„Bildung gemeinsam verantworten“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Fünf Jahre nach der „Aachener Erklärung“ hat der Deutsche Städtetag auf seinem Kongress „Bildung gemeinsam verantworten“ am 9. November 2012 die „Münchener Erklärung“ zu Bildung verabschiedet.
Die Weiterentwicklung des Bildungssystems könne durch kommunales Engagement allein ebenso wenig erreicht werden wie durch die Länder oder den Bund. Vielmehr müssten die drei Ebenen gemeinsam die Verantwortung für die Bildung unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Eltern bzw. Familien wahrnehmen, so die Erklärung. Dazu seien die bestehenden Hemmnisse für gemeinsames Handeln in der Bildung zugunsten einer konstruktiven Zusammenarbeit abzubauen. Der Deutsche Städtetag fordert, kommunale Bildungslandschaften weiterzuentwickeln; kommunale Handlungsmöglichkeiten und Rechte in der Bildung zu erweitern; Bildung gemeinsam zu verantworten und das Kooperationsverbot abzuschaffen sowie das Engagement der Städte und Gemeinden finanziell sicher zu stellen.
Vorgestellt wurde die Münchener Erklärung im Kultur- und Veranstaltungszentrum Gasteig von Aachens Stadtdirektor Wolfgang Rombey. Rombey ist Vorsitzender des Schul- und Bildungsausschusses des Deutschen Städtetages und erinnerte an die „Aachener Erklärung“ von 2007 und das darin formulierte Leitbild des Engagements der Städte: den Aufbau von Bildungslandschaften im Sinne eines vernetzten Systems von Erziehung, Bildung und Betreuung. „Fünf Jahre später können wir feststellen, dass viele Städte diesem Leitbild folgen“, stellte Rombey fest. „Es geht ihnen darum, die Bedürfnisse des Einzelnen in den Blick zu nehmen.“
Dass der von Rombey hervorgehobene Blick aufs einzelne Kind und die Verbesserung der Chancengleichheit noch nicht immer gelingt, räumte Münchens Oberbürgermeister und amtierender Präsident des Deutschen Städtetages Christian Ude ein. „Die soziale Ungerechtigkeit wird nach wie vor zu stark vererbt. Das gilt auch für Bayern und, ich muss es leider sagen, besonders auch für München“, gestand er. Laut dem Münchener Bildungsbericht liege die Übergangsquote von der Grundschule zum Gymnasium in einigen Münchener Stadtteilen bei 15 Prozent, in anderen bei 80 Prozent. „Wenn Du im falschen Stadtteil aufwächst, eventuell einen Migrationshintergrund hast und dann vielleicht auch noch Kind eines alleinerziehenden Menschen bist, hast du kaum Chancen auf höhere Bildung,“, so Ude Dem pflichtete Wolfgang Rombey in einer „persönlichen Anmerkung“ bei: „Wenn man sich jahrzehntelang für mehr Chancengleichheit einsetzt, schmerzt das. Das muss sich ändern.“ Kritisch merkte der Direktor des Deutschen Jugendinstituts, Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, an, dass sich viele Akteure noch nicht genügend in die Gestaltung von Bildungslandschaften einbrächten. Ihre Begründung laute meist, Schule sei schließlich Ländersache.
Kommunen fordern mehr Einfluss bei Bildungsfragen
Die Überlegung, wie bessere Bildung und mehr Chancengerechtigkeit erreicht werden können, stand immer wieder im Zentrum des Kongresses. Zwei Antworten, die sich auch in der „Münchener Erklärung“ widerspiegeln, wurden im Kern ausgemacht: Einerseits solle der Einfluss der Kommunen als Schulträger auf die innere Schulgestaltung gestärkt werden. Sie wüssten schließlich am besten um die Bedürfnisse und Gegebenheiten vor Ort. Ude formulierte das so: „Es wird der Rolle der Kommunen nicht gerecht, auf Schulbau sowie die Anschaffung von Computern und Büchern reduziert zu werden.“ Allerdings glaube er nicht, dass die Kommunen angesichts klammer Kassen ein Interesse daran hätten, die Schulen mit all ihren Folgekosten, z.B. den Personalkosten, zu übernehmen.
Dem stimmte die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann als amtierende Vizepräsidentin der Kultusministerkonferenz zu. Es gehe vielmehr um den Einfluss der Kommunen bei Entscheidungen – etwa bei der Besetzung der Schulleiterpositionen oder der Personalauswahl. „Landespolitik darf sich nicht anmaßen, alles regeln zu wollen. Sie muss Freiräume lassen. Die Kommunen wissen am besten, was sie benötigen und was möglich ist.“ Als Beispiel nannte sie die Kooperation von Ganztagsschulen mit außerschulischen Partnern. „Die Möglichkeiten unterscheiden sich stark von Ort zu Ort. Das macht die Unterschiedlichkeit der Schulen und Kommunen aus und muss deshalb von dort gesteuert werden.“ Die stärkere Übernahme von Verantwortung durch die Kommunen sah auch Michael Löher, Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, als wichtig an. Er warnte vor einer „Zensurschere Finanzen“: „Die Frage der Ausgestaltung der kommunalen Verantwortung sollte erst beantwortet werden, bevor diese Schere kommt.“
Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Thomas Rachel, betonte anlässlich des Kongresses: "Die Kommunen sind eine unverzichtbare Schaltstelle unseres Bildungssystems. Ihre wichtigste Zukunftsaufgabe im Bildungsbereich ist neben ihrer bewährten Rolle als Träger von Schulen und Bildungseinrichtungen die Vernetzung zwischen haupt- und ehrenamtlichen Akteuren, zwischen Staat und Bürgergesellschaft."
Der Ganztagsschulausbau als Beispiel gelingender Kooperation
Die zweite Antwort fand der Kongress in der Abschaffung des Kooperationsverbots, die „bitte nicht als Forderung nach Abschaffung des Föderalismus verstanden werden soll“, wie Ude und Rombey betonten. Es gehe vielmehr darum, dem Bund begrenzte Regelungsmöglichkeiten und Finanzzuweisungen zur Verbesserung der Bildungsinfrastruktur sowie zur Umsetzung neuer Bildungsaufgaben von gesamtstaatlicher Bedeutung zu ermöglichen. Als Beispiel führten sie den Ausbau der Ganztagsschulangebote in Deutschland an. Sylvia Löhrmann meinte: „Ohne das Investitionsprogramm ‚Zukunft Bildung und Betreuung’ wäre der Ganztagsschulausbau so nicht möglich gewesen.“ Und trotzdem hätten die Länder ihre Bildungshoheit bewahrt, denn in die Schulpolitik sei mit dem Programm nicht eingegriffen worden. Auch das Bundesprogramm „Lernen vor Ort“ trage dazu bei, verkrustete Strukturen aufzubrechen und lebenslanges Lernen zu ermöglichen.
Der Bildungsforscher Prof. Dr. Jürgen Oelkers warnte in seinem Vortrag vor Zentralismus in der Bildung. „Die Folge wäre, dass ein großer Apparat alles an sich zieht und nichts nach unten durchdringt“, meinte er. Es sei wesentlich aussichtsreicher und erfolgversprechender, die jetzigen Strukturen mit einer Stärkung der Kommunen zu verbinden: „Bildung findet vor Ort statt. Sie ist eine kommunale Größe.“
Der Vorsitzende des Bundeselternrates, Hans-Peter Vogeler, formulierte das humorvoll so: „Wenn man unzufrieden ist, ruft man nach dem großen Bruder.“ Viele Eltern wünschten sich deshalb mehr Einfluss des Bundes. „Doch“, so fügte er hinzu, „in Wirklichkeit sind Eltern Strukturen genauso egal wie die Frage, wer was entscheidet.“ Er plädierte dafür, die „Leitplanken bundesweit zu setzen, ansonsten aber die Dinge vor Ort zu regeln.“ Demgegenüber sah der Personalchef der Siemens AG, Walter Huber, zuviel Unterschiedlichkeit kritisch. Sie schränke die Mobilität ein: „Wir merken, wie schwer es ist, Mitarbeiter zum Umzug zu bewegen, wenn ihre Kinder noch zur Schule gehen.“ Er plädierte für einheitliche Standards und Qualitätsmerkmale.
Für die große Mehrzahl der Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer stellt der Aufbau von lokalen Bildungslandschaften die größte Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit und erfolgreiches lebenslanges Lernen dar. Das belegte auch das enorm große Interesse an dem Workshop „Bildung – ganztags, ganzheitlich“. Die Ganztagsschule „soll nicht nur Lern-, sondern auch Lebensort werden, und das hängt dann eng mit der Lebensumgebung zusammen“, fasste der Stadtrat für Kultur, Jugend und Freizeit der Stadt Erlangen, Dr. Dieter Rossmeissl, zusammen. Die funktionierende Zusammenarbeit zwischen außerschulischen Partnern sei die Chance der Ganztagsschulen. Das aber könne nur in kommunaler Verantwortung gesteuert werden. Wenn die Kommunen etwa keinen Einfluss bei der Auswahl des pädagogischen Personals hätten, werde es schwer. Rossmeissl fasste die Sicht der Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmer so zusammen, dass es länderübergreifende Standards geben solle. „Aber wie sie erreicht werden und wie sie umgesetzt werden, das sollen die Kommunen entscheiden.“
Auf dem Kongress „Bildung gemeinsam verantworten“ hatten über 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland in München über das erweiterte kommunale Engagement in verschiedenen Bildungsbereichen diskutiert und Best-practice-Beispiele vorgestellt, beispielsweise im Bereich frühkindliche Bildung, Bildungsmonitoring und -management, Inklusion im Schulbereich, Übergang Schule und Beruf sowie Weiterbildung und lebenslanges Lernen.
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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