Fontanestadt Neuruppin: Bildung als Standortfaktor : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. Für die Bildung in der Fontanestadt Neuruppin gilt Bürgermeister Nico Ruhle eine alte Inschrift bis heute als Leitspruch: „Den Bürgern des künftigen Zeitalters“.
Online-Redaktion: Herr Bürgermeister Ruhle, Ihre Stadt Neuruppin ist aufgrund ihres Namensgebers Theodor Fontane weltbekannt. Für diejenigen, die literarisch weniger unterwegs sind – was zeichnet die Stadt aus?
Nico Ruhle: Theodor Fontane gilt als bedeutendster Romancier, der mit Werken wie „Effi Briest“ oder dem Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ auch Eingang in den Schulunterricht gefunden hat. 2019 wurde sein 200. Geburtstag im ganzen Land Brandenburg und ganz besonders in seiner Geburtsstadt, der heutigen „Fontanestadt“ Neuruppin gefeiert. Bei uns finden jährlich die Fontane-Festspiele statt, und wir verleihen mit dem Land Brandenburg gemeinsam den Fontane-Literaturpreis, Deutschlands zweithöchste Literaturauszeichnung.
Aber hier gibt es viele weitere kulturelle Entdeckungen, für die sich ein Besuch lohnt. Ein Spaziergang durch die Stadt ist empfehlenswert. Der Stadtbrand von 1787 hatte die Altstadt vernichtet und zu dem heutigen Flächendenkmal als klassizistische Stadtanlage geführt, die sich an den Ruppiner See – den längsten See Brandenburgs – schmiegt. Wer die 13 Ortsteile und damit eine der größten Flächenstädte Deutschlands entdecken möchte, kann die überregionale „Fontane.Rad“-Route nutzen. Ohne Fontane geht es in der Fontanestadt halt nicht! Neuruppin ist aber auch die Geburtsstadt von Karl Friedrich Schinkel und war Zentrum des Bilderbogendruckes. All das kann im Museum Neuruppin entdeckt werden. Ganz spielerisch können ganze Schulklassen im Live Escape Room Fontane erleben.
Im Kulturhaus und der Kulturkirche, dem Hangar 312 oder den Aequinox-Musiktagen werden immer wieder internationale Stars aus Rock, Pop und Klassik geboten. Das traditionelle Mai- und Hafenfest zieht wegen des großen Drachenbootrennens Jahr für Jahr tausende Menschen an den Ruppiner See, und der jährliche Martinimarkt, die größte Kirmes zwischen Rostock und Berlin, lockt jedes Jahr fast 200.000 Gäste in die Innenstadt. Sportlich haben wir mit unseren dutzenden Sportvereinen ebenfalls das ganze Jahr über eine Menge zu bieten. Highlight in diesem Jahr wird zweifellos die Fußball-Europameisterschaft sein, bei der die Fontanestadt zum Basecamp für die kroatische Nationalmannschaft wird, die auf dem Gelände unseres MSV 1919 Neuruppin e.V. trainieren und in einem unserer Hotels beherbergt werden wird. Hier findet sich übrigens ein weiterer Superlativ: die größte schwimmende Sauna Deutschlands.
Online-Redaktion: Neuruppin verfügt über eine ungewöhnlich breite Bildungslandschaft. Wie kommt das?
Ruhle: Den hohen Stellenwert der Bildung hat man in Neuruppin schon früh erkannt. So wurde nach dem verheerenden Stadtbrand von 1787 nicht etwa eine Kirche oder ein Rathaus als erstes Gebäude neu errichtet, sondern mit dem Alten Gymnasium eine Bildungsstätte, die später auch Karl Friedrich Schinkel, Theodor Fontane und Wilhelm Gentz besuchten. Am Giebel des im Herzen Neuruppins gelegenen ehemaligen Schulgebäudes findet sich die Inschrift CIVIBUS AEVI FUTURI – „Den Bürgern des künftigen Zeitalters“. Diesem Leitspruch folgend, wird das Haus auch heute noch als moderne Bildungs- und Kultureinrichtung genutzt.
Unsere breite Bildungslandschaft resultiert aus kontinuierlichen Investitionen in Schulen, Kitas, Horte und weitere Bildungseinrichtungen, wie die Jugendkunstschule, die Bibliothek und das Museum. Die Fontanestadt ist derzeit Trägerin eines Schulzentrums, mehrerer Grundschulen, zweier Oberschulen und eines Gymnasiums. Damit kann sie auch direkten Einfluss auf die Bildungsbedingungen von weiterführenden Schulen nehmen.
Besonderes Augenmerk legen wir darauf, unseren Bildungseinrichtungen moderne digitale Medien in den Schulen bereitzustellen. So haben wir im Rahmen des DigitalPaktes in den städtischen Schulen die WLAN-Netzwerkstruktur ausgebaut und allein in den vergangenen zwei Jahren insgesamt mehr als 2 Millionen Euro investiert. Bildungsgerechtigkeit ist uns wichtig, weshalb Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Haushalten ein Laptop zur Verfügung gestellt werden kann.
Weiterhin gibt es in Neuruppin eine Schule mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Lernen“ und eine Schule mit dem Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“. Zu unseren Bildungsangeboten gehören außerdem eine Montessori-Grund- und Oberschule und die Evangelische Schule mit Grund-, Oberschule und Gymnasium.
Online-Redaktion: Auch in der beruflichen Bildung sind Sie gut aufgestellt.
Ruhle: Ja, bei uns hat das Oberstufenzentrum in Trägerschaft des Landkreises Ostprignitz-Ruppin seinen Sitz. In der Fontanestadt gibt es außerdem im sozialen Bereich zwei Pflegeschulen und eine berufliche Schule für soziale Berufe, welche die Bildungsangebote ergänzen. Neuruppin ist auch Universitätsstadt. Vor zehn Jahren wurde hier die MHB, die Medizinische Hochschule Brandenburg „Theodor Fontane“ gegründet, die neben den Studiengängen Medizin und Psychotherapie mittlerweile auch ein Studium der Versorgungsforschung und der Zahnmedizin anbietet. Ein immenser Gewinn für unsere ganze Region.
Online-Redaktion: Welche Rolle spielen Ganztagsangebote in den Grund- und Oberschulen?
Ruhle: Ganztagsangebote in Schulen spielen eine entscheidende Rolle für unsere Stadt, indem sie die Nachfrage nach flexiblen Betreuungsmöglichkeiten für die Schülerinnen und Schüler abdecken und gleichzeitig Kooperationen zwischen Horten, Eltern und lokalen Vereinen fördern. Diese Angebote unterstützen die Teilhabe für benachteiligte Schülerinnen und Schüler und stärken deren soziale Kompetenzen.
Das Schulzentrum ist zum Beispiel eine verlässliche Halbtagsschule, in der die Schülerinnen und Schüler im Grundschulbereich bis 13:30 Uhr und im Oberstufenbereich bis 15:00 Uhr von der Schule betreut werden. Durch dieses Angebot schaffen wir für die Familien eine verlässliche unentgeltliche Entlastung bei der Betreuung ihrer Kinder. Eine entscheidende Rolle in der Ganztagsbetreuung spielen die Horte. Hier gibt es eine zuverlässige und pädagogisch wertvolle Betreuung von Grundschulkindern in der Nachmittagszeit, bei Bedarf aber auch im Frühhort.
Online-Redaktion: Das neue Gebäude der Wilhelm-Gentz-Grundschule wurde 2023 für den Baukulturpreis nominiert. Welchen Anteil hat die Stadt als Schulträger?
Ruhle: Die Wilhelm-Gentz-Grundschule war bis 2017 die letzte unsanierte Schule in Neuruppin. Der Schulhof und der Sportplatz waren bereits 2013 umfangreich modernisiert worden. Doch die Gebäude genügten weder den Ansprüchen an eine nachhaltige Architektur noch den Anforderungen an ein gesundes, barrierefreies Lernen und Spielen. Das bereitete auch Probleme bei der Umsetzung des pädagogischen Konzeptes.
So haben wir als Stadt entschieden, einen Wettbewerb durchzuführen. Die Wettbewerbsaufgabe lautete: Um- und Ausbau der Wilhelm-Gentz-Grundschule inklusive Neubau einer Zweifeld-Sporthalle. Die gewünschte nachhaltige Architektur sollte Flächeneffizienz, Nutzungsflexibilität, Lebenszykluskosten und Energieeffizienz berücksichtigen. Der gut vorbereitete Wettbewerb hat zu überzeugenden Wettbewerbsergebnissen beigetragen, auch durch das frühe Einbeziehen der Nutzenden. Im August 2022, pünktlich zum neuen Schuljahr, konnte das Bauvorhaben fertiggestellt und die Schule wieder an die Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte übergeben werden. Auch viele Sportvereine freuen sich, die neue Zweifeld-Sporthalle in den Nachmittag- und Abendstunden nutzen zu können.
Zur erfolgreichen Umsetzung des Vorhabens trug die enge Abstimmung zwischen den „Nutzenden“ und den „Planenden“ sowie mit den beteiligten Genehmigungsbehörden bei. Der Bau war bei mehreren Wettbewerben erfolgreich, etwa beim Bundeswettbewerb HolzbauPlus und beim Deutschen Holzbaupreis. Neben der Nominierung für den Brandenburger Baukulturpreis kam er auch beim Deutschen Architekturpreis, der nicht viele Schulbauten nominiert, in die engere Wahl.
Online-Redaktion: Welche Bedeutung hat die Bildung für die wirtschaftliche Entwicklung Ihrer Stadt?
Ruhle: Bildung ist ein in der Bedeutung zunehmender weicher Standortfaktor. Eine gute Bildungsinfrastruktur am Standort schafft für Unternehmen eine bessere Möglichkeit, Fachkräfte für den Standort zu gewinnen und zu binden. Das betrifft einerseits das familiäre Umfeld der Mitarbeiter:innen, die für ihre Kinder gute Bildungsperspektiven wünschen. Andererseits eröffnet es vielfältige Möglichkeiten der Nachwuchsgewinnung für Unternehmen und auch der Aus- und Weiterbildung der im Unternehmen Beschäftigten.
Neuruppin kann das in der Breite sehr gut abbilden, beginnend mit der Kitalandschaft in unterschiedlicher Trägerschaft, in der Schullandschaft von der Grundschule bis zum Gymnasium, ebenfalls mit unterschiedlichen Trägern, und weiterführend mit dem Oberstufenzentrum und der beruflichen Bildung. In der Aus- und Weiterbildung ist Neuruppin im sozialen Bereich mit zwei Pflegeschulen und einer beruflichen Schule für soziale Berufe hervorragend aufgestellt. Die Medizinische Hochschule als einzige Hochschule im Land Brandenburg für die Ausbildung von dringend benötigten Ärztinnen und Ärzten habe ich schon genannt.
Unser BQZ, das Berufsqualifizierungszentrum des Handwerks, ist ein wesentlicher Faktor für die Aus- und Weiterbildung im Handwerk, ebenso sind weitere Trägereinrichtungen mit unterschiedlichsten Weiterbildungsangeboten in Neuruppin aktiv. Da Fachkräftegewinnung und ‑bindung wesentliche Herausforderungen der Unternehmen sind, trägt eine vielfältige und breite Bildungsinfrastruktur dazu bei, ein guter Ort zum Leben und zum Arbeiten zu sein.
Online-Redaktion: Dennoch haben Sie weiter die „Stärkung der Bildungsangebote“ auf Ihre Agenda gesetzt. Was planen Sie noch?
Ruhle: Die Stärkung und ständige Verbesserung der Bildungsangebote ist für unsere Stadt eine prioritäre Aufgabe. Wir planen den Ausbau eines Bildungscampus in unserem größten Ortsteil Alt Ruppin, um für die Schülerinnen und Schüler moderne Lern- und Ganztagsräume bereitstellen zu können. Weiterhin soll die kommunale Kita Tabaluga erweitert und neu gebaut werden. Der Digitalisierungsprozess in den städtischen Schulen wird kontinuierlich fortgeführt, sodass mittelfristig zum Beispiel in allen Unterrichtsräumen digitale Tafeln zur Verfügung gestellt werden können. Auch die bestehenden Kooperationen der Schulen mit Jugendkunstschule, Bibliothek und Museum sollen weiter ausgebaut werden.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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