Brandenburg an der Havel: Zukunftsorientierte Bildungsstadt : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. Heute im Interview: Dr. Dietlind Tiemann, Oberbürgermeisterin der kreisfreien Stadt Brandenburg an der Havel.
Online-Redaktion: Welche Bedeutung hat Bildung und Betreuung in Brandenburg an der Havel?
Dr. Dietlind Tiemann: Die Stadtverordneten haben 2006 einen Masterplan beschlossen und kürzlich fortgeschrieben: Brandenburg an der Havel als zukunftsorientierte Bildungsstadt ist darin ein Schwerpunkt. Das bedeutet, dass wir dem weiteren Ausbau der Bildungsinfrastruktur durch die Modernisierung der vorhandenen und die Schaffung zusätzlicher attraktiver Lernorte große Aufmerksamkeit schenken. Deshalb haben wir im vergangenen Jahr in öffentlich-privater Partnerschaft ein mehrere Millionen Euro schweres Programm realisiert, das die umfassende Sanierung von vier Schulen und den Neubau einer Dreifeldersporthalle beinhaltete. Genau so wichtig sind für uns in punkto Bildungslandschaft aber auch solche Aspekte wie die Sicherung einer breiten Angebots- und Trägervielfalt, die Gewährleistung von Voraussetzungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die engere Verzahnung von Wirtschaft und Schule.
In der Stadt Brandenburg an der Havel haben wir derzeit in kommunaler Trägerschaft neun Grundschulen, vier Oberschulen, drei Förderschulen, zwei Gymnasien und zwei Oberstufenzentren, in denen über 7.000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Des Weiteren besteht für Eltern und Kinder die Möglichkeit, eine evangelische Grundschule, ein evangelisches Gymnasium oder die Grundschule des Kinderfördervereins „WIR“ e.V. zu wählen.
In den kommunalen Schulen werden Ganztagsangebote heute bereits in vier Grundschulen, in allen vier Oberschulen, in den zwei Gymnasien und der „Havelschule“, unserer städtischen Schule mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung", unterbreitet.
Online-Redaktion: Wie schätzen Sie die Angebote ein?
Tiemann: Jede Ganztagsschule orientiert sich an ihrem pädagogischen Ganztagskonzept. Dieses beinhaltet ganz spezifische außerunterrichtliche schulische Angebote, pädagogisch begleitete und selbst organisierte Angebote der Jugendarbeit, Angebote des Hortes, jugendkulturelle Angebote und Betreuungsformen im Anschluss an den regulären Unterricht. Sie können auch an unterrichtsfreien Tagen oder in den Ferien angeboten werden. Mit den vorhandenen Ganztagsschulen wird in der Stadt Brandenburg eine ausreichende flächendeckende Verzahnung von Unterricht, Freizeit- und Betreuungsangeboten sowie zusätzlichen Lern- und Fördermaßnahmen gewährleistet.
Online-Redaktion: Welche Bedeutung haben Ganztagsschulen für Familien?
Tiemann: Gerade angesichts der Tatsache, dass es heutzutage oft sehr schwierig ist, Familie und Beruf in Einklang zu bringen und vielerorts über neue Wege zu familienorientierten Zeitstrukturen diskutiert wird, ist die Rolle der Ganztagsschulen in den Augen der Eltern und Kinder in letzter Zeit stark gewachsen. Das zeigen auch immer wieder die Ergebnisse der schulinternen Evaluationen, an deren Planung und Durchführung die Schüler sowie deren Erziehungsberechtigte stets beteiligt sind.
Sehr gut angenommen werden in den Grundschulen unter anderem die Angebote, die von den Horten und anderen Kooperationspartnern über den stundentafelbezogenen Unterricht hinaus unterbreitet werden. Je nach Umfang der Ganztagsangebote wird teilweise oder ganz auf die Erteilung von Hausaufgaben verzichtet. Durch die Bereitstellung der räumlichen Kapazitäten, der notwendigen Ausstattung und des benötigten Personals wird abgesichert, dass die Kinder ganztägig sinnvoll betreut werden und die Eltern einer Berufstätigkeit in Vollzeit nachgehen können.
Die Schulen haben vielfältige Kooperationsvereinbarungen mit Trägern der Jugendhilfe, Kirchen, Kultureinrichtungen, Sportvereine, mit Initiativen, die der Gleichstellung verpflichtet sind, oder Einzelpersonen geschlossen. Damit wird ein breit gefächertes und vorrangig kostenloses Angebot während des Unterrichts und in der Freizeit vorgehalten. Für die durch den Schulträger zu schaffenden Bedingungen wurden durch das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport bis 2010 Fördermittel für investive Maßnahmen ausgereicht. Damit konnten zum Beispiel Räume und Flurbereiche, Bewegungsflächen und Schulhofbereiche gestaltet werden. Ebenso wurde der Erwerb von Ausstattungsgegenständen finanziert. Lernwerkstätten, Schülerclubs oder Bibliotheken konnten eingerichtet werden. Die Lern- und Lebensbedingungen an den Ganztagsschulen wurden damit nachhaltig verbessert. Sie fungieren heute in der Regel als „Haus des Lernens" oder „Lokales Zentrum" für alle Kinder und Familien des jeweiligen Stadtteils.
Online-Redaktion: Wie zufrieden sind Sie mit der derzeitigen Bildungs- und Betreuungssituation?
Tiemann: Als Oberbürgermeisterin habe ich von Anfang an den direkten Kontakt zu allen bildungspolitischen Akteuren gepflegt und arbeite sehr eng mit den Schulen zusammen. Mindestens zweimal jährlich lade ich zu einem Schulleiterstammtisch ein, um mich mit den Fachleuten zu allen schulspezifischen Sachverhalten und zum künftigen Handlungsbedarf auszutauschen. Das ist vor allem auch für einen realistischen Schulentwicklungsplan wichtig, der in enger Abstimmung mit dem Kindertagesstättenbedarfsplan aufgestellt werden muss.
Was mir derzeit in der Bildungspolitik etwas Bauchschmerzen bereitet, ist das Thema Inklusion,dem ich prinzipiell sehr offen gegenüber stehe. Doch bevor man die bisherigen Förderschulen schließen kann, müssen an den „normalen“ Schulen erst die notwendigen personellen und materiellen Voraussetzungen geschaffen werden, damit auch dort die Kinder mit spezifischem Förderbedarf die für sie notwendige Unterstützung beim Lernen erhalten. Inklusion ist kein Verwaltungsakt, den man von heute auf morgen einer Kommune per Dekret von Oben vorschreiben kann. Wenn Inklusion an der Basis erfolgreich sein soll, dann braucht man dafür nicht nur ausreichend Vorbereitungszeit, sondern letztlich auch die entsprechenden finanziellen Mittel.
Online-Redaktion: Welche Bedeutung haben Lokale Bildungslandschaften?
Tiemann: Wie in der Wirtschaft oder im Gesundheitswesen reicht auch in Sachen Bildung der lokale Blick nicht mehr aus. Als regionales Oberzentrum erfüllt die Stadt Brandenburg zukünftig mehr denn je viele wichtige Funktionen für die Menschen im westlichen Teil des Bundeslandes Brandenburg. Zum Beispiel werden sich Eltern aus den Umlandgemeinden im Interesse ihrer Kinder immer öfter für die vielfältigen Betreuungs- und Bildungsangebote in den Kitas und Schulen unserer Stadt entscheiden. Auch die außerschulischen Angebote in den Horten, der Zeichenschule, den Musikschulen oder verschiedenen anderen Kultur-, Freizeit- und Sporteinrichtungen werden nicht nur von den jungen Havelstädtern genutzt. Daher erfährt gerade auch bei Bildungsfragen der interkommunale Gedanken- und Erfahrungsaustausch, die Kooperation über die Stadt- und Gemeindegrenzen hinaus, mehr und mehr an Bedeutung. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben und auch eine große Herausforderung für uns Lokalpolitiker, vor Ort für eine breite Vielfalt an Möglichkeiten für lebenslanges Lernen zu sorgen. Das beginnt bei der frühkindlichen Erziehung und Bildung, die die Grundlage für den anschließenden schulischen Werdegang der Kinder ist, und reicht über die Berufsausbildung, das Studium bis zur Fortbildung und Erwachsenenqualifizierung.
An den Schulen unserer Stadt, nicht nur an den Ganztagsschulen, gibt es eine Reihe guter Erfahrungen mit erfolgreichen Kooperationen und Netzwerken. Viele Bildungseinrichtungen arbeiten eng mit Trägern der Jugendhilfe, mit der AG Schule und Wirtschaft oder der Volkshochschule zusammen. Ein Beispiel ist der jährlich mit der Agentur für Arbeit, lokalen Unternehmen, den Krankenkassen, der Sparkasse und anderen Mitstreitern organisierte „Brandenburger Berufemarkt“, bei dem Jugendliche bereits frühzeitig ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen für die künftige Berufswahl testen können.
Auf Praxisnähe legen übrigens immer mehr Schulen großen Wert. Berufsorientierung und vorbereitung sind mittlerweile feste Bestandteile der Rahmenpläne, und fast alle Schulen unterhalten sehr enge Kooperationsbeziehungen zu Unternehmen, die praxisnahe Lernorte für den Unterricht oder Praktikumsplätze zur Verfügung stellen. Selbst Grundschulen fangen bei uns neuerdings schon mit der Berufsorientierung an.
Und last but not least: Die Vielfalt der Bildungslandschaft garantiert auch eine Vielzahl möglicher Bildungswege. So kann das Abitur bei uns zum Beispiel in zwölf Jahren am Gymnasium, in 13 Jahren am Oberstufenzentrum oder in der Abendschule berufsbegleitend erworben werden.
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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