Bildungsregion Ostfriesland: „Blick über den Tellerrand“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Seit 2011 vernetzen sich Schulen in der Bildungsregion Ostfriesland. Auf der Tagung „Ganztagsschule. Eine Chance für die Grundschule“ in Wittmund gaben drei Ganztagsgrundschulen ihre Erfahrungen weiter.
2011 wurde die Bildungsregion Ostfriesland gegründet. Unter dem Motto „Übergänge ohne Brüche“ sollen sich Kindertagesstätten und Schulen besser vernetzen und die Übergänge zwischen den Bildungseinrichtungen erleichtern. Unterstützt vom Land Niedersachsen, wollen alle Beteiligten in gemeinsamer Verantwortung die bestmöglichen Bildungsbiografien für alle Kinder und Jugendlichen ermöglichen. Zur Bildungsregion Ostfriesland gehören die Landkreise Aurich, Leer und Wittmund sowie die Stadt Emden.
Gudrun Stüber vom Kommunalverband Ostfriesische Landschaft koordiniert die Aktivitäten der Bildungsregion. „Wir wollen Informationen, Ideen und Konzepte verbreiten, damit nicht vor Ort immer alles wieder neu erfunden werden muss“, fasst die Bildungsmanagerin das Anliegen zusammen.
Die Ganztagsschule spielt im Vernetzungskonzept der Bildungsregion eine wichtige Rolle: Gudrun Stüber und ihr Team wollen Ganztagsschulen und und solche, die es werden wollen, in der Region Ostfriesland zusammenbringen. Die Erfahrungen der bestehenden Ganztagsschuleinrichtungen sollen gesichtet und für andere nutzbar gemacht werden. Schulbesuche vor Ort bieten die Möglichkeit, an konkreten Beispielen zu lernen. Die Beteiligten kommen ins Gespräch. Demnächst soll auch die Kinder- und Jugendhilfe einbezogen werden, was für die Koordinatorin ein „spannendes Projekt“ wird.
„Das Lernen vor Ort in den Schulen ist nach meinem Empfinden die fruchtbarste Art des Austausches, die wir daher zukünftig noch stärker verfolgen werden“, berichtet Gudrun Stüber. Die Bildungsregion organisiert außerdem Tagungen für Ganztagsschulen und für Grundschulen, die vor der Umwandlung in eine Ganztagsschule stehen. Nachdem ein Jahr zuvor eine solche Tagung in Leer stattgefunden hatte, war nun der Landkreis Wittmund an der Reihe. Rund 100 Interessierte kamen am 7. Mai nach Wittmund zu der Veranstaltung „Ganztagsschule. Eine Chance für die Grundschule“.
„Der Blick über den Tellerrand ist immer gut“
Landrat Matthias Köring begrüßte die Teilnehmenden: „Wir haben als Träger der Sekundarstufe I und Sekundarstufe II an allen Standorten Ganztagsschulen und Mensen errichtet. Für den Primarbereich benötigen wir nun Ihre Mithilfe. Sie müssen ein attraktives Angebot in der Offenen Ganztagsgrundschule organisieren.“
Köring wünscht sich die verpflichtende Ganztagsschule als Regel. Dafür gelte es aber, „wie in Skandinavien“, die Akzeptanz der Eltern zu gewinnen. „Auch Vereinen und der Kirche müssen wir Vorbehalte nehmen. Das schaffen wir, indem wir sie in die Schulen einladen, damit sie dort ihre Angebote durchführen“, zeigte sich der Landrat überzeugt.
Beate Kaminski, Fachdezernentin an der Niedersächsischen Landesschulbehörde für den Landkreis Aurich, sprach über den neuen Ganztagsschulerlass der Landesregierung. Dieser ermögliche größeren organisatorischen Spielraum und pädagogische Gestaltungsmöglichkeiten. Alle Kommunen bauten die Ganztagsangebote aus. „Auch bei mir liegen für das kommende Schuljahr vier Anträge auf dem Schreibtisch“. Damit steige aber auch merklich der Informationsbedarf. Daher seien Veranstaltungen wie diese notwendig: „Der Blick über den Tellerrand ist immer gut“, so die Fachdezernentin.
Ganztagsgrundschule: „Schule mit mehr Chancen“
Prof. Eiko Jürgens von der Universität Bielefeld, der selbst aus Ostfriesland stammt, griff in seinem Impulsreferat über die „Ganztagsschule als kindgerechter Raum“ das Wort „Akzeptanz“ auf: „Wenn wir vor 20 Jahren erklärt hätten, dass wir so viele Ganztagsschulen wollen, wie es sie jetzt gibt, hätten das viele bekämpft. Aber inzwischen ist die Ganztagsschule gesellschaftlich breit akzeptiert. Der Ausbau der Ganztagsschulen ist aber nicht zufällig erfolgt, ein entscheidender Auslöser ist das Programm der Bundesregierung gewesen.“
Nun gehe es nach dem quantitativen Ausbau um die qualitative Ausgestaltung: „Erziehung und Bildung, Betreuung und Freizeit müssen gemeinsam schulisch bearbeitet und verbunden werden. Das ist vergleichbar mit dem Zusammenspiel eines Orchesters“, so der Schulpädagoge. „Zeit ist dabei eine wertvolle Ressource, mit der man sorgsam umgehen muss. Das zentrale Gestaltungselement ist die Rhythmisierung: Phasen des erforschenden Lernens und Ruhephasen müssen einander abwechseln, fachliches und überfachliches Wissen müssen verzahnt werden. Entscheidend für die Rhythmisierung sind die didaktischen Konzepte.“
Kinder lernten nicht nur im Unterricht. Die Ganztagsschule sei vielmehr ein Ort, an dem ganzheitliche Bildung möglich sei. Dazu gehöre auch anwendungsorientiertes Lernen, das von der Biografie des Einzelnen, von der Familie, vom Ort ausgehe. „Die Ganztagsschule ist und bleibt eine Schule, aber sie wird zu einer anderen Schule mit mehr Chancen und mehr Raum für eine erweiterte und kindgerechte Bildung“. Die Organisationsform der offenen Ganztagsschule ist dabei für Jürgens „nur eine Etappe“.
Angebot schafft Nachfrage
Sehr entschlossen hat die Gemeinde Friedeburg den Ausbau der Ganztagsschulen vorangetrieben. Das wurde in einem anschließenden Workshop deutlich. Der Landkreis hatte zuvor die Eltern befragt. „Die Bedarfsabfrage bei 770 Eltern ergab damals, dass es sich rund 200 Eltern vorstellen konnten, ihr Kind in eine Ganztagsschule zu schicken“, berichtete Tobias Zunker, Fachdienstleister Familie, Jugend, Schule, Soziales und Sport. „Jetzt liegen wir bereits bei einer Anmeldequote von 50 Prozent in den offenen Ganztagsgrundschulen. Das Angebot schafft sich die Nachfrage.“
Mit dem Schuljahr 2013/14 starteten die drei Friedeburger Grundschulen in den Ganztagsbetrieb. Maßgeblich forciert von der ehemaligen Bürgermeisterin, die ihren Aktionsschwerpunkt auf den Bildungsbereich legte, stockte die Gemeinde den Bildungsetat um ein Drittel auf. So gibt es in jeder der Ganztagsschulen eine „Ganztagsfee“, die den Ganztag koordiniert, aber auch eine Sekretärinnenstelle im Umfang von 32 Wochenstunden.
„Ganztagsfeen haben die Fäden in der Hand“
Die drei Schulen tauschten im Workshop ihre Erfahrungen aus. Entscheidende Kräfte in der Grundschule Friedeburg, der Sonnensteinschule Horsten und der Grundschule Reepsholt sind die „Ganztagsfeen“. Pro Schule ist jeweils eine „Fee“ täglich von 11 bis 15 Uhr im Einsatz. Die drei Mitarbeiterinnen sind bei der Stadt angestellt und arbeiten auf der Basis von Kooperationsverträgen in den Schulen. Laut Zunker haben sie „die Fäden in der Hand“ und sind gleichzeitig die „Kümmerer für die Kinder“.
Sie sind Ansprechpartnerinnen für die Schülerinnen und Schüler, managen die Teilnahme an den Arbeitsgemeinschaften und sorgen für die Weitergabe von Informationen an die Lehrkräfte, die Schulleitung und das Sekretariat. Daneben bieten sie die bei den Kindern beliebte Freispiel-AG „Spiel und Spaß“ an. Zu ihren Aufgaben gehört aber auch, die Bezahlung des Mittagessens zu organisieren oder Krankmeldungen zu registrieren. In den ersten beiden Jahren hat sich der Einsatz der „Feen“ mehr als bewährt.
Bildungsregion mit Zukunft
Alles in allem resümiert Tobias Zunker für die Gemeinde: „Wir sind froh und glücklich über den von uns eingeschlagenen Weg.“ Auch die Eltern sehen das offenbar so, denn die Anmeldungen an den Ganztagsgrundschulen steigen, obwohl die Schülerzahlen auch in diesem Landkreis insgesamt zurückgehen.
Das Land Niedersachsen honoriert die Entwicklung in der Ostfriesischen Bildungsregion: Zusammen mit der „Ostfriesischen Landschaft“ und dem Regionalen Pädagogischen Zentrum besiegelte Kultusministerin Frauke Heiligenstadt die Fortführung des Kooperationsverbundes zwei Tage später im Rahmen der Tagung „Bildung braucht Bündnisse“ in Emden. Als eine von inzwischen 17 niedersächsischen Bildungsregionen wird die „Bildungsregion Ostfriesland“ um weitere vier Jahre fortgeführt.
Kategorien: Forschung - Ganztagsschulforschung: Interviews
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