Ganztagsschule im Grundschulbereich wurden Mitte März 2016 dann beide Formen vorgestellt und die Vor- und Nachteile dargestellt. Einige Eltern kritisierten jetzt am Prozess, dass das Lehrerkollegium vorab eine Empfehlung ausgesprochen hatte, aus pädagogischen Gründen die gebundene Ganztagsschule einzuführen.
Online-Redaktion: Wie sind Sie mit der Kritik umgegangen?
Holschuh: Da Schule und Gemeinde nichts planen oder auf den Weg bringen wollten, ohne die Eltern zu beteiligen, fand im März und April 2016 eine Elternumfrage der Schule zum Thema Ganztagsschule an der Grundschule und in den Kindergärten statt. Befragt wurden die Eltern der Grundschulklassen 1 und 2 und die Eltern der Kindergartenkinder ab dem 3. Lebensjahr. Auch die Eltern von Kindern bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres erhielten die Möglichkeit, sich an der Umfrage zu beteiligen.
Bei der Umfrage sprach sich eine deutliche Mehrheit der Eltern gegen die Einführung der Ganztagsschule aus. Zwar zeigte die Umfrage, dass es Eltern gibt, die sich die Einführung einer Ganztagsschule wünschen, die überwiegende Mehrheit aber meldete eine hohe Zufriedenheit mit dem bestehenden Angebot der Schulkindbetreuung zurück. Der Gemeinderat beschloss daher, die Einführung der Ganztagsschule im Grundschulbereich vorerst nicht weiterzuverfolgen.
Online-Redaktion: Sie sagen: vorerst?
Holschuh: 2019 wurde die Umfrage auf Wunsch des Gemeinderats wiederholt. Von Lehrerseite gab es dieses Mal vorab keine Empfehlung. Das Ergebnis aus 2016, nichts zu verändern, wurde bestätigt. Die überwältigende Mehrheit der Eltern sprach sich erneut für das bestehende Angebot der Schulkindbetreuung und gegen eine Ganztagsschule aus. Nachdenklich stimmte allerdings die mit 34 Prozent eher geringe Beteiligung. Auch die Informationsveranstaltung war diesmal deutlich schlechter besucht als die Veranstaltung drei Jahre zuvor. Doch insgesamt verlief der Diskussionsprozess 2019 viel sachlicher und konstruktiver. Nach meiner Meinung hat sich da ausgezahlt, dass die Eltern frühzeitig möglichst ergebnisoffen informiert worden sind.
Online-Redaktion: Ihre Gemeinde engagiert sich sehr für die Schulen. Was sind die Schwerpunkte?
Holschuh: Die Schulentwicklung ist ein Dauerthema in der Gemeinde. Unser Ziel ist, ein bedarfsgerechtes, aber auch ein leistungsfähiges Bildungsangebot zu bieten. Die Schulstrukturen müssen ständig überprüft und an die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen angepasst werden, vor allem an den demografischen Wandel und das veränderte Schulwahlverhalten der Eltern. Daher sind hier fortlaufende und enge Gespräche mit den Beteiligten erforderlich.
Dazu gehören die Schulleitung, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Schülerinnen und Schüler, aber eben auch Nachbargemeinden und Schulamt. Unser Gemeinderat befasst sich regelmäßig mit der Schule. Er erhält laufend Sachstandsberichte über den aktuellen Stand und die künftigen Planungen. Die Gemeinde hat schon bis 2010 rund 6 Millionen Euro in die Mörburgschule investiert. Die Ortsmitte erhielt mit der rundum sanierten Schule ein neues Gesicht.
Online-Redaktion: Begleitet die Stadt die Schulentwicklung auch in qualitativer Hinsicht?
Holschuh: Nach der gesetzlich vorgesehenen Aufgabenteilung ist in Baden-Württemberg die Gemeinde für Gebäude und Sachausstattung sowie für das Verwaltungspersonal zuständig. Mit der Einführung der Schulkindbetreuung und dem Einsatz von Erzieherinnen haben wir aber bereits einen qualitativen Schwerpunkt gesetzt. Auch die Ausweitung und personelle Verstärkung der Schulsozialarbeit – zusätzlich zur bestehenden Stelle haben wir eine weitere geschaffen – setzt klare Akzente.
Unabhängig davon haben wir die Möglichkeit genutzt, die Schule organisatorisch und finanziell durch die Einführung der Budgetierung zu stärken. Die Schule erhält Jahr für Jahr ein gut ausgestattetes Budget zur Verfügung, das sich aus unseren Mitteln und einem Anteil des Sachkostenzuschusses des Landes zusammensetzt.
Online-Redaktion: Was wird die nähere Zukunft prägen?
Holschuh: Gespannt bin ich darauf, wie sich die finanziellen Rahmenbedingungen gerade im Hinblick auf die Corona-Pandemie entwickeln, denn davon wird die Umsetzung so mancher Wünsche abhängen. Im Zuge der Neugestaltung unserer Ortsmitte ist geplant, einen städtebaulichen Wettbewerb durchzuführen und dabei insbesondere den Pausenhof der Werkrealschule und einen Neubau beziehungsweise Anbau für die Schulkindbetreuung einzubeziehen und dann umzugestalten.
Die Digitalisierung der beiden Schulstandorte wird uns finanziell und personell vor große Herausforderungen stellen. Für unsere Gemeinde steht mit dem Ausbau der Kinderbetreuung und dem „Alten Jakob“, einem alten, denkmalgeschützten Gebäude, eine große Aufgabe an. In einem Bürgerentscheid ist nun entschieden worden, das Gebäude künftig wohnlich zu nutzen. Dieses Projekt wird uns die nächsten Jahre beschäftigten.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Bundesländer - Hamburg
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