Ganztag in Nalbach: „… für die Kinder und für uns als Gesellschaft“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. Die Gemeinde Nalbach im Landkreis Saarlouis reagiert so auf den gesellschaftlichen Wandel. Bürgermeister Peter Lehnert und OGS-Leiterin Silke Freitag im Interview.
Die Gemeinde Nalbach im Landkreis Saarlouis hat rund 9.300 Einwohnerinnen und Einwohner. Als Ende der 1990er Jahre die Geburtenzahlen sanken, entschied die Gemeinde, unter der Leitung des damaligen Bürgermeisters Patrik Lauer, heute Landrat des Kreises Saarlouis, ihre drei Grundschulen zusammenzulegen und in das „Großprojekt“ einer neuen dreizügigen Grundschule mit Turnhalle und Nachmittagsbetreuung zu investieren. Im August 2008 wurde die Grundschule Nalbach eingeweiht und 2009 vom saarländischen Bildungsministerium „für besondere Schularchitektur“ ausgezeichnet.
Inzwischen sind die Schülerzahlen dermaßen gestiegen, dass schon wieder angebaut werden muss. Aktuell nutzen 159 von 260 Schülerinnen und Schüler die Offene Ganztagsschule (OGS), die bis 17 Uhr geöffnet und nur 26 Schließtage im Jahr hat. Kalkuliert wurde einst mit 80 Plätzen. 13 Betreuerinnen und Betreuer arbeiten im Ganztag und sieben Kooperationspartner. Denn wie es im pädagogischen Konzept der OGS heißt: „Die Arbeitsteilung und die Familienverhältnisse haben sich gewandelt.“ Kinder wachsen häufiger als Einzelkinder auf, das Zusammenleben der Generationen wird seltener, Vereins-, Spiel- und Kulturangebote drohen zu schrumpfen.
Bürgermeister Peter Lehnert ist seit 2012 im Amt. Auf die OGS, die am 8. September 2018 ihr zehnjähriges Jubiläum feiert, ist er besonders stolz. Er sieht sie nicht zuletzt als einen bedeutenden Standortfaktor. Zum Gespräch lädt er daher nicht ins Rathaus, sondern in die Räume des offenen Ganztags ein, zusammen mit OGS-Leiterin Silke Freitag.
Online-Redaktion: Frau Freitag, die OGS Nalbach ist sehr gefragt. Was lockt Kinder und Eltern besonders?
Silke Freitag: Worum uns viele beneiden, ist unser AG-Angebot. Wir bieten jeden Tag sechs verschiedene Arbeitsgemeinschaften von 15.00 bis 16.30 Uhr an. Unsere Kooperationspartner sind zum Beispiel die Feuerwehr, der TV Nalbach, der TV Piesbach und der TV Körprich, aber auch einzelne Personen, die eine Tier-AG und eine Musik-AG anbieten.
Online-Redaktion: Herr Bürgermeister, was macht für Sie das Besondere der Grundschule Nalbach aus?
Peter Lehnert: Ich habe immer den Begriff der Dorfschule vor Augen. Was ist das spezielle Wissen eines Dorfes, und wie kann man die Menschen und die Vereine in die Schule einbinden? Bei uns kommen die Vereine in die Schule, wie zum Beispiel der Obst- und Gartenbauverein. Mitglieder haben zusammen mit den Schülerinnen und Schülern die Obstbäume hier auf dem Gelände gepflanzt und ein Hochbeet angelegt. Wir sind Nachhaltigkeits- und Null-Emissions-Gemeinde, und diese Leitlinien fließen mit ein und werden hier in der Schule beispielhaft gelebt.
Online-Redaktion: Mancherorts sehen Vereine oder Musikschulen die Ganztagsschule als Konkurrenz um die Zeit der Schülerinnen und Schüler.
Lehnert: Da muss man ehrlich sein: Manche Vereine kommen auch ohne Ganztagsschule nicht mehr an die Kinder ran. Und wenn wir nicht aufpassen, sterben uns die Vereine im Dorf weg. Die Ganztagsschule schafft die Berührungspunkte zwischen den Schülerinnen und Schülern und den Vereinen, sie stellt oft überhaupt erst einmal wieder den Kontakt her.
Freitag: Wenn bei uns ein Kind in der Musik-AG ist, dann macht der Musiklehrer Werbung für seinen Trommelunterricht. Wenn der Trainer vom TV Piesbach sieht, dass ein Schüler ein Turntalent ist, dann überzeugt er die Eltern, dass sie mit ihrem Kind auch mal zum Training in den Verein kommen.
Online-Redaktion: Spielt auf dem Lande für die Eltern der Betreuungsaspekt eine Rolle?
Freitag: Ich bekomme Anfragen von Eltern, die sogar extra sagen, dass sie den Ganztagsschulplatz nicht wegen der Betreuung brauchen. Sie hätten aber gehört, dass die Freunde ihrer Kinder so viel Spaß in den AGs haben.
Lehnert: Es gibt bei uns noch die Oma, die am Nachmittag auf das Enkelkind aufpassen kann. Aber auch die Oma ist heutzutage teilweise noch berufstätig, oder sie macht ihr eigenes Ding. Und anders als früher sind heute oft beide Eltern berufstätig. Das ist aber oft auch ein Luxusproblem, eine Verschiebung der persönlichen Werte. Wir möchten vor allem auch Kinder, die einen normalen Alltag zu Hause nicht kennenlernen, bei uns auffangen. Und das sage ich als jemand, der eigentlich eine richtige Glucke ist und sein Kind am liebsten daheim bei sich behalten würde. Ich finde es unheimlich wertvoll, dass in der Schule eine professionelle Begleitung gerade für die Kinder, die keinen großen sozialen Rückhalt erfahren, geboten wird. Und die Schülerinnen und Schüler haben hier in der Ganztagsschule schon mal eine warme, gute und gesunde Mahlzeit sicher.
In den Ferien reißt das Angebot, die Betreuung nicht ab, denn wir bieten ein anregungsreiches und abwechslungsreiches Ferienprogramm. Hier wird wirklich mit Herzblut gearbeitet. Viele kennen sich untereinander auch privat, es ist ein anderer Umgang miteinander. Und schließlich möchte ich als Bürgermeister heute auch in die Bildung investieren, um später Kosten, Sozialausgaben zu sparen. Es ist immer mein Appell, dass möglichst viel Geld in die Bildung fließen muss. Das ist eine ganz große Chance für die Kinder und für uns als Gesellschaft.
Online-Redaktion: Wie organisieren Sie das Ferienprogramm?
Freitag: Die Eltern bezahlen weiter die OGS-Beiträge, es gibt Zuschüsse vom Land, und die Gemeinde gibt noch etwas dazu. So können wir Ausflüge und Projekte durchführen. Vier Wochen vor Ferienbeginn erstellen wir das Programm, das wir den Eltern mitgeben. Jeden Tag gibt es eine große Aktion oder Projekttage, eine Radtour mit Grillen, Kochen und Backen für Kids, eine Wanderung zum Wildfreigehege, oder „Kunst aus Abfall“. Im Durchschnitt haben wir jeden Tag 50 Kinder in den Ferien bei uns. Manche wollen kommen, obwohl die Eltern frei haben, einfach weil ihnen die Angebote so gut gefallen. Und die Eltern sind auch froh, dass ihre Kinder hier mit anderen zusammen spielen können, denn zuhause haben sie dazu nicht mehr die Möglichkeit wie früher, schon weil es weniger Geschwisterkinder gibt.
Online-Redaktion: Wie hält die Gemeinde den Kontakt zur Schule?
Lehnert: Im Rathaus arbeitet unsere Jugendpflegerin, die zum Beispiel beim Ferienprogramm auch bei gemeinsamen Aktionen und Projekten mitwirkt. Wir haben darüber hinaus jetzt die ehemalige Leiterin der OGS, die aus der Elternzeit zurückgekommen ist, als Kontaktperson zwischen Schule und Amt eingesetzt. Die Schulbuchausleihe organisieren wir selbst. Und wir werden in den kommenden Jahren etwa 3,5 Millionen Euro in die Schule investieren, wenn Zuschüsse fließen, um sie für den gestiegenen Bedarf auszubauen. Denn die Grundschule mit der OGS ist auch ein Grund für junge Familien, hierherzuziehen auf das Land. Wir kommen kaum noch nach, Bauplätze auszuweisen. Es ist daher auch kein Problem, einstimmige Beschlüsse im Gemeinderat für die Schulprojekte zu bekommen. Alle Parteien stehen hinter der Idee der Ganztagsschule, unserer OGS.
Online-Redaktion: Wie funktioniert der Austausch mit den Lehrerinnen und Lehrern im Ganztag?
Freitag: Wir veranstalten gemeinsam Elternabende und pädagogische Tage und besuchen zusammen Fortbildungen. Das einwöchige Zirkusprojekt haben wir neulich zusammen organisiert. In der Hausaufgabenzeit sind sowohl Lehrerinnen als auch Betreuerinnen anwesend, um den Schülerinnen und Schülern Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.
Dann gibt es ein Kommunikationsheft, in das wir unsere Beobachtungen schreiben, zum Beispiel wenn ein Kind noch Probleme bei Aufgaben hat, damit die Lehrkraft Bescheid weiß. Und wir knüpfen an Unterrichtsinhalte an. Wenn zum Beispiel im Unterricht die Biene dran ist, greifen wir das mit einem Bienenprojekt am Nachmittag auf. Ich selbst bespreche mich wöchentlich mit der Schulleitung. Jeder weiß, wer was macht.
Online-Redaktion: Ist die Ganztagsschule auch im Ort sichtbar?
Freitag: Ja, wir sind zum Beispiel regelmäßig mit der Zumba-Tanz-AG im Seniorenheim. Die älteren Herrschaften haben sich neulich über zwei Tänze gefreut, und die Kinder sind so begeistert gewesen, dass sie mich jetzt ständig fragen, wann wir wieder hingehen. Es gibt Theateraufführungen oder unsere Gemeindeentdecker-AG, in der die Kinder jede Woche in den Ort ausschwärmen, einen Spielplatztest machen oder die Apothekerin interviewen. Oder die Schülerinnen und Schüler gehen ins Rathaus, wo sie dem Bürgermeister Fragen stellen.
Online-Redaktion: Herr Bürgermeister, was halten Sie für wichtig in diesem Prozess, eine Schule zu unterstützen?
Lehnert: Man sollte Zielvorstellungen haben, man sollte wissen, wo die Gesellschaft sich hin verändert, wo die zukünftigen Anforderungen im Leben und Beruf für die heutigen Kinder liegen und wo man mit der Entwicklung einer Schule und einer Dorfgemeinschaft hinwill. Eine inhaltlich und pädagogisch gut aufgestellte Schule kann für eine Kommune ein Alleinstellungsmerkmal sein. Und das Wichtigste ist, dass man nicht nur immer davon redet, dass die Kinder unsere Zukunft sind, sondern auch dementsprechend handelt, also die Gelder in den Bildungsbereich lenkt. Als Bürgermeister kann ich da vorangehen, muss mir aber die Unterstützung in der Gemeinde, der Räte holen.
Online-Redaktion: Wo sehen Sie gegebenenfalls Verbesserungsbedarf?
Lehnert: In der Kommunikation mit den Eltern. Und zwar in der Hinsicht, dass die Eltern auch Vertrauen in die Institution Schule haben. Sie müssen verstehen, dass es nicht nur auf den reinen Notendurchschnitt ankommt, sondern ebenso auf die Förderung von Sozialkompetenzen. Und dass sie den Kindern die Freiheit und die Zeit lassen, sich zu entwickeln. Schule ist kein „Schneller Brüter“, wo es heißt: Rein, raus, und in 14 Tagen sind wir Doktor.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
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