Elsterwerda in Brandenburg zwischen Schule und Wirtschaft : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf
Am Aufbau der Ganztagsschulen sind die Bürgermeister und Kommunen in Deutschland maßgeblich beteiligt. Die Online-Redaktion startet eine Interviewreihe, in der sie Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern über die Schultern schaut, ihre Erfolge und Probleme, aber vor allem ihre Gesamtverantwortung in der Kommune würdigt.
Online-Redaktion: Welche Bedeutung hat Bildung für einen Bürgermeister?
Herrchen: Bildung begleitet uns lebenslang und nicht nur den Menschen ganz persönlich, sondern auch die Kommune. Städte und Gemeinden haben natürlich einen sehr hohen Anspruch an Bildung, gerade in der heutigen Zeit. Zum einen hängt davon ab, wie gut die jungen Leute in ihr Leben und in ihre zukünftige Ausbildung investieren. Zum anderen, weil die Kommunen sehr stark davon profitieren, wenn Kinder und Jugendliche eine gute Entwicklung nehmen. Deshalb ist Bildung für mich als Bürgermeister ein zwingender Bestandteil von Kommunalpolitik, und insbesondere in unserer Stadt mit einer ausgeprägten Schullandschaft natürlich von großer Bedeutung.
Online-Redaktion: Elsterwerda gilt als besonders wirtschaftsfreundlich. Können Sie die zentralen Elemente solcher Kooperationen erläutern? Wie wirken sich diese auf die Schulentwicklung vor Ort aus?
Herrchen: Elsterwerda ist eine kleine Stadt. Mit gegenwärtig 9.500 Einwohnern ist sie ein Teil des gemeinsamen Mittelzentrums der Stadt Bad Liebenwerda, die ja Kurort ist. Elsterwerda ist Wirtschafts- und Schulstandort: Beides gehört für uns untrennbar zusammen. Die Stadt erreichte 2005 wieder die Situation, die wir vor 1989 hatten, was die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze angeht. Das ist eine Entwicklung, die im Land Brandenburg sicherlich beispielhaft ist. Vor diesem Hintergrund haben wir 2005 erstmalig den Preis für die wirtschaftsfreundlichste Kommune im Land Brandenburg in Gold verliehen bekommen. Gleichzeitig wurden wir durch den ostdeutschen Sparkassen- und Giroverband mit dem Unternehmerpreises "Kommune des Jahres" ausgezeichnet. Wir haben eine Institution zur Wirtschaftsförderung in der Stadt aufgebaut, die rund um die Uhr für die Unternehmer erreichbar ist. Warum machen wir das? Die Unternehmer haben in aller Regel immer dann Zeit, wenn die Verwaltungen nicht mehr arbeiten. Das kann am Wochenende oder mal am Abend sein.
Der Wirtschaftsstandort versteht sich immer auch als Schulstandort: Wir unternehmen alles, um die beiden Bereiche zu verknüpfen, denn dort liegt das Potenzial der zukünftigen Facharbeiter. Bei den demographischen Entwicklungen werden die verbliebenen jungen Leute noch wichtiger für Wirtschaft und Industrie. Deshalb müssen wir frühzeitig die Verbindung von Schule und Wirtschaftstandort herstellen. Elsterwerda hat alle Schulformen in der eigenen Stadt erhalten können, und das ist eine wunderbare Brücke zwischen Schule und Wirtschaft.
Bevor wir das Grundschulzentrum in Angriff genommen haben, gab es drei einzügige Grundschulen. Wir versprechen uns aber bessere Effekte, wenn mit einem großen Lehrerkollegium auch eine größere Schülerzahl in einer Ganztagsbetreuung ermöglicht wird: Der Schulstandort ist dadurch gesicherter. Wir konnten dadurch auch bessere Angebote an die Elternhäuser machen, aber vor allem haben wir einen Schulbezirk in dem Grundschulbereich.
Online-Redaktion: Wie wird eine Kommune zum Vorreiter für Ganztagsschulen?
Herrchen: Elsterwerda versteht sich nicht als Vorreiter für Ganztagsschulen. Wir sind sicherlich in dieser Rolle angekommen, haben uns aber von Hause aus nicht als Vorreiter betrachtet. Wir erkannten schnell die Möglichkeiten die zur Verfügung gestellten Bundesmittel in den Aufbau und in der Betreibung von Ganztagsschulen zu investieren, weil für uns die Ganztagsbetreuung als Kommune im Land Brandenburg von besonderer Bedeutung ist.
Das kommt auch daher, dass die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern mit der Ganztagsbetreuung seit jeher vertrauter sind. Wenn man die berufliche Förderung ernst nimmt und den Wirtschaftsstandort betont, dann muss eine gute Betreuung von Kindern über die reine Schulzeit hinaus möglich sein, und es müssen besondere Anknüpfungspunkte für die Zeit nach der Schule gefunden werden. Dies ist am ehesten über Ganztagsschulen möglich. Als Schulstandort Elsterwerda sind wir sehr gut aufgestellt mit der Ganztagsbetreuung sowohl in der Grundschule (mit der Stadt als Schulträger), als auch mit der weiterführenden Schule (und dem Landkreis als Schulträger).
Online-Redaktion: Geht es auch um die Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler?
Herrchen: Die Wirtschaft beklagt das Fehlen handwerklicher Fähigkeiten. Da ist es besonders in einer Zeit, wo die Menschen eher in den elektronischen Medien zuhause sind, wichtig entsprechende Angebote zu machen. Vor fünf Jahren entstand ein Modellbauzentrum auf städtische Kosten für unterschiedliche Sparten: Schiffsmodellbau, Flugmodellbau, Eisenbahnmodellbau und wir haben dabei eine interessante Erfahrung gemacht. Die Kinder und Jugendlichen nehmen diese Angebote begeistert an: Wir haben uns entschlossen, dieses Modellbauzentrum in das Grundschulzentrum zu bringen. Es hat also eine Kooperation stattgefunden zwischen Schule und der Freizeiteinrichtung der Kommune.
So sind die Wege für die Schülerinnen und Schüler der Grundschule sehr kurz geworden. Wir haben gegenwärtig über 40 Kinder, die diese Betreuung im Modellbauzentrum von 15:00 bis 17:30 Uhr wahrnehmen. Auch die Ferienbetreuung wurde durch das Modellbauzentrum ganztägig übernommen und die Eltern müssen nur kleine Beiträge für den Modellbau aufbringen, der ja sehr teuer ist. Die Kinder finden Spaß an dem handwerklichen Tun, wie man es nie für möglich gehalten hätte. Das Handwerk in unserer Stadt stellt auch schon die ersten Auswirkungen dieses Modellbauzentrums auf die handwerklichen Fertigkeiten bei Einstellungsgesprächen fest. Das freut uns.
Online-Redaktion: Wie haben Sie Mittel aus dem Investitionsprogramms "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) denn genutzt?
Herrchen: Über die bereit gestellten Bundesmittel, die ja über das Land ausgereicht werden, waren wir in der günstigen Lage das Selbsthilfeprogramm zu benutzen. Seit es die ganztägige Betreuung gibt, wurden die Mittel auch in das Modellbauzentrum gesteckt. Das schafft uns große Freiräume, um kostendeckend arbeiten zu können. Wenn es über das Jahr 2008 ginge, wären die Kommunen, die sich mit diesen Mitteln gegenwärtig ausstatten, vielleicht alle zwei oder drei Jahre in der Lage, ihre Projekte auch dauerhaft zu betreiben. Ich sehe den Bund in erster Linie als Fördermittelgeber, denn hier werden die Weichen für den großflächigen Aufbau von Ganztagsschulen gestellt. Wir haben diese Signale frühzeitig aufgenommen und konnten über diesen Weg in einem ersten Schritt eine Horteinrichtung schaffen, die für einen Ganztagsschulbetrieb notwendig ist, gerade wenn es um flexible Betreuungszeiten geht.
In einem zweiten Schritt haben wir mit den Investitionsmitteln eine Schule ausgebaut, weil Real- und Gesamtschulen in unserem Land zur Oberschule verschmolzen Wurden. Wir hatten dafür ein leer stehendes Realschulgebäude, das sich bestens für eine zweizügige Grundschule eignet. Dies konnten wir aber nur, dank der großzügigen Fördermittel, die wir über das Ganztagsschulprogramm des Bundes und dann über das Land Brandenburg gestellt wurden. Das wäre sonst undenkbar gewesen.
Online-Redaktion: Letzte Frage: Stehen Sie im Austausch mit anderen Kommunen, und wie verstehen Sie sich denn selbst als Bürgermeister?
Herrchen: Die Wege einer Kommune sind nie Alleingänge. Wir sind sehr darauf angewiesen, Ziele effektiv zu erreichen. Von daher sind die Beratungen, die von den staatlichen Schulämtern über das Bildungsministerium im Land Brandenburg angeschoben werden - aber auch die Gespräche, die ich mit anderen Bürgermeistern und Verwaltungsangestellten führe - sehr hilfreich, um den Blick für die Ganztagsbetreuung zu weiten. Man sollte sich aber als kleine Stadt auch am Bedarf einer kleinen Kommune ausrichten und man sollte die Möglichkeiten, die von durch die Kooperationspartner geöffnet werden, wirklich nutzen.
Nicht alle Kommunen sind natürlich in der glücklichen Lage wie wir, dass ein großer Konzern der Stadt im Rahmen eines Sponsorenvertrages Geld zur Verfügung stellt, über das die Stadtverordneten beschließen und mit diesem Geld können die Elternbeiträge für die Schülerbeförderung am Grundschulzentrum zweckgebunden finanziert werden. Das ist eine starke soziale Komponente.
Ich verstehe mich nicht nur als Chef einer Verwaltung, sondern auch als Hoffnungsträger für die Bürgerinnen und Bürger. Diese erwarten von ihrem Bürgermeister Managementfertigkeiten und Moderation. Wir können als Bürgermeister nicht fordernd an die Wirtschaft herantreten, sondern nur um Leistungen werben. Als Bürgermeister kann man auch Effekte aufzeigen. Die spannende Frage lautet: Was bringt es der Wirtschaft, wenn wir uns diesen oder jenen Baustein schaffen? Je schlüssiger und je überzeugender wir hier zum Ziel kommen, umso eher erhält man auch ein einvernehmliches Aufeinanderzugehen und die erforderliche Unterstützung. Das gelingt uns in vielen Fragen und dort, wo es nicht funktioniert, oder dort, wo man noch Probleme sieht, die man nicht lösen kann, da versteht sich ein Bürgermeister als Seelsorger, um auch ein wenig die Gemüter zu besänftigen, auch das gehört dazu. Im Endeffekt ist man aber Manager und Moderator in einer Person.
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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