Ganztag in Köln: Stadt mit „Bildungsappetit“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. „Köln setzt auf Ganztagsschulen“, heißt es schon auf dem Bildungsportal der Stadt. Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Interview.

Online-Redaktion: Frau Oberbürgermeisterin, der Deutsche Städtetag hat mit der Aachener Erklärung (2007) und der Münchner Erklärung (2012) das Thema Bildungslandschaft aufgegriffen. Welche Bedeutung hat das für Köln?

Henriette Reker: Als Oberbürgermeisterin finde ich meinen Ansatz zu Bildungsfragen in beiden Erklärungen deutlich wieder. Ich begreife die Stadtverwaltung als Gestalterin einer hochwertigen Bildungslandschaft, nicht als bloßen „Sachaufwandsträger“. Was in anderen Kommunen Schulverwaltungsamt heißt, nennen wir in Köln ganz bewusst Amt für Schulentwicklung. So verstehe ich unsere Aufgabe darin, allen Kölner Kindern die bestmögliche Bildung zu ermöglichen. Dafür bedarf es eines umfassenden Blicks auf das Thema, von der digitalen Ausstattung über hochmoderne Schulgebäude nach dem Standard des „Planungsrahmens für pädagogische Raumkonzepte an Kölner Schulen“. Dieser „Planungsrahmen“ wird mittlerweile landesweit zitiert, und ich bin stolz auf unsere Vorreiterrolle!

Online-Redaktion: Wie entwickelt sich Köln nach Schülerzahlen und Schulstandorten?

Reker: Unsere Stadt ist eine schnell wachsende Metropole mit einer steigenden Zahl von Schülerinnen und Schülern. Insgesamt gibt es in Köln knapp 300 Schulen, davon sind 260 städtische Schulen. Heute lernen in unseren Grundschulen 2.500 Kinder mehr als noch vor 15 Jahren. Im gleichen Zeitraum hat die Schülerzahl an unseren über 30 Gymnasien und 15 Gesamtschulen um 8.200 Schülerinnen zugenommen. Der Trend stimmt mich positiv, denn er verdeutlicht den Bildungsappetit in unserer Stadt.

Zugleich sind die Zahlen eine Herausforderung. Wir kalkulieren bis 2030 einen Bedarf an 54 neuen Schulen beziehungsweise Schulgebäuden. Das macht deutlich, dass der Kölner Schulbau ein Kraftakt ist, der großer Entschlossenheit bedarf. Die Ratsbeschlüsse aus 2017 und 2020, die zwei Schulbaupakete enthalten, belegen diese Entschlossenheit.

Ganztag: Schnittstelle zwischen Schule und Jugendhilfe © Stadt Köln

Online-Redaktion: Damit sprechen Sie auch das „Maßnahmenpaket Schulbau“ an. Was gehört dazu?

Reker: 2017 haben wir das erste Schulbaupaket für die dringendsten 15 Projekte beschlossen, das wir später auf 22 Bauvorhaben erweitern konnten. Das erste Paket hat einen Umfang von 572 Millionen Euro. Im Juni 2020 haben wir noch einmal nachgelegt und das größte Schulbaupaket der Kölner Stadtgeschichte verabschiedet: Es ist 1,7 Milliarden Euro schwer und umfasst 48 Bauprojekte bis 2027. Insgesamt sichern und schaffen wir mit den Paketen über 20.000 Schulplätze.

Dabei setzen wir auf ein „beschleunigtes Verfahren“. Das bedeutet, dass wir die Projekte an General- oder Totalunternehmer vergeben und damit die Planungs- und Bauzeiten verkürzen. Zudem haben wir die Verwaltung rund um das Thema Schulbau neu strukturiert, sodass wir eine neue Handlungsstärke gewonnen haben. Die Fortschritte dieser Maßnahmen sind bereits sichtbar: Überall im Stadtgebiet erfolgen Spatenstiche, Richtfeste und Einweihungen für hochmoderne Schulgebäude. Aber es bleibt weiterhin viel zu tun, und wir denken bereits über eine eigene Schulbaugesellschaft nach.

Online-Redaktion: „Köln setzt auf Ganztagsschulen“, heißt es auf dem Kölner Bildungsportal. Wie ist hier die Entwicklung, wie engagiert sich die Stadt?

Reker: Nahezu alle städtischen Grundschulen werden heute im offenen Ganztag geführt. Bei den weiterführenden Schulen zählen zum Schuljahr 2019/2020 knapp zwei Drittel aller Plätze der Eingangsklassen zum gebundenen Ganztag. Wir haben in der Vergangenheit jede Chance ergriffen, an Landesprogrammen zur Einführung des gebundenen Ganztages an Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien mit einer maximal möglichen Zahl an Schulen teilzuhaben. Gesamtschulen werden ohnehin ausschließlich im gebundenen Ganztag genehmigt. Die Stadt Köln wird – sofern dies realisierbar ist – auch in Zukunft für jede neue Schule den Ganztag beschließen und beantragen.

Online-Redaktion: Wer sind die Träger der Ganztagsangebote in OGS und weiterführenden Schulen?

Reker: Das sind durchweg Träger der freien Jugendhilfe. Im Sinne der Vielfalt verteilen sich 35 Träger auf 151 Offene Ganztagsgrundschulen und 20 Träger auf den Bereich der weiterführenden Schulen. Die Zusammenarbeit basiert immer auf einer Kooperationsvereinbarung, die zwischen dem Träger, der Schulleitung und dem Schulträger abgeschlossen wird.

Nahezu alle städtischen Grundschulen im offenen Ganztag © Stadt Köln

Online-Redaktion: Welche Rolle spielt die Qualität?

Reker: In Bildungsfragen kommt es immer und vor allem auf Qualität an. Das gilt auch für den Ganztag. Der Ganztag an der Schnittstelle zwischen Schule und Jugendhilfe fördert Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen, die für ein erfülltes Leben entscheidend sind. Doch so wertvoll die Mischung aus Schul- und Sozialpädagogik auch ist, birgt die Zusammenarbeit multiprofessioneller Teams auch Konfliktstoff. Das hat das gemeinsame Projekt Qualitätsoffensive Ganztag mit der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft gezeigt.

Es fehlt mitunter vor allem ein gemeinsames Bildungsverständnis. Deshalb ist eine enge Kooperation zwischen Schulen und der Jugendhilfe so wichtig. Hier sehe ich den Bedarf an Leitlinien, die im Alltag Klarheit für alle Beteiligten schaffen. Im kommunalen Qualitätszirkel in Köln erarbeiten wir derzeit Mindeststandards für eine gute inklusive Offene Ganztagsschule. Ich würde mir gleichwohl wünschen, dass wir NRW-weit den gleichen Qualitätsmaßstab anlegen können und werbe daher für eine gesetzliche Landesregelung.

Online-Redaktion: Der Slogan „86 Kölner Veedel – En Stadt – E Jeföhl“ spricht die enorme Bedeutung der Stadtteile für die Identifikation mit der Stadt an. Gibt es lokale Unterschiede bei den Ganztagsschulen und der Nachfrage?

Reker: Ja, es gibt Unterschiede. Zum einen ist jeder Ganztag ein eigener Kosmos, und hier spielt sicherlich die Liebe der Kölnerinnen und Kölner zu ihren Veedeln eine Rolle. Zum anderen beobachten wir, dass die Nachfrage nach Ganztagsplätzen stark variiert. Mitunter ist die Nachfrage insbesondere in sozial benachteiligten Stadtteilen geringer als anderswo. Das finde ich sehr bedauerlich. Denn der Offene Ganztag ist eine entscheidende Voraussetzung für Chancengerechtigkeit. Ich betrachte es als unsere Aufgabe, die Erziehungsberechtigten noch intensiver von den Vorteilen des Ganztags zu überzeugen. 81 Prozent Ganztagsquote im Primarbereich kann sich sehen lassen, aber ich wünsche mir noch mehr für Köln!

Online-Redaktion: Jenseits der aktuellen praktischen Probleme der Corona-Pandemie – vor welchen Herausforderungen stehen die Städte in der Bildung, und was ist Ihnen persönlich wichtig?

© Stadt Köln

Reker: Das Wichtigste sind gute und gerechte Bildungschancen für alle Kölner Kinder. Wir wollen eine Stadt der klugen Köpfe bleiben. Denn kluge Köpfe sind unsere wichtigste Ressource. Und deshalb müssen wir mit aller Kraft den Schulbau voranbringen. Die größte Herausforderung ist dabei, einen über Jahrzehnte entstandenen Rückstand in wenigen Jahren aufzuholen. Die zweite Herausforderung ist, über die Quantität die Qualität nicht zu vergessen. Deshalb realisieren wir ökologisch verträgliche Bauten, wir sorgen für viel Grün rund um die Schulen und bauen hochmoderne Gebäude, die das Lernen der Zukunft möglich machen.

Dazu zählt übrigens neben einem Glasfaseranschluss auch die digitale Ausstattung. Wir arbeiten intensiv daran, über ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler mit Leih-Tablets auszustatten. Das entspricht ungefähr dem Anteil der Kinder, die von ihren Familien keinen eigenen Laptop bekommen können. Auch das ist ganz entscheidend für eine chancengerechte Bildung der Zukunft, wie ich sie anstrebe.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Henriette Reker, Jg. 1956, ist seit 2015 Oberbürgermeisterin der Stadt Köln. Sie studierte von 1976 bis 1986 Rechtswissenschaften an den Universitäten Köln, Regensburg und Göttingen und schloss 1986 nach dem Rechtsreferendariat am Landgericht Münster ihre juristische Ausbildung mit dem Zweiten Juristischen Staatsexamen ab. Von 1990 bis 1992 war sie Sachbearbeiterin bei einer Berufsgenossenschaft in Bielefeld und anschließend bis 2000 Justiziarin beim Landesverband der Innungskrankenkassen Münster. 1996 erhielt sie ihre Zulassung als Rechtsanwältin beim Landgericht Münster. 2000 bis 2010 war sie Beigeordnete für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz der Stadt Gelsenkirchen und von 2010 bis 2015 Beigeordnete für Soziales, Integration und Umwelt der Stadt Köln.

Als Expertinnen und Experten berichten auf www.ganztagsschulen.org seit 2012 regelmäßig Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Landrätinnen und Landräte über die – regional vielfältigen und unterschiedlichen – kommunalen Herausforderungen beim Ausbau der Ganztagsangebote. Alle Interviews finden Sie in der Rubrik „Lokale Bildungslandschaften“.

 

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Kategorien: Bundesländer - Berlin

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