Von Projekten zu Strukturen! Auf dem Weg zur KulturSchule : Datum: Autor: Autor/in: Tom Braun
In den letzten Jahren sind vielfältige Kooperationen von Schulen mit Kultureinrichtungen entstanden. Einzelne Schulen haben bereits damit begonnen, die Prinzipien der kulturellen Kinder- und Jugendbildung, die sie in Kooperationsprojekten kennen und schätzen gelernt haben, in der Schulkonferenz anzuwenden: Sie lösten den 45-Minuten-Takt auf, um kreativen Lernprozessen Zeit und Raum zu geben; sie experimentierten in Bio-Mathe-Deutsch mit künstlerischen Methoden und holten schulmüde Kinder zurück, indem sie die Schule ins Zirkuszelt verlagerten.
Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass kulturaktive Schulen nicht bloß ein attraktiver Lern-, Arbeits- und Aufenthaltsort für Lehrer/innen und Schüler/innen sind, sondern zugleich auch in Flächenevaluationen gut abschneiden. Deshalb ist es ein Ziel der BKJ, ein übertragbares Verfahren zu entwickeln, das es jeder interessierten Schule ermöglicht, ästhetisch-kulturelle Praxis nachhaltig zum leitenden Prinzip ihres Schullebens zu machen, Kooperationen mit externen Kulturpartnern im Sinne einer integrierten Lehr- und Lernpraxis zu verstetigen und Qualitätsentwicklung für ein stärkenorientiertes Bildungsverständnis systematisch zu sichern.
Über 200 Lehrer/innen, Kulturpädagogen/innen und Künstler/innen tauschten sich auf Einladung der BKJ am 6. und 7. März in Berlin über erste Schritte zu einem Verfahren kultureller Schulentwicklung aus. Wie gelingt ein kulturelles Schulprofil? Welche Qualitäten zeichnen es aus? Welche Strukturen braucht eine KulturSchule? Diese und weitere Fragen diskutierten die Teilnehmer/innen mit Vertreter/innen aus Praxis, Politik und Wissenschaft.
Was macht die Vision einer KulturSchule aus?
"Die aktuelle politische Diskussion dreht sich mit schwerer Unwucht einseitig um die formale Bildung. Bildung als Schlüssel für Teilhabe anzusehen heißt für Akteure der Kulturellen Bildung deshalb, sich aktiv dafür einzusetzen, dass Schulen ihre Bildungskonzepte und Methoden im Sinne ganzheitlicher Bildung sowie individueller Kompetenzförderung erweitern, sich für alle Künste im Unterricht wie auch als Chance für eine fächerübergreifende Lern- und Schulkultur öffnen."
Deutliche Worte, mit denen Dr. Gerd Taube, stellvertretender Vorsitzender der BKJ, in seiner Eröffnungsrede die gesellschaftspolitische Relevanz eines umfassenden Bildungsangebots für alle Kinder und Jugendliche bekräftigte. Und er fuhr fort: "Hierfür übernehmen die Fachorganisationen der außerschulischen kulturellen Kinder- und Jugendbildung Verantwortung und entwickeln sich zu Bildungspartnern für Schulen, aber auch die Schulstrukturen müssen verändert werden."
Mehr kulturelle Bildung in der Schule
Diese Einschätzung unterstützte Tom Braun, Leiter des Modellprojekts "Lebenskunst lernen": "Viele Kooperationen von Kultur und Schule begeistern Schülern/innen, Lehrern/innen und Eltern gleichermaßen. Die Partner im Modellprojekt melden uns aber auch zurück, wie schwierig es für engagierte Lehrer/innen und Kulturpartner ist, ein umfassendes Bildungskonzept umzusetzen, wenn die kulturelle Dimension in der Schule ein Fremdkörper ist. Kunst und Kultur brauchen Zeit, Räume und Mitbestimmungsmöglichkeiten aller."
Hans-Peter Bergner, Referatsleiter "Außerschulische Jugendbildung" im Bundesjugendministerium (BMFSFJ), hob in seinem Grußwort die Bedeutung der bisherigen Arbeitsergebnisse im Netzwerk "Kultur macht Schule" der BKJ hervor. "Die gesammelten Praxiserfahrungen haben sich heute schon als unersetzbar erwiesen", betonte er. Mit Blick in die Zukunft fuhr er fort: "Ich bin sicher, mit so viel schöpferischem Potential können Sie nicht nur die Schulgebäude verändern, sondern auch die gesamte Schulkultur."
Jede allgemein bildende Schule muss ihrem Anspruch nach eine KulturSchule sein!
"Teilhabegerechtigkeit braucht eine neue Bildungsqualität!", so die Forderung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Für jede Schule muss es deshalb möglich werden, Kunst und Kultur in den Mittelpunkt ihrer Bildungsarbeit zu stellen. Hierfür gilt es, zukünftig ein übertragbares Verfahren "Kulturelle Schulentwicklung" zu erarbeiten. Kulturelle Schulentwicklung umfasst alle Ebenen einer Schule: die Lehr- und Lernsituation ebenso wie den so genannten "geheimen Lehrplan", die Vernetzung im Sozialraum und die Zusammenarbeit mit Bildungspartnern. Einbezogen werden auch die organisatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen, die Qualitätsentwicklung und Qualifizierung des Personals.
Mit der KulturSchule zu mehr Bildungsgerechtigkeit!
"Wir brauchen den Wandel von der traditionellen Schule als Unterrichts- und Belehrungsanstalt zur KulturSchule bzw. zum Kreativen Feld", forderte Prof. Dr. Olaf-Axel Burow von der Universität Kassel in seinem Vortrag. Sonst dynamisiere Schule aufgrund ihrer bisherigen Strukturen in der Gesellschaft wirksame Ausschlussprozesse, statt Benachteiligung abzubauen.
Als eine wichtige Voraussetzung stellte er klar, dass es gelte, Konzeptionsarbeit zu leisten statt nur Systemoptimierung zu betreiben. "Zukunftsfähige Schulen entstehen nicht durch eine Optimierung des traditionellen Schulmodells, sondern durch eine Überwindung der Grammatik der Schule,," wie z. B. des 45-Minuten-Takts des Unterrichts, betonte Burow.
Schule als Ort der Selbstverständigung
Thomas Rihm von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg verwies in seinem Vortrag deshalb auf die Bedeutung einer wirksamen Teilhabe vor allem der Schülerinnen und Schüler an der Entwicklung von Schule. "Die institutionelle Unterstützung von Kindern und Jugendlichen in ihren Versuchen der lernenden Selbstverständigung durch die selbstbestimmte Entwicklung von Weltbeziehungen sind der Ausgangspunkt", so Rihm. "Dies bedeutet, die Frage nach dem ,Kerngeschäft von Schule' erneut zu stellen und anders als bisher zu beantworten."
Aus Erfahrungen lernen
Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern von Schulen, die sich bereits auf den Weg zur KulturSchule gemacht haben. Brigitte Reinbacher-Kaulen von der Helene-Lange-Schule Wiesbaden, Sabine Ahrens-Nebelung von der Louise-Schröder-Schule Hamburg (Träger des Sonderpreises "KulturSchule" im BKJ-Wettbewerb MIXED UP, 2008) und Aleksander Dzembrizki von der Rütli-Oberschule Berlin-Neukölln berichteten von unterschiedlichen Wegen und Ansätzen.
Dabei wurden Fragen der Zugangsmöglichkeiten und der Vernetzung im Stadtteil mit dem Publikum diskutiert. "Kulturelle Bildung für JEDES Kind", so Sabine Ahrens-Nebelung, müsse die Leitgedanke für eine KulturSchule lauten. Für die Louise-Schröder-Schule gelte gerade wegen ihrer kulturellen Schulentwicklung, dass sie kein Auswahlverfahren unter interessierten Schülerinnen und Schülern durchführe. Stattdessen sei ihre Schule für die Kinder im Stadtteil, unabhängig von familiären Hintergründen, da. Als Träger des MIIXED UP-Sonderpreises "KulturSchule" legt die Louise-Schröder-Schule großen Wert auf Kooperationen mit Kulturpartnern aus ihrem Stadtgebiet. Die Grundkonzeption sieht für jeden Schüler und jede Schülerin pro Schuljahr ein kulturelles Basis- und ein Zusatzprojekt vor.
Verbunden werden auf diese Weise Klassenunterricht und klassenübergreifende Projekte, der Wahlpflichtbereich sowie auch nachmittagliche Kurse in der Ganztagsschule. Jedes Kind erhält die Möglichkeit, auf Wunsch ein Instrument zu erlernen. Bezeichnend ist die Tatsache, dass die Schulleitung die Kulturangebote vorrangig behandelt: Diese Stunden dürfen nicht ausfallen. Das gesamte Kollegium gibt den kulturellen Aktivitäten den notwendigen Raum, die Künstler und Künstlerinnen werden als Tandempartner in den Unterricht mit eingebunden.
Prof. Dr. Max Fuchs, Vorsitzender der BKJ, wies darauf hin, dass es nun darauf ankomme, aus den vorliegenden Erfahrungen zu lernen. Das heißt,. zu überprüfen, ob und welche Erfahrungen auf andere Schulen übertragbar seien: "Aus diesem Grund planen wir in der BKJ nunmehr eine Zusammenstellung von Fallstudien, wobei es uns nicht darum geht, eine Reihe idealtypischer Schulen vorzustellen, die in der Praxis nur eine abschreckende Wirkung erzielen würden, sondern wir suchen nach solchen Schulen, die sich auf den Weg gemacht haben und zumindest in einzelnen Bereichen die Mühen der Ebenen beschritten haben."
Ästhetisch-kulturelle Praxis
Die Diskussionen während der Tagung haben deutlich gemacht, dass es einer KulturSchule gelingen muss, ästhetisch-kulturelle Praxis nachhaltig zum leitenden Prinzip ihres Schullebens zu machen. Es gilt, Kooperationen mit externen Kulturpartnern im Sinne einer integrierten Lehr- und Lernpraxis zu verstetigen. Zusammen mit Kulturpartnern muss Schule sich aktiv an den Entwicklungsprozessen für den sie umgebenden Sozialraum beteiligen. Es muss systematisch eine Qualitätsentwicklung für ein stärkenorientiertes Bildungsverständnis gesichert werden.
Viola Kelb, Bildungsreferentin der BKJ und Leiterin des Wettbewerbs "MIXED UP/Kultur macht Schule" verdeutlichte in ihrem Vortrag: "Ging es bisher vor allem um Kooperationsentwicklung, so muss jetzt ein neuer Schritt hinzukommen: Neben der Förderung von Kooperationen zwischen Schulen und außerschulischen Kulturträgern geht es jetzt auch um Schulentwicklung."
Eine Sammlung vorläufiger Arbeitsergebnisse, die kontinuierlich weiterentwickelt werden, stellt die BKJ in einer "Werkzeugbox kulturelle Schulentwicklung" als Online-Tool zur Verfügung. Neben ersten Entwürfen von Arbeitshilfen werden in der Werkzeugbox bereits bestehende Konzepte und Instrumente der BKJ und verschiedener derzeitig im Themenfeld aktiver Fachvertreter gebündelt. So stehen zum Beispiel die von Max Fuchs verfassten "Leitlinien einer kulturellen Schulentwicklung" zum Download bereit.
Zur Verfügung steht auch ein "Qualitätstableau für kulturelle Schulentwicklung", das Viola Kelb im Rahmen der Tagung vorstellte. Es fasst in seiner vorläufigen Fassung die Dimensionen zusammen, die im derzeitigen Fachdiskurs rund um das Thema "kulturelle Schulentwicklung" eine Rolle spielen, und stellt von individuellen Prozessen des einzelnen Subjektes bis hin zu konzeptionellen Grundlagen und politischen Rahmenbedingungen die Vielschichtigkeit des Themas übersichtlich dar.
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