"Das IZBB war ein Segen" : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf
Bereits im Jahr 2001 lag in Freiburg im Breisgau das Augenmerk Ganztagsschulen. Bürgermeisterin Gerda Stuchlik erläutert, welche Impulse für die Bildungsregion Freiburg von der Ganztagsschulentwicklung ausgingen.
Online-Redaktion: Frau Stuchlik, welche Bedeutung hat Bildung für Sie?
Gerda Stuchlik: Bildung ist für mich die Basis, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Gute Bildungsangebote sind außerdem ein relevanter Standortfaktor und ein Faktor für Integration.
Online-Redaktion: Wie haben Sie das Thema Ganztagsschule für sich entdeckt?
Stuchlik: Die Einrichtung von Ganztagsschulen war in Freiburg schon lange vor dem Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) ein großes Thema. Wir hatten bereits im Jahr 2001 im Gemeinderat eine Diskussion über die Einrichtung von Ganztagsschulen, wohl wissend, dass wir als Stadt nur über wenig Geld verfügen. Trotzdem fassten wir einen Grundsatzbeschluss, der vorsah, dass in Freiburg in jeder Schulart ein Ganztagesangebot ermöglicht werden soll.
Allerdings war uns im Jahr 2001 klar, dass wir diese nicht so schnell umsetzen werden können. Ganztagsschulen sind dringend notwendig, um die Schülerinnen und Schüler zu fördern. Darüber hinaus wollten wir den Eltern eine Möglichkeit bieten, am Arbeitsleben teilnehmen zu können.
Der Beschluss zur Einführung von Ganztagesschulen wurde über die Parteigrenzen hinweg getragen. In Freiburg werden Grundsatzbeschlüsse im Bereich Umwelt und Bildung immer gemeinsam verabschiedet. Dies war auch die Grundlage, um uns darüber zu verständigen, wie wir mit den Mitteln aus dem Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) umgehen, die seit dem Jahr 2003 zur Verfügung standen.
Das heißt, wir hatten den Ausbau der Ganztagsschulen bildungspolitisch bereits vorab diskutiert und waren froh, dass wir jetzt den Beschluss umsetzen konnten. Das IZBB war für uns ein wahrer Segen, denn sonst hätte der Ausbau der Ganztagsschulen in Freiburg über 15 Jahre gedauert. Der Ausbau der Ganztagsschulen wurde aber nicht nur bildungspolitisch, sondern auch mit den Schulen selbst diskutiert. So einigten wir uns schnell darauf, welche Schulen eine Förderung aus den Bundesmitteln erhalten sollten.
Über das IZBB haben wir schließlich sechs Schulen finanziert. Darunter waren drei Hauptschulen, denn hier erkannten wir einen besonderen Förderbedarf. Darüber hinaus wurden zwei Grundschulen gefördert, da wir in der Zukunft unser Augenmerk verstärkt auf die frühe Förderung von Kindern legen wollen und schließlich wurde eine Förderschule aus den Mitteln des IZBB bedacht.
Eine Realschule sowie zwei Gymnasien aus der Förderung herausfallen wurden außerdem aus Landesmitteln umgebaut, denn glücklicherweise ist nach dem IZBB auch das Land Baden-Württemberg in die Förderung von Ganztagsschulen eingestiegen. So kam es, dass wir bereits in diesem Jahr den Gemeinderatsbeschluss erfüllen können und in jeder Schulart mindestens ein Ganztagesangebot anbieten können.
Online-Redaktion: Wie wurden die IZBB-Mittel konkret verplant?
Stuchlik: Wir erstellten zunächst eine Gesamtkonzeption und wählten dann drei Standorte aus. Darunter waren unter anderem die Albert-Schweitzer-Schulen I, II und III (Grund-, Haupt-, und Förderschule), wo Mittel in Höhe von vier Millionen verplant wurden. Das Spektrum reicht von Bewegungsräumen, Fahrradwerkstätten, Ruhe-, Lese- und Lauträumen bis hin zu Cafeterias und Mensen.
Nun gibt es an den Schulen überall einen Mittagstisch. Da einige Kinder nicht am Mittagessen teilnahmen, hat der Gemeinderat das Ein-Euro-Essen eingeführt. Das heißt, Kinder, die aus sozial schwachen Familien kommen, nehmen für ein Euro am Mittagessen teil.
Hinsichtlich des Personals an den Ganztagsschulen ist es so, dass wir Betreuungskräfte in den Schulen zur Verfügung stellen. Wenn die Schulen aber kein festes Personal brauchen, wird das Gehalt in Bargeld umgerechnet und die Schulen können damit Angebote und Partner im Bereich der Kultur oder Sportvereine etc. finanzieren.
Online-Redaktion: Die nächste Etappe war der Aufbau der Bildungsregion Freiburg. Was waren Ihre Beweggründe?
Stuchlik: Die Bildungsregion Freiburg ist ein Gemeinschaftsprojekt, das wir zusammen mit dem Land in einer Verantwortungsgemeinschaft vorangetrieben haben. Und in der Modellphase wurde das Projekt von der Bertelsmann-Stiftung unterstützt. Dabei verabschiedeten wir uns von der klassischen Aufgabenaufteilung, wonach die Stadt für den Bau, den Hausmeister und die Sekretärin zuständig ist und das Land für die Lehrkräfte und Schulentwicklung. Wir vereinbarten gemeinsam ein Leitbild und Leitziele für die Entwicklung der Freiburger Bildungslandschaft.
Das Besondere liegt darin, dass die Schulen zur Selbstevaluation ermuntert werden. Das heißt, sie befragen die Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Eltern sowie die Hausmeister und Sekretärinnen und bekommen somit eine Rückmeldung darüber, was gut und was nicht gut läuft. Die Steuergruppe, bestehend aus Landes- und Kommunalvertreterinnen und -vertretern, bekommt eine Bedarfsmeldung, worin die Schulen Unterstützung brauchen, um eine gute Schule werden können.
Wir - die Verantwortungsgemeinschaft Stadt und Land - entwickeln daraufhin Unterstützungsangebote, zum Beispiel Fortbildungen oder Projektförderungen. Es gibt also nicht mehr die Möglichkeit, eine Schule zum Land zu schicken oder umgekehrt an den Schulträger zu verweisen. Wir signalisieren den Schulen, dass wir ihnen dabei helfen, sich weiterzuentwickeln und Schulentwicklungskonzepte auszuarbeiten. Die Freiburger Bildungsregion wurde als Modellprojekt angestoßen, doch nun ist sie in die Regelphase übergegangen.
Online-Redaktion: Bedeutet das, dass die Bildung für die Kommune immer stärker im Fokus steht und das lebenslange Lernen und Arbeiten an Schnittstellen gefördert werden?
Stuchlik: Vollkommen richtig. Wir haben einige sehr gute Ansätze bereits auf den Weg gebracht. Dazu gehört für mich die Managementschulung der Führungskräfte an den Schulen. Erst heute habe ich an einer Fortbildung teilgenommen, in der z.B. die Lehrerinnen und Lehrer befähigt werden, mit Heterogenität in der Klasse umzugehen und positive Impulse daraus zu ziehen. Die Schwachen und Starken sollen gleichzeitig und mit neuen Methoden gefördert werden. Dieses Thema entsprach auch dem Wunsch der Schulen, so dass wir professionelle Trainer engagiert haben, um die Lehrkräfte zu qualifizieren.
In einem weiteren Projekt - "Erfolgreich in Ausbildung" - geht es um die Vernetzung der Hauptschulen mit Freiburger Betrieben. Hier bieten die lokalen Bildungsträger zusätzliche Förderungen für Hauptschüler und -schülerinnen an, um ihre sozialen Kompetenzen zu verbessern, die Berufsorientierung zu stärken und das Bewerbungstraining zu intensivieren. An den Maßnahmen nehmen alle 800 Hauptschüler der Klassen acht und neun teil. Mit dem zusätzlichen sozialpädagogischen Personal entlasten wir die Lehrkräfte. Gleichzeitig engagiert sich die Freiburger Wirtschaft durch Bereitstellung von zusätzlichen Praktika- und Ausbildungsplätzen.
Ein anderes Projekt, das sich auch sehr gut entwickelt, ist die Elternarbeit. Dafür haben wir an der Volkshochschule eigens eine "Servicestelle für Elternarbeit" eingerichtet, so dass die Elternbeiräte, Lehrkräfte oder Schulleitungen ihren Bedarf zu bestimmten Themen melden können. Beispielsweise: Wie gehe ich mit pubertierenden Jungen um? Alle Erziehungsfragestellungen können dorthin gemeldet werden und die Servicestelle organisiert einen Referenten oder ein Seminar. So muss die Schule nicht mehr alles selbst organisieren.
Es gibt in der Bildungsregion Konsens, dass wir auch die Übergänge gut gestalten müssen. Derzeit arbeiten wir an einer Art Portfolio für jedes einzelne Kind. Das heißt, wenn es vom Kindergarten in die Grundschule wechselt, soll ein guter Übergang ermöglicht werden und die Grundschullehrerin viel mehr über den Bildungshintergrund und den Fähigkeiten eines Kindes erfahren als bisher.
Wir befinden uns gegenwärtig an dem Punkt, wo wir die Schnittstelle von der Grundschule in die weiterführenden Schulen verbessern wollen, all dies stützt sich auf eine differenzierte Betrachtung des einzelnen Schülers und auf verbindlichen Regeln bei der Übergabe. Der nächste Schritt gilt der Gestaltung des Übergang Schule-Beruf bzw. Schule-Universität.
Online-Redaktion: Bedeutet Bildungsverantwortung nicht auch, dass die Kommune für ihre Entscheidungen geradestehen muss?
Stuchlik: Das ist das Zentrale. Die Kommune wird gerade deshalb einbezogen, weil sie ja letztendlich mitverantwortlich ist für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Ob wir als Stadt irgendwann später Probleme bekommen, weil die Schülerinnen und Schüler perspektivlos sind - im Endeffekt trifft es die Kommunen und sie haben die Folgekosten zu tragen. Deswegen ist es sinnvoll, gemeinsam mit dem Land für optimale Startbedingungen aller Kinder zu sorgen.
Online-Redaktion: Was inspiriert Sie, sich fortwährend für die Bildung und die Zukunft der Kinder und Jugendlichen einzusetzen?
Stuchlik: Schule kann alles ermöglichen oder verhindern. Ich möchte, dass unsere Schulen auf der Seite des "Alles ermöglichen" sind. Immer wieder bin ich vor Ort und bekomme mit, welch gute Arbeit an den Schulen geleistet wird. Da ich aber weiß, wie anstrengend sie ist, möchte ich einen kleinen Teil dazu beizutragen, dass die Rahmenbedingungen besser werden, und dass es Freude macht, mit den Schülerinnen und Schülern zu arbeiten. Ich möchte nämlich, dass bei uns richtig gute Schule stattfindet. Und das macht einfach Spaß!
Kategorien: Kooperationen - Umweltbildung und Nachhaltigkeit
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