Bundesstadt Bonn: Eine OGS für alle Kinder : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. Die Bundesstadt Bonn wird 2024 aus städtischen Mitteln 1,7 Millionen Euro in das OGS-Angebot investieren. Oberbürgermeisterin Katja Dörner im Interview.
Online-Redaktion: Frau Oberbürgermeisterin, Sie sind seit 2020 im Amt. Welche Bedeutung hat Bildung für die Stadt Bonn?
Katja Dörner: Bonn ist UN- und Wissenschaftsstadt und daher kommt Bildung in Bonn eine hohe Bedeutung zu. Unser Bildungsverständnis ist inklusiv, das heißt: Jedes Kind soll zu jeder Zeit die Chance haben, gut aufzuwachsen. Und das bedeutet, gute Bildung muss sich am Kind und seiner Lebensbiografie, von der Geburt bis zum Beruf, orientieren. In Bonn unterstützen wir Kinder mit besonderen Bedarfen unter anderem durch das Poolmodell der Integrationsassistenz, durch eine zusätzliche finanzielle Förderung im Bereich der Offenen Ganztagsschule mit „OGSplus“ sowie durch die Sozialarbeit an Schulen.
Ein Schwerpunkt der inklusiven Bildungslandschaft in Bonn ist das BONNEUM: ein Bildungsverbund von Lernwerkstätten, der naturwissenschaftliches und digitales Lernen in innovativen didaktischen Formaten entlang der Bildungskette Kita – Grundschule – weiterführende Schule fördert. Damit ermöglichen wir Kindern und Jugendlichen, in attraktiven, multifunktionalen Lernwerkstätten selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu lernen. Kompetente Lernbegleiterinnen und -begleiter tragen dazu bei, diese innovative Lernkultur in die Bildungseinrichtungen zu bringen.
Online-Redaktion: Einer Ihrer Vorgänger hat 2013 die Offene Ganztagsschule, kurz: OGS, ein „Bonner Erfolgsmodell“ genannt. Teilen Sie diese Sicht?
Dörner: Nach wie vor ist die Offene Ganztagsschule in Bonn ein Erfolgsmodell – vor allem auch mit Blick auf die seit 2013 kontinuierliche Weiterentwicklung. Den unterschiedlichen Herausforderungen an den einzelnen Standorten wird durch das ergänzende OGSplus-Programm Rechnung getragen, das in den vergangenen Jahren in die Fläche getragen werden konnte. Gleichzeitig erfolgte auch ein kontinuierlicher zahlenmäßiger Ausbau: Alle städtischen Grund- und Förderschulen der Primarstufe sind bereits seit 2007 Offene Ganztagsschulen. Im laufenden Schuljahr stehen für rund 12.800 Schülerinnen und Schüler im Primarbereich, davon rund 440 in Förderschulen, rund 9.730 OGS-Plätze zur Verfügung. Das entspricht aktuell einer Versorgungsquote von 76 Prozent.
Online-Redaktion: Warum ist besonders der Ganztag an Grundschulen wichtig?
Dörner: In der Grundschule werden, aufbauend auf der Arbeit in den Kindertagesstätten, grundlegende Voraussetzungen für die weitere Bildungslaufbahn geschaffen. Der Ganztag erweitert hier die Wirkungsmöglichkeiten, indem Inhalte nochmals auf anderen Wegen vermittelt und Interessen der Kinder stärker einbezogen werden können und auch erweiterte Möglichkeiten sozialer Erfahrungen bestehen. Außerdem werden am Ort Schule aufgrund der Schulpflicht alle Kinder erreicht.
Der Ganztag bietet aufgrund des größeren zeitlichen Rahmens erweiterte Möglichkeiten, dies zu nutzen. Und weil das in der Regel wohnortnah erfolgt, können Unterschiede in den Stadtteilen durch einen bedarfsgerechten Ressourceneinsatz ausgeglichen werden. Auf Seiten der Eltern besteht aufgrund der veränderten Situation der Berufstätigkeit ein hoher Betreuungsbedarf und durch den bereits bestehenden Rechtsanspruch im Kindertagesstätten-Bereich wird eine entsprechende Bedarfsdeckung auch in der Grundschule erwartet.
Online-Redaktion: Was erwarten die Eltern konkret von den Ganztagsangeboten, und wie schätzen Sie die Nachfrage ein?
Dörner: Die Eltern erwarten zunächst eine verlässliche Betreuung ihrer Kinder, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicher zu stellen. Inhaltlich liegt der Fokus auf der Vertiefung des unterrichtlichen Lernstoffes in den Lernzeiten. Gleichzeitig wünschen sich Eltern für ihre Kinder ein vielfältiges Bildungsangebot in Form von AGs am Nachmittag, das sich an den Interessen der Kinder orientiert und Wahlmöglichkeiten bietet.
Stadtweit wird von einer Nachfrage nach OGS-Plätzen von circa 90 Prozent ausgegangen. Dabei liegt der Bedarf im innerstädtischen Bereich derzeit bei fast 100 Prozent: Wenn für alle Kinder OGS-Plätze angeboten werden können – und das ist mittlerweile an vielen Grundschulen im innerstädtischen Bereich der Fall –, wird das auch angenommen. In den Randbezirken liegt die Nachfrage derzeit eher bei 80 Prozent. Hier wird auch nach wie vor Kurzbetreuung gewünscht, die eine Sicherstellung der Betreuung von 8 bis 13 oder 14 Uhr garantiert.
Online-Redaktion: Ende November 2023 haben Sie eine Lösung zur Finanzierung der OGS-Angebote vorgeschlagen? Was ist der Hintergrund?
Dörner: Mit der Neuausrichtung von OGS seit 2013 wurde das Ziel verfolgt, die Qualität in Bonner Offenen Ganztagsschulen nachhaltig zu sichern. Um die zu erwartenden Lohnkostensteigerungen im Haushalt abzubilden, wurde das Instrument der Dynamisierung genutzt, das bedeutet eine regelmäßige Erhöhung des Budgets um einen festen Prozentsatz pro Haushaltsjahr. Die Lohnkosten im Sozial- und Erziehungsdienst sind in den vergangenen Jahren stärker angestiegen als erwartet. Vor allem die jüngsten, erheblichen Lohnkostensteigerungen haben dazu geführt, dass das aktuelle Budget nicht mehr den realen Kosten entspricht.
Die Stadt hat das OGS-Angebot für das laufende Schuljahr 2023/2024 daher durch die Bereitstellung erheblicher zusätzlicher städtischer Mittel, nämlich 1,7 Millionen Euro, abgesichert. Das Land hat für Ende Januar 2024 eine Konkretisierung seiner Vorstellungen zur künftigen Ausgestaltung der Rahmenbedingungen von OGS angekündigt. Es wird in einem nächsten Schritt erforderlich sein, diese Landesvorgaben mit den städtischen Standards abzugleichen. Sollten die Landesvorstellungen und die städtischen Standards deutlich divergieren, wird die politische Diskussion zu führen sein, entweder das OGS-Budget dauerhaft anzupassen, um die bisherigen städtischen Standards beizubehalten oder bislang vereinbarte Leistungen zu reduzieren. Meines Erachtens sollten wir die im Vergleich zu den Vorhaben des Landes sehr guten Standards für die OGS in Bonn erhalten.
Online-Redaktion: Wie sieht es mit den Ganztagsangeboten an weiterführenden Schulen aus?
Dörner: Das Ganztagsangebot an den weiterführenden Schulen liegt in erster Linie in der Verantwortung der Schulen. Neben regulären Ganztagsschulen – das sind zum Beispiel alle Gesamtschulen der Bundesstadt Bonn – gibt es auch Angebote in Zusammenarbeit mit freien Trägern der Jugendhilfe, die über das Landesprogramm „Geld oder Stelle“ finanziert werden.
Online-Redaktion: Welche Rolle spielt der Fachkräftemangel im Bildungsbereich?
Dörner: Der Fachkräftemangel stellt für uns aktuell eine der größten Herausforderungen dar. In Bereichen, in denen eine bestimmte Qualifikation verpflichtend vorgeschrieben ist, wie zum Beispiel im Bereich der Sozialarbeit, führt dies dazu, dass Aufgaben nicht erfüllt werden können. In anderen Bereichen, wie in der OGS, muss auf Nicht-Fachkräfte zurückgegriffen werden, um dringende Bedarfe abzudecken, wobei Qualitätseinbußen in Kauf genommen werden müssen. Wir begegnen dieser Herausforderung, indem wir gemeinsam mit den Trägern neue Ausbildungswege beschreiten: zum Beispiel durch das Angebot der Praxisintegrierten Erzieherinnen- und Erzieherausbildung und des Dualen Studiums im Bereich der Sozialarbeit. Wenn Nicht-Fachkräfte eingesetzt werden, bieten wir berufsbegleitende Weiterbildungen und Nachqualifizierungsmaßnahmen an.
Online-Redaktion: Welche Schwerpunkte will Bonn in den nächsten Jahren noch setzen?
Dörner: Angesichts des bevorstehenden OGS-Rechtsanspruchs wird die bauliche Erweiterung weiterhin ein wichtiger Schwerpunkt in den nächsten Jahren sein. An vielen Standorten ist die Essenssituation derzeit noch nicht auf eine OGS für alle Kinder ausgelegt und stellt ein „Nadelöhr“ dar. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Ausbau der OGS-Plätze an den städtischen Förderschulen im Primarbereich. Hierfür haben wir die inhaltlichen Voraussetzungen durch die Erarbeitung entsprechender Leistungsbeschreibungen bereits geschaffen. Die Möglichkeit der Umsetzung wird auch von der künftigen Gestaltung der Landesfinanzierung für den Ganztag abhängen.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Kooperationen - Kulturelle Bildung
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