Ganztag in Borken: „Flexibel Räume schaffen“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. Borken im Münsterland hat den „überparteilichen Konsens, eine familienfreundliche Kommune zu sein“. Bürgermeisterin Mechtild Schulze Hessing und Norbert Nießing im Interview.
Online-Redaktion: Frau Bürgermeisterin, wie entwickeln sich die Schülerzahlen in Borken?
Mechtild Schulze Hessing: In einer langjährigen Betrachtung sind im Grundschulbereich Rückgänge zu verzeichnen, was den Geburtenstärken geschuldet ist. Im Bereich der Sekundarstufe I und II können wir dagegen eine Zunahme konstatieren, zu welchem der Zustrom von Schülerinnen und Schülern aus dem Umland beiträgt. Im Rahmen der Schulentwicklung der vergangenen Jahre haben wir die Schullandschaft in Borken so aufgestellt, dass wir im Sek I- und im Sek II-Bereich alle Schulformen anbieten können. Es gibt zwei Städtische Gesamtschulen mit einer Oberstufe, eine private Gesamtschule, eine Städtische Realschule, eine private Realschule, ein Städtisches Gymnasium und ein privates Gymnasium. Darüber hinaus haben wir ein Berufskolleg, worüber wir sehr froh sind. Dort werden verschiedenste Ausrichtungen der gymnasialen Oberstufe oder der Fachhochschulreife angeboten. Das ganze Spektrum ist hier also abgebildet, was es so im direkten Umland nicht gibt.
Online-Redaktion: Ging diese Schulentwicklung mit besonderen Herausforderungen einher?
Schulze Hessing: Eine wesentliche Säule unserer Tätigkeit hier ist es, die Schullandschaft strukturell zukunftsfähig zu machen. Wie in vielen anderen Kommunen wurden in unserer Stadt nach der Babyboomer-Phase viele Schulgebäude errichtet, die jetzt in die Jahre gekommen sind. Teilweise haben wir diese saniert oder auch Mensen anbauen lassen, aber eine nachhaltige Sanierung, die vom Raumprogramm überprüft worden ist, hatte noch nicht wirklich stattgefunden. Es gibt einen massiven Sanierungs- und Erweiterungsbedarf, was bei uns im Rathaus ein beherrschendes Thema ist. Im Zuge unserer aktualisierten Schulentwicklungsplanung haben wir eine Raumbilanz erstellt. Wir haben für alle Schulen Raumkonzepte mit einem umfänglichen Katalog von Handlungsempfehlungen erarbeitet.
Was die Ganztagsschulen betrifft, verzeichnen wir seit Jahren ein kontinuierliches Ansteigen der Betreuungsnachfrage, beginnend mit der Kindertagespflege und den Kita-Plätzen über die Angebote der Übermittagsbetreuung und der OGS, also der offenen Ganztagsschule, bis zu der Tatsache, dass die Jodocus-Nünning-Gesamtschule, die Julia-Koppers-Gesamtschule, die Maria-Sibylla-Merian-Realschule und die Montessori-Gesamtschule den gebundenen Ganztag anbieten. Im Schuljahr 2019/2020 werden in Borken 57 Prozent der Schülerinnen und Schüler im Übergang zu den Sek I-Schulen im gebundenen Ganztag lernen.
Online-Redaktion: Können Sie beim Bauen den Ganztag mitberücksichtigen? Denn Ganztagsschulen benötigen ja gewissermaßen erweiterte Lernlandschaften.
Schulze Hessing: Das ist unser Ziel. Unser Prinzip ist es, die Raumplanung immer gemeinsam mit den Schulen zu entwickeln. Wir wollen die Schulgemeinschaft ins Boot holen, um so zu bauen, dass auch ein gebundener Ganztag in der Schule seinen Platz finden könnte. Wir verordnen das aber nicht. Ein gebundener Ganztag muss sich aus dem Bedarf der Eltern und der Schule entwickeln. Das sind Themen, die wir mit den Schulkonferenzen diskutieren. Wir haben auch Elternbefragungen durchgeführt.
Online-Redaktion: Wie lange dauert so ein Prozess von der Diskussion bis zur Fertigstellung?
Schulze Hessing: Drei bis fünf Jahre sind ein realistischer Zeitraum.
Online-Redaktion: Fast jede Ihrer Schulen in Borken bietet in irgendeiner Form ein ganztägiges Angebot. Wie haben Sie das erreicht?
Schulze Hessing: Es gibt in unserer Stadt einen überparteilichen Konsens, eine familienfreundliche Kommune zu sein. Wir sind eine lebens- und liebenswerte Stadt, in der man Arbeit und bezahlbaren Wohnraum findet. Es wird auch viel gebaut. Dazu gehört aber auch, dass wir einen Rahmen für Familien schaffen müssen. Eltern, auch alleinerziehende Eltern, müssen Familienleben und Beruf vereinbaren können. Das beinhaltet eine qualitativ gute Betreuung, die bereits im Kindergarten beginnt, wo wir uns in den letzten zehn Jahren massiv weiterentwickelt haben.
Und wenn der Betreuungsbedarf im Kindergarten wächst, setzt er sich automatisch im Schulbereich fort. Jeden Betreuungsbedarf abzudecken, ist eine Herausforderung. Bisher haben wir sie gemeistert, auch dank der vielen engagierten Träger und des guten Austausches mit den Schulen. Für den Ausbau und die Organisation der Ganztagsangebote nutzen wir verschiedene Förderprogramme des Landes wie „Schule von 8 bis 1“, „13plus“ und den Erlass zur offenen Ganztagsgrundschule.
Online-Redaktion: Sie bieten auch eine umfängliche Ferienbetreuung an. Wie schultert die Stadt das?
Norbert Nießing: Die Jugendhilfeplanung der Stadt Borken in Kooperation mit dem Jugendwerk Borken, den OGS-Trägern und den Trägern der Borkener Ferienlager informiert seit Jahren die Eltern zum Jahresbeginn über die Betreuungsangebote in den Ferien. Dies geschieht durch das Verteilen einer Broschüre und Informationen über die sozialen Medien. In den Osterferien gibt es eine Woche Ferienbetreuung, und die Sommer- und Herbstferien sind komplett abgedeckt. Dahinter steckt wieder die absolute politische Überzeugung, die Eltern zu entlasten und für die Schülerinnen und Schülern ein gutes, vielfältiges Angebot zu gewährleisten.
Die Schulkindbetreuung wird sehr gut nachgefragt und hat sich als qualitativ tolles Programm etabliert, das wir immer weiterentwickeln. Seit zwei Jahren haben wir zum Beispiel den Bauspielplatz auf der Wiese vor unserem Schwimmbad Aquarius. Zwei Wochen lang bauen die Kinder da unter professioneller Anleitung Holzhütten. Den Abschluss bildet das Drum-Festival, auf dem Schülerinnen und Schüler in einer einmaligen Atmosphäre auf Fässern trommeln. Bei allem steht der Teamgedanke im Vordergrund. Das kommt super an.
Online-Redaktion: Engagiert sich die Stadt auch in Qualitätsfragen?
Schulze Hessing: Wir sehen uns in der Pflicht, Rahmenbedingungen für die Schulen zu schaffen, damit diese so arbeiten können, wie sie es für richtig halten. Aktuell hat sich beispielsweise der Ganztagsbedarf in der Cordulagrundschule im Stadtteil Gemen stärker entwickelt, als wir das erwartet hatten. Wir werden dort kurzfristig im Sommer durch das Aufstellen eines Raumsystems flexibel neuen Platz schaffen, damit die Ganztagsschule auch adäquat stattfinden kann.
Wir vertrösten die Schulen nicht, sondern schaffen im engen Austausch mit den Ganztagsschulträgern auch Übergangslösungen. Wegen der steigenden Nachfrage nach dem Ganztag erweitern wir ebenso die Angebote in der Remigiusgrundschule, in der Roncalli-Grundschule Weseke und in der Astrid-Lindgren-Schule in Burlo.
Online-Redaktion: Welche Unterstützung wünschen Sie sich für Ihre Kommune?
Schule Hessing: Ich rege an, auf Landesebene darüber nachzudenken, die Förderung der OGS-Betreuung zu flexibilisieren, damit wir stärker auf die individuellen Bedarfe der Eltern eingehen können und die Schulen ihren Ganztag bedarfsorientiert gestalten können. Es sollten keine Formalien aufgestellt werden, die am Bedarf vor Ort vorbeigehen.
Online-Redaktion: Sie haben das Konzept „Borken 2030“ entwickelt. Welche Rolle spielen da Bildung und Betreuung?
Schulze Hessing: Eine zentrale! Das ist und bleibt die Hauptsäule, die uns politisch bewegt. Generell muss sich der Begriff Schule dabei bei den Menschen verändern. Schule ist heute ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche im Gegensatz zu früher sehr viel Zeit verbringen. Nicht alle, denn manche Eltern entscheiden sich bewusst für die Halbtagsschule, was ich auch absolut richtig finde. Es muss diese Entscheidungsfreiheit geben. Wir als Stadt müssen dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler die Schule als Ort erfahren, wo sie ihre Wissbegier und ihren Lernwillen stillen können und sich in den Räumlichkeiten zugleich wohlfühlen. Sie müssen Räume haben, in die sie sich zurückziehen können, in denen sie sich bewegen können und in denen viele unterschiedliche Aktivitäten möglich sind.
Wenn die Kinder und Jugendlichen am Ende des Ganztags nach Hause gehen, sollen sie das mit einem positiven Gefühl tun und nicht erschöpft und ausgelaugt – es kann nicht Halbtagsschule über den ganzen Tag sein! Wir sind da auf dem Weg. Aber ich sage immer: Man darf es nicht verordnen, sondern es muss sich aus dem Bedarf entwickeln. Wenn die Überzeugung bei den Menschen da ist, werden qualitativ hochwertige pädagogische Angebote entwickelt.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Ganztag vor Ort - Lernkultur und Unterrichtsentwicklung
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