Ganztag im Bildungsnetzwerk : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Tagung „ganz!vernetzt“ der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Nordrhein-Westfalen betonte am 17. April 2015 in Düsseldorf die Vorzüge von Planen, Lehren und Lernen in Bildungslandschaften. Ein besonders beeindruckendes Beispiel: Die Bildungslandschaft Altstadt-Nord in Köln.

Gruppenfoto der Beteiligten des Planungsvorhabens
Alle Beteiligten des Planungsvorhabens Bildungslandschaft Altstadt Nord (BAN) in Köln © BAN / THUS - Hauptweg/Nebenwege.de

Wer wissen möchte, was unter einer lokalen Bildungslandschaft zu verstehen ist, sollte die Entwicklung rund um den Klingelpützpark in der Kölner Innenstadt verfolgen. Bis 2018 bewegt die Stadt Köln hier rund 80 Millionen Euro, um mit einer städtebaulichen Maßnahme einen Bildungsverbund von sechs bestehenden Einrichtungen und einem neu zu errichtenden Kindergarten zu verwirklichen. Und das alles unter der Maßgabe: „Bildung und Freizeit im Ganztag rhythmisieren.“ Das Abendgymnasium, die Freinet-Schule, die Freizeitanlage Klingelpütz, das Hansa-Gymnasium, die Realschule am Rhein, der Fröbel-Kindergarten und die Jugendhilfe-Einrichtung Jugendhaus-Tower haben die anstehenden Sanierungen, Umbauten und Neubaumaßnahmen gemeinsam mit der Stadt Köln und einem internationalen Architektenteam geplant.

Dieses in Kooperation Montag Stiftung Urbane Räume und der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft vorangetriebene Mega-Projekt war eines von sechs auf der Tagung „ganz!vernetzt – Ganztag im Bildungsnetzwerk“ am 17. April vorgestellten Praxisbeispielen. Zu der Veranstaltung der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Nordrhein-Westfalen waren rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Verwaltung, Verbänden, Schulen und Jugendhilfe nach Düsseldorf-Kaiserwerth gekommen, die sich über die Möglichkeiten der Vernetzung informierten und darüber austauschten.

Vernetzung oft noch von engagierten Personen abhängig

Für den Mitveranstalter und Träger der Serviceagentur, das Institut für soziale Arbeit in Münster, stellte dessen zweiter Vorsitzender Wolfgang Rüting bei der Begrüßung fest, dass es „nicht reicht, die Vernetzung zu wollen, sondern die einzelnen Partner müssen auch den Sinn für sich sehen“. Dort wo der Funke nicht zünde, gelängen solche Vernetzungen nicht. Referatsleiter Dr. Norbert Reichel vom Ministerium für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen konstatierte, dass das Gelingen von Bildungsnetzwerken noch zu stark von einzelnen engagierten Personen vor Ort abhänge: „Es gibt viel mehr gute Beispiele, als man denkt, aber möglicherweise auch weniger, als es sein könnten.“

Abteilungsleiter Manfred Walhorn vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport Nordrhein-Westfalen pflichtete dem bei: „Noch sind Schulen nicht durchgängig im Sozialraum integriert. In manchen Kommunen gibt es auch Defizite bei der Mitarbeit der Jugendhilfe.“ Reichel gab zu bedenken, dass der Sozialraum auch private Anbieter wie Nachhilfeinstitute beinhalte, die verstärkt in die Schulen drängten. Das sei eine Herausforderung für den Staat, zu der sich dieser positionieren müsse.

Aus Sicht von Klaus Hebborn, Leiter des Dezernats Bildung beim Deutschen Städtetag, ist die Frage der Einrichtung von Bildungsnetzwerken ebenfalls noch zu stark an einzelne Personen gebunden: „Wenn ein Bürgermeister oder Landrat das zu seiner Sache macht, läuft es. Das Thema Zusammenarbeit wird allerdings auch durch die Konkurrenz der Städte und Kommunen erschwert, die um die Schülerinnen und Schüler kämpfen.“ Um die Kooperation von Schule und Jugendhilfe zu befördern, spreche sich der Städtetag für Mitwirkungsrechte der Jugendhilfe in der Schule aus.

„Bildung unabhängig vom Ort denken“

Mit einem Fachvortrag verortete Dr. Heinz-Jürgen Stolz den „Ganztag in der Bildungslandschaft“. Der am ISA Münster tätige Bildungssoziologe schlüsselte dabei die Geschichte und die Motivationen hinter der Etablierung lokaler Bildungslandschaften auf, wie sie sich seit Ende der 1990er Jahre entwickelt haben: „Bildung berührt alle Lebensbereiche, somit muss sie auch koordiniert und vernetzt werden. Angeboten ohne Vernetzung und umfassende Mitsprache und Beteiligung mangelt es an Passgenauigkeit. Dagegen erleichtern es Bildungslandschaften durch ihre multiprofessionellen Kooperationen, vom Kind her zu denken.“

Heinz-Jürgen Stolz
Dr. Heinz-Jürgen Stolz © Ralf Augsburg

Die Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe ermögliche die bessere Umsetzung eines erweiterten Bildungsverständnisses. Der 12. Kinder- und Jugendhilfebericht habe eine umfassende Beteiligungskultur unter der Frage, was die Schulen für die Kommunen tun könnten, als wichtiges Handlungsfeld bestimmt. Es brauche eine institutions- und trägerübergreifende Qualitätsentwicklung, schulformübergreifende Ganztagsangebote und die Zertifizierung von non-formalen Bildungsangeboten. „Wir müssen nicht vom Ort, sondern von der Bildung unabhängig vom Ort her denken“, erklärte Stolz.

Hier besitze die Ganztagsschule als Teil einer Bildungslandschaft besondere Stärken: durch die systematische Erschließung außerschulischer Lernorte, die Förderung von „Alltagsbildung“, stärkere schulische Elternarbeit und Beratung mit aufsuchender frühzeitiger Förderung. Einen Masterplan gebe es zwar nicht, aber einige übergreifende Gelingensbedingungen wie die Gestaltung als Chefsache und eben Beteiligungsorientierung. Nicht zuletzt müsse kommunale Bildungspolitik „konsensorientiert und unideologisch fokussiert“ sein: „Ein Ausspielen offener gegen gebundene Ganztagsschulen ist vollkommen unsinnig“, so der Wissenschaftler pointiert.

Bildungslandschaft Altstadt-Nord

Eine ausgeprägte Beteiligungsorientierung kennzeichnet das Bauprojekt der Bildungslandschaft Altstadt-Nord, das Michael Gräbener, Projektleiter beim Amt für Schulentwicklung der Stadt Köln, Projektkoordinatorin Carolin Pless, Schulleiterin Hülya Berk von der Freinet-Schule und Yan Ristau von der Freizeitanlage Klingelpütz am Nachmittag vorstellten. „Die Partizipation der verschiedenen Einrichtungen auf Augenhöhe mit der Verwaltung und den Planern ist eine Gelingensbedingung“, meinte Projektkoordinatorin Pless.

Im Jahr 2014 fanden daher zahlreiche Planungsworkshops statt, die allen Interessierten offen standen und besonders den Kontakt zwischen Architektur und Pädagogik gewährleisteten. Im März 2014 arbeiteten die Pädagoginnen und Pädagogen der Bildungslandschaft Altstadt-Nord mit einem Kölner Architekturbüro und Berliner Landschaftsarchitekten am Entwurf für die Freiraumgestaltung. Im April fuhren Lehrerinnen und Lehrer des Hansa-Gymnasiums und des Abendgymnasiums gemeinsam nach Enschede, um drei Schulgebäude zu besichtigen und sich Inspiration für die kommenden Workshops zu holen. Es folgen bis November 2014 mehrere Planungs- und Präsentations-Workshops zu den Entwürfen, Farbwelten, Materialien und den einzelnen Bauvorhaben.

Nun wird das Hansa-Gymnasium umgebaut und erhält einen Anbau. Das Abendgymnasium wird saniert und modernisiert. Die Freinet-Schule erhält durch Sanierung und Umbau acht Klassenräume und ebenso viele Gruppenräume, drei Team-Stationen, ein Forum auf jeder Etage, je einen Mehrzweck-, Werk- und Übungsraum sowie Verwaltungs- und Nebenräume. Die Realschule am Rhein wird um einen Neubau mit Unterrichts- und Gruppenräumen, eine Empfangshalle, eine Lehrküche und neue Lehrerbereiche erweitert. Neben Räumen für die Kindertagesstätte entstehen ein Bibliotheks- und Studienhaus sowie ein Mensa- und Ateliergebäude ganz neu. Letztere sollen von allen Bildungseinrichtungen gemeinsam genutzt werden.

Planer lernen von Pädagogen – und umgekehrt

Mit seinen unterschiedlichen Dimensionen, der Beteiligung von Kindern, Eltern, Anwohnern, Politik und Verwaltung im Austausch mit vielen externen Fachleuten ist die Entwicklung der Bildungslandschaft Altstadt-Nord laut Michael Gräbener Neuland. „Dabei muss ich betonen, dass innovative Ansätze nicht teurer kommen als das Bauen nach herkömmlichen Richtlinien und auch in denkmalgeschützten Gebäuden möglich sind.“ Und die wichtigste Nachricht: „Der Brandschutz funktioniert trotzdem.“

Moderator Klaus Bellmund und Norbert Reichel
Moderator Klaus Bellmund (l.) vom WDR mit Dr. Norbert Reichel © Ralf Augsburg

Allem zu Grunde hat man die Philosophie „Die Welt entdecken in Vernetzung“ gelegt. Als offizielles Motto sei „Türen öffnen für bedeutungsvolles Lernen“ gewählt worden. „In der Planung sind die pädagogischen Anforderungen in Raumanforderungen umgesetzt worden“, erklärte Gräbener. „Die Planer haben von den Pädagogen gelernt – und umgekehrt.“

Die Bildungslandschaft ist nach der Maßgabe „Ganztag den ganzen Tag!“ geplant. Keines der Gebäude verfügt über separate Ganztagsräume, sondern der Ganztag ist Grundlage der gesamten Raumplanung. Angestrebt werden laut Gräbener eine andere Zeittaktung als der 45-Minuten-Unterricht sowie ein Wechsel von hochkonzentrierten mit entspannenden Phasen über den Tag. Ganztagsangebote abseits des Fachunterrichts würden dann nicht mehr auf den Nachmittag beschränkt bleiben. „Die Bildungslandschaft Altstadt-Nord wird gelebt“, so Schulleiterin Berk. „Über 700 Beteiligte haben bisher dazu beigetragen.“

Kategorien: Forschung - Berichte

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