Ganztag in der „Toskana des Nordens“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. Die Stadt Prenzlau, „Perle der Uckermark“, ist auch deswegen attraktiv für junge Familien, wie Vizebürgermeister Marek Wöller-Beetz im Interview verrät.
Online-Redaktion: Herr Wöller-Beetz, was zeichnet Ihre Stadt Prenzlau aus?
Marek Wöller-Beetz: Prenzlau ist Kreisstadt des Landkreises Uckermark, der "Toskana des Nordens". Wir sind Garnisonsstadt, Stadt der erneuerbaren Energien und grüne Stadt am Uckersee. Das umschreibt bereits einige wichtige Faktoren, die unsere Stadt prägen. 2018 wurden wir als kinder- und familienfreundliche Gemeinde ausgezeichnet und wir sind Engagierte Stadt. Spätestens mit der Landesgartenschau 2013 und damit verbundener umfangreicher Investitionen im gesamten Stadtgebiet hat Prenzlau noch einmal einen qualitativen Sprung nach vorn gemacht. Das zeigt sich auch in der Bevölkerungsentwicklung. In den letzten Jahren sind wieder vermehrt junge Familien nach Prenzlau gezogen. Sie wissen zu schätzen, was die Stadt zu bieten hat: die Nähe zur Natur, ein reges Vereinsleben; Sauberkeit spielt eine Rolle, macht Eindruck, und wir können in Sachen Familienfreundlichkeit auf eine gute Kita- und Ganztagsbetreuung verweisen. Jedem jungen Elternpaar können wir einen Kitaplatz - meist ohne Wartezeit - und ein Ganztagsangebot in einer Grundschule bzw. eine Ganztagsbetreuung in Schule und Hort garantieren. Es gibt Arbeitsplätze für Fachkräfte in den verschiedensten Bereichen und viele kleine Unternehmen in zukunftsfähigen Branchen, wie zum Beispiel der erneuerbaren Energien.
Eine Stadt, davon sind wir überzeugt, macht vor allem aber auch eins aus: das Miteinander der Menschen. Das ist uns wichtig. Deshalb organisiert die Stadt seit Jahren bereits Bürgerdialoge und Gesprächsreihen zu den verschiedensten, die Menschen bewegenden Themen. Dabei fragen wir nach, wo der Schuh drückt, wo es hakt und Probleme gibt, aber auch, was die Leute gut finden, was sie an ihrer Stadt mögen. Einmal monatlich findet eine Online-Sprechstunde des Bürgermeisters statt, einmal im Monat lädt er zu einer Gesprächsrunde in die Begegnungsstätte „Diester“ ein. Das „Diester“ ist ein von der Stadt betriebener Treff, der sich als „Ort offener Begegnungen“ versteht, wo also alle, die sich engagieren oder mitmachen wollen, willkommen sind. Insbesondere zur benachbarten Diesterweg-Grundschule, einer verlässlichen Halbtagsschule, bestehen enge Verbindungen in Form verschiedenster Kooperationen und Projekte. Gleichzeitig ist das „Diester“ Ausgangspunkt der verschiedensten Formate von Bürgergesprächen und Bürgerbeteiligung.
Online-Redaktion: Wie sieht Ihre Schullandschaft aus?
Wöller-Beetz: Recht vielseitig. In unserer Trägerschaft befinden sich drei Grundschulen und eine Oberschule mit Grundschulteil: die Diesterweg-Grundschule als verlässliche Halbtagsschule, die Grundschule „Artur-Becker“, die Grundschule „Johann Heinrich Pestalozzi“ und die Oberschule mit Grundschule „Carl Friedrich Grabow“ als Ganztagsschule. Alle haben neben der Verlässlichen Halbtagsgrundschule bis 14.30 Uhr noch einen Schulhort.
In Trägerschaft des Landkreises Uckermark kommen das Christa-und-Peter-Scherpf-Gymnasium, die Oberschule „Philipp Hackert“, die Max-Lindow-Schule mit dem sonderpädagogischem Förderschwerpunkt „Lernen“, Oberstufenzentrum und die Lebensschule Uckermark mit dem Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ hinzu. Dann haben wir noch die die Aktive Naturschule, eine Freie Schule mit Kita, Grundschule und Oberschule.
Um einen reibungslosen Übergang von Kita in unseren Grundschulen in die weiterführenden Schulen zu gewährleisten, gibt es einen engen Austausch der Schulen untereinander, den wir auch in einer Kooperationsvereinbarung individuell mit der entsprechenden Schule vor Ort festgeschrieben haben.
Online-Redaktion: Wie entwickeln sich die Schülerzahlen?
Wöller-Beetz: Die sind konstant und schwanken immer so um 1.320 Schülerinnen und Schüler in unseren Grundschulen, die in Brandenburg ja von Klasse 1 bis Klasse 6 reichen, und unserer Oberschule. Das und weil wir auch der Träger der Kindertagesstätten sind, macht es für den vom Landkreis Uckermark aufgestellten Schulentwicklungsplan einfach, vorausschauend zu planen.
Online-Redaktion: Wie werden die ganztägigen Angebote in den Grundschulen angenommen?
Wöller-Beetz: Sehr gut – weil die Eltern in den Horten insbesondere die individuelle Lernförderung gern in Anspruch nehmen. Auch die Integration kann im Ganztagsbereich konsequent umgesetzt werden, was uns sehr wichtig ist.
Online-Redaktion: Kommunen sind als Schulträger oft auch für das schulische Mittagessen zuständig. Sie auch?
Wöller-Beetz: Seit viereinhalb Jahren übernimmt die Stadt Prenzlau den Großteil der Kosten des Mittagessens, sodass die Eltern von Grundschulkindern, die den Hort besuchen und einen entsprechenden Hortvertrag mit der Stadt geschlossen haben, nur noch einen Eigenanteil von 1,50 Euro zu zahlen haben. Für alle anderen Schulkinder stellt der Essensanbieter ebenfalls ein Essen zur Verfügung, welches unter gleichen Vorgaben hergestellt wird. Allerdings ist der Preis ein anderer, weil er nach Schulgesetz der Schulspeisung unterliegt.
Uns war und ist wichtig, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler am Mittagessen teilnehmen, weil auch das den Zusammenhalt fördert. Mit dem Caterer stehen wir in engem Kontakt. Es gibt ein modernes und elternfreundliches Bezahlsystem über eine App. Das Essen ist ausgewogen und orientiert sich an den DGE-Richtlinien, also am Qualitätsstandard der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Wir wissen, dass das Schulessen oft ein heikles Thema ist. Uns ist es allerdings gelungen, hier eine gute Situation zu schaffen.
Online-Redaktion: Welche Investitionen tätigen Sie im Schulbereich?
Wöller-Beetz: Salopp gesagt sind wir als Schulträger für Kreide, Falthandtücher und Toilettenpapier zuständig. Ganz so simpel ist das aber nicht. Wir stehen in der Verantwortung, sind uns dieser bewusst. Derzeit sind wir dabei, barrierefreie Zugänge für unsere Schulen zu schaffen. Momentan wird an einer unserer Grundschulen ein Aufzug angebracht. Dann sind drei von vier Grundschulen barrierefrei. Ebenso sind in fast allen Schulen die Schulhöfe neu gestaltet worden. Viele Millionen Euro sind darüber hinaus in den Brandschutz geflossen.
Vor allem aber: In jeder unserer Schulen arbeitet ein bisher von der Stadt bezahlter Schulsozialarbeiter oder eine Schulsozialarbeiterin. Derzeit wird die Zuständigkeit der Schulsozialarbeit nach und nach vom Landkreis übernommen und finanziert. Darüber hinaus hat Prenzlau hat seit Juli 2019 einen hauptamtlichen Kinder- und Jugendbeauftragten. Die Kommunalverfassung für Brandenburg sieht seit 2018 eine höhere Beteiligung von Kindern und Jugendlichen vor. In den meisten Kommunen wird dies über ehrenamtliche Beauftragte oder Beiräte organisiert. In Prenzlau haben die Stadtverordneten dem Vorschlag des Bürgermeisters zugestimmt und mit Christoph Berkholz einen hauptamtlichen Kinder- und Jugendbeauftragten eingesetzt. Er arbeitet eng mit dem Kinder- und Jugendbeirat, aber auch den Kindereinrichtungen und Schulen zusammen. Bereits vor Einrichtung der Stelle wurde die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sehr ernst genommen und unterstützt. So gab es ein Förderprojekt zur Durchführung einer Kinder- und einer Jugendkonferenz. Die Vorschläge, die die Kinder bzw. Jugendlichen hier unterbreiteten, werden sukzessive umgesetzt, die Konferenzen sollen in Zweijahrestakten wiederholt werden.
Online-Redaktion: Wenn Sie die Schulsozialarbeit und den Kinder- und Jugendbeauftragten einsetzen, wie ist der Prozess gelaufen, zu sagen: Das ist uns wichtig, hier setzen wir Prioritäten?
Wöller-Beetz: Es ist im Grunde ganz einfach: Wir schauen hin und nicht weg. Als Kita-Träger bekommen wir schon frühzeitig viele Situationen, Entwicklungen, Herausforderungen sehr deutlich mit. Das sensibilisiert. So haben wir beispielsweise in einer unserer Kitas, in der es proportional mehr benachteiligte Kinder aus Elternhäusern mit Unterstützungsbedarf gibt, zusätzlich eine Heilerziehungspflegerin als unterstützende Kraft eingestellt. Diese Stelle war das Ergebnis eines Praktikumseinsatzes meinerseits. Um die Arbeit in den Einrichtungen besser verstehen und unterstützen zu können, ging ich vor ein paar Jahren als Praktikant in die Kitas. Ich wollte erleben, wie dort gearbeitet wird, und ein besseres Verständnis für den Job der Erzieherinnen und Erzieher gewinnen. In diesem Zuge haben wir gemeinsam festgestellt, dass wir mindestens eine Sonderpädagogen-Stelle schaffen müssen, was dann auch realisiert wurde.
Doch nicht nur in den Kitas tragen wir Verantwortung. In der Schule sind es die Schulsozialarbeiterinnen, die die soziale Arbeit leisten, die die Schule selbst nicht zu leisten vermag. Sie setzen ihre Schwerpunkte in der individuellen Arbeit mit den Kindern, aber auch im Organisieren von Projekten, bei denen es insbesondere um den Erwerb sozialer Kompetenzen geht. Im Bedarfsfalle stellen sie auch den Kontakt zu anderen Fachkräften her. Da die Schnittmenge insbesondere mit dem Jugendamt des Landkreises sehr groß ist, wird nun die Übergabe der Stellen an den Landkreis vorbereitet. Die enge Zusammenarbeit wird vertraglich verankert und bleibt bestehen. Das ist insbesondere mit Blick auf die Kooperation des Kinder- und Jugendbeauftragten mit den Schulsozialarbeiterinnen immens wichtig.
Den Impuls für die Schaffung seiner Stelle gab es, nachdem die Verwaltung Anfang 2018 eine Veranstaltung zum Thema Mobbing und Gewalt für alle Schülerinnen und Schüler initiierte. Danach traten Schülerinnen und Schüler wie auch Eltern an uns als Verwaltung heran, schilderten Situationen, die von Überforderung an den Schulen zeugten und machten uns einmal mehr klar, dass wir einen Ansprechpartner insbesondere für von Mobbing und Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche außerhalb der Schulen brauchen. Der Kinder- und Jugendbeauftragte bildet nun eine Schnittstelle zwischen Kindern, Eltern Schulsozialarbeitern, Verwaltung und auch dem Landkreis. Er bietet unter anderem Anti-Gewalt-Projekte und individuelle Konfliktberatung an, engagiert sich aber auch in enger Zusammenarbeit mit dem Kinder- und Jugendbeirat für das Thema Kinder- und Jugendbeteiligung.
Online-Redaktion: Was heißt für Sie „Lokale Bildungslandschaft“?
Wöller-Beetz: Lernen vor Ort begrenzt sich längst nicht nur auf die klassischen Bildungsreinrichtungen. Orte der Bildung sind bei Weitem nicht nur die Kitas und Schulen. Zu den für Prenzlau wichtigsten Orten darüber hinaus zählt das Kulturzentrum und Museum Dominikanerkloster Prenzlau in Trägerschaft der Stadt Prenzlau. Mit der Stadtbibliothek, die eng mit den Kitas und Schulen kooperiert, dem Stadtarchiv und dem Kulturhistorischen Museum gibt es hier Partner, die die Bildungsangebote ergänzen und unterstützen. Es gibt den Uckermärkischen Geschichtsverein, der insbesondere Projekte zur Regionalgeschichte mit Schülerinnen und Schülern der weiterführenden Schulen, und hier speziell dem Gymnasium, initiiert. Dann gibt es die Bürgerstiftung Barnim Uckermark mit dem Vorleseprojekt „Lesezauber“, bei dem mehrsprachig gelesen wird und es gibt die von der Stadt organisierte Sommerferienaktion „Agenda-Diplom“, die Grundschülern ein kostenloses Ferienangebot unter der großen Überschrift „Nachhaltigkeit“ anbietet und dabei auf die Kooperation mit Vereinen, Unternehmen, Behörden und Privatpersonen setzt.
Kooperationen sind ein gutes Stichwort: Diese gibt es auf den verschiedensten Ebenen. So finden auf Initiative des Landkreises regelmäßige Gesprächsrunden mit den verschiedenen Bildungsträgern statt. Wir selbst haben mehrere Jahre Hortfachkonferenzen als Fachtagungen durchgeführt und dazu Erzieherinnen und Erziehern aus der gesamten Uckermark eingeladen. Die Erzieherinnen und Erzieher leisten qualitativ hervorragende Arbeit, die einen viel höheren Stellenwert haben müsste. Meiner Meinung nach müssten sie mit den Lehrkräften gleichgestellt werden.
An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass sie bei uns einen unverhältnismäßig hohen Anteil an der Gewährleistung des Ganztagsangebotes leisten. Aufgrund des akuten Lehrermangels, den es natürlich auch bei uns gibt, können durch die Lehrerinnen und Lehrer nicht alle Aufgaben, die eigentlich durch die Schule zu erfüllen wären, geleistet werden. Hier springen die Erzieherinnen und Erzieher ein. Bislang konnten die damit verbundenen Probleme, die auch ein Engagement von Seiten des Landes erforderlich machen, nicht geklärt werden. Ein Mangel an Personal ist ebenfalls die Begründung dafür, dass der Antrag einer zweiten Grundschule, die ebenfalls das Ganztagsangebot umsetzen wollte, von Seiten des Landes abgelehnt wurde. Ich hoffe, dass wir hier in den kommenden Jahren weiterkommen, zumal das Ganztagsangebot, so es dem Konzept entsprechend auch funktioniert, ein sehr überzeugendes ist.
Online-Redaktion: Was steht für die nähere Zukunft an?
Wöller-Beetz: Eine große Herausforderung ist für uns die Digitalisierung in den Schulen, die jetzt anläuft. Wir werden sehen, wie wir das alle miteinander packen. Da ist es nicht damit getan, ein Whiteboard an die Wand zu stellen, sondern die Lehrerinnen und Lehrer müssen ja auch in diesem Bereich fortgebildet werden.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Ganztag vor Ort
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