"An einem Strang ziehen und koordiniert arbeiten" : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Regionale und kommunale Bildungslandschaften ermöglichen Kindern und Jugendlichen, Bürgerinnen und Bürgern das Lebenslange Lernen. Sie sind gekennzeichnet von guten Kooperationen - einem wichtigen Erfolgsfaktor guter Ganztagsschulen. Kornelia Haugg, Abteilungsleiterin Berufliche Bildung/Lebenslanges Lernen im Bundesministerium für Bildung und Forschung, spricht über "Lernen vor Ort" und die zentrale Rolle von Ganztagsschulen in der Bildungsrepublik.
Online-Redaktion: "Lernen vor Ort" ist ein Strukturprogramm - will heißen, Kommunen suchen neue Wege für ein modernes Bildungsmanagement, das neben den formalen Bildungseinrichtungen auch non-formale und informelle Lernorte einschließt. Warum ist das so wichtig?
Kornelia Haugg: Die neue Perspektive, aus der im Programm "Lernen vor Ort" Bildung betrachtet wird, ist eigentlich sehr einfach: Im Zentrum steht die einzelne Bildungsbiografie, von der aus die erforderlichen Strukturen organisiert werden. Überkommene Zuständigkeitsgrenzen - z. B. hier die Schule, da die Jugendhilfe, dort die berufliche Bildung und ein vielfältiges Übergangssystem - werden hinterfragt. Um dem einzelnen Kind, Jugendlichen oder Erwachsenen besser gerecht zu werden, müssen alle Partner, die Bildung als ihre Aufgabe ansehen, zusammenarbeiten. Für eine solche Vernetzung lokaler bzw. regionaler Akteure gibt es auch erfolgreiche internationale Vorbilder, z. B. in den Niederlanden oder in Großbritannien.
Online-Redaktion: Am 7. und 8. Dezember 2011 fand in Berlin die Jahreskonferenz des Programms "Lernen vor Ort" statt. Dabei ging es auch um die Frage, wie ein "stimmiges Bildungsmanagement auf kommunaler Ebene" aussehen muss. Wie sieht es aus Ihrer Sicht aus?
Haugg: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In einer Kommune hat jemand ausgerechnet, dass Familien allein auf der Ämterebene bis zu acht verschiedene Ansprechpartner für Fragen rund um Bildung haben - vom Jugendamt über das Schulamt bis zum Sozialamt. Im Programm "Lernen vor Ort" sprechen wir deshalb von einem "kohärenten Bildungsmanagement". Wir wollen erreichen, dass auf der Ebene von Kreisen und kreisfreien Städten alle wesentlichen Bildungsakteure an einem Strang ziehen und koordiniert arbeiten. Dazu gehören neben den staatlichen Bildungseinrichtungen auch Kammern, Gewerkschaften, Wirtschaft, Universitäten, Arbeitsverwaltung, freie Träger und Vereine, Familienzentren, die Kinder- und Jugendarbeit oder die zahlreichen Aus- und Weiterbildungsträger. Es geht darum, gemeinsam mehr Verbindlichkeit und Transparenz zu schaffen.
Online-Redaktion: Wie gelingen effektive Kooperationen?
Haugg: Sie entstehen nicht von alleine, sondern müssen organisiert werden. Wir unterstützen deshalb die Entwicklung von Organisationsmodellen solcher Bildungspartnerschaften aktiv. Im Programm "Lernen vor Ort" werden Modelle erprobt, die ab 2013 schrittweise auf alle Kommunen übertragen werden sollen. Auf der Jahreskonferenz haben die Kommunen und die Stiftungen gezeigt, was sie in den letzten zwei Jahren konkret angepackt und vor Ort umgesetzt haben. Zum Beispiel der "Dresdner Bildungsbus", der mit kostenlosen Beratungsangeboten zu Bildung, Beruf und Beschäftigung regelmäßig durch Dresden und Umgebung tourt. Bildung kommt hier zu den Bürgern. Oder der Lübecker Bildungsfonds, der unter anderem auch Kosten für die offene Ganztagsschule, die betreute Grundschule oder Sport- und Musikangebote übernimmt. Unser Programm zeigt die ganze Kreativität, die in den Kommunen freigesetzt wird, wenn Bildung zum Anliegen aller geworden ist.
Online-Redaktion: Welche Rolle können Ganztagsschulen in einer kommunalen Bildungslandschaft spielen?
Haugg: Ganztagsschulen kooperieren schon jetzt erfolgreich mit der Kinder- und Jugendhilfe, mit Familienzentren, Kindergärten, Trägern der kulturellen Bildung und des Sports sowie der regionalen Wirtschaft. Alle Beteiligten profitieren davon. Gute Ganztagsschulen stehen oft im Zentrum einer Bildungslandschaft.
Die Studie des Deutschen Jugendinstituts "Lokale Bildungslandschaften in Kooperation von Ganztagsschule und Jugendhilfe" hat gezeigt, wie notwendig eine integrierte Fachplanung ist, die neben der Schulentwicklungsplanung auch Jugendhilfe-, Sozial-, Kultur- und Raumplanung einbezieht. Die Devise heißt: Nicht neben-, sondern miteinander werden Bildungslandschaften entwickelt und umgesetzt. Gewinner sind die Kinder und Jugendlichen.
Die Studie zeigt zugleich, wie wichtig die Partizipation der Kinder und Jugendlichen in Bildungsnetzwerken ist, die echte Teilhabe an den Planungs- und Entscheidungsprozessen. Oft wird noch unterschätzt, wie viel Kinder und Jugendliche zur Bildungslandschaft beitragen können. Sie gestalten damit ihre eigene Zukunft. Bildungslandschaften sind auch so etwas wie ein Lernort für kommunalpolitisches Engagement, das wir dringend brauchen.
Online-Redaktion: Ein neuer Begriff ist das "Bildungsmonitoring". Brauchen Kommunen und Städte eigene Bildungsberichte?
Haugg: Ja, davon bin ich überzeugt. Wenn wir bestimmte Problemlagen angehen wollen, müssen wir zunächst einmal wissen, wo wir stehen. Die relevanten Daten werden übrigens zum großen Teil ohnehin schon in den Kommunen erhoben, nur eben oft nach Ressorts getrennt. Wir müssen sie systematisch zusammentragen, um daraus ein Gesamtbild zu gewinnen: Wie sehen die Übergänge von der Grundschule in die Sekundarstufe aus? In welchem Stadtteil verlassen besonders viele Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Schulabschluss? Wie viele Jugendliche haben einen Ausbildungsplatz? Welchen Weiterbildungsbedarf gibt es? Alles das sind Fragen, für die Sie handfeste Zahlen und Daten brauchen, wenn Sie wirksam Einfluss nehmen wollen.
Online-Redaktion: Welchen Beitrag können Bildungslandschaften und Bündnisse für Bildung für mehr Chancengerechtigkeit leisten?
Haugg: Sie können eine Antwort auf die Frage geben, wie wir vor dem Hintergrund des demografischen Wandels genügend hoch qualifizierte Fachkräfte gewinnen, wie wir Kindern und Jugendlichen einen gerechten Zugang zu Bildung ermöglichen und soziale Ausgrenzung vermeiden. Bildungspartnerschaften sind immer auch Verantwortungsgemeinschaften für die Zukunft unseres Gemeinwesens. Ich betone noch einmal: Die Herausforderungen an unser Bildungssystem können heute nicht mehr nur durch Einzelmaßnahmen und punktuelle Nachbesserungen bewältigt werden, sondern nur durch Bündnisse, in denen sich die für Bildung Verantwortlichen zusammenschließen. Auf der lokalen Ebene können die Bedarfslagen am besten abgeschätzt und Lösungsmöglichkeiten entwickelt werden. Durch Kooperationen können innovative Formen gefunden und das zivilgesellschaftliche Engagement stärker eingebunden werden.
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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