Tom Braun: Ganztagsbildung ist mehr als Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Seit Jahresanfang ist Tom Braun der neue Geschäftsführer der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ). Im Interview benennt er seine Schwerpunkte und die Agenda für das gerade begonnene Jahr.
Online-Redaktion: Herr Braun, Sie haben am Jahresanfang die Nachfolge von Hildegard Bockhorst als Geschäftsführer der BKJ angetreten. Was bringen Sie an Erfahrungen und Ideen für diese Position mit?
Tom Braun: Ich arbeite seit 2007 bei der BKJ, wobei mein Schwerpunkt bisher auf dem Arbeitsfeld „Kultur macht Schule“ lag. Zu Beginn leitete ich das vom Bundesjugendministerium geförderte Modellprojekt „Lebenskunst lernen. Mehr Chancen durch Kulturelle Bildung!“. Dort ging es um die nachhaltige Verankerung von Bildungspartnerschaften, hauptsächlich von Förder- und Hauptschulen mit außerschulischen Kulturpartnern.
Aus dem Modellprojekt ist unser Ansatz der kulturellen Schulentwicklung entstanden, den wir unter den Begriff „Auf dem Weg zur Kulturschule“ gebracht haben. Dahinter steht die Frage, wie Schulen kulturelle Profile entwickeln können, die es ihnen ermöglichen, leichter und wirkungsvoller mit außerschulischen Kulturpartnern zusammenzuarbeiten. Es geht also um eine gemeinsame Verantwortung von Kultur und Schule für ein gerechtes Aufwachsen von Jugendlichen und Kindern in lokalen Bildungslandschaften. Seit 2011 leitete ich dann schließlich das bei der BKJ angesiedelte Landesbüro Nordrhein-Westfalen im Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“.
Weil meine Tätigkeit schon immer auf den Bereich der Kooperation und Koproduktion fokussiert gewesen ist, war ich bereits mit vielen anderen Arbeitsfeldern der BKJ befasst: Dazu gehörten die Freiwilligendienste für Kultur und Bildung, der Bereich der Anerkennung nonformalen Lernens mit dem Stichwort „Kompetenznachweis Kultur“, der internationale Jugendkulturaustausch, die inter- und transkulturelle Arbeit und die Bildung für nachhaltige Entwicklung. . Dies hat mir auch eine intensive Zusammenarbeit mit vielen unserer Mitglieder ermöglicht, was mir nun den Einstieg in meine neue Aufgabe erleichtert.
Online-Redaktion: Bringen Sie eine bestimmte Philosophie in Ihre neue Position ein?
Braun: Ich fühle mich der Perspektive Teilhabegerechtigkeit als Koproduktion der verschiedenen gesellschaftlichen Akteure verpflichtet. Und dies deckt sich mit der Philosophie der BKJ. Derzeit stehen wir an dem Punkt, die begonnenen Kooperationen von Schulen und außerschulischen Partnern fortzusetzen. Wir müssen dabei dringend die Qualitätsdebatte führen, wenn wir zum Beispiel auf die Ganztagsschulen und die Übermittagsbetreuung schauen. Ein weiteres wichtiges Thema im Bereich „Kultur und Schule“ betrifft den Aspekt freier Zeiten und Räume. Besonders Jugendliche beklagen Zeitverdichtung und Qualifizierungsdruck.
Online-Redaktion: Welchen Schwerpunkt wollen Sie inhaltlich setzen?
Braun: „Weltgestalter brauchen Freiraum. Zeit für Kulturelle Bildung!“ Dieses Motto stellt die BKJ im Jahr 2014 ihrem Einsatz für kulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen voran. Wir sind überzeugt, dass junge Menschen freie Zeiten und Räume benötigen, in denen sie spielerisch und künstlerisch experimentieren und ohne einen vorgegebenen Zweck ihren eigenen „Forschungsfragen“ nachgehen können. Besonders wichtig ist die Frage der Zugänge, die noch bei weitem nicht für alle Kinder und Jugendlichen gegeben sind. Wie können wir die dafür notwendigen Freiräume gestalten; wie können wir dafür sorgen, dass Schule und andere Partner diese Freiräume, die Jugendliche zum Beispiel sehr dringend benötigen, in den Konzeptionen mitdenken? Hier wollen wir Partner sein.
Und wir werden in den kommenden Monaten natürlich den Dialog mit der Jugend-, Bildungs- und Kulturpolitik suchen. Jugend-, kultur- und bildungspolitische Entscheidungen haben immer auch der Frage standzuhalten, ob sie kulturelle Teilhabe und gerechte Bildungschancen öffnen und nachhaltig sichern.
Online-Redaktion: Sie sprachen die Qualitätsdebatte an, bei der man auch schnell beim Sprichwort „Qualität hat ihren Preis“ anlangt. Wie würden Sie die Situation hier beschreiben?
Braun: Die Kooperation der unterschiedlichen Systeme – schulische Bildung, Kinder- und Jugendbildung und die kulturpolitische Förderung – ist auch nach zehn Jahren noch nicht zufriedenstellend. Wir brauchen ein gesamtgesellschaftliches Verständnis, dass es einer alleine nicht schafft, sondern diese drei Sektoren gemeinsam dafür sorgen müssen, dass Kinder und Jugendliche stark für das Leben werden. Wir müssen die Lokalen Bildungslandschaften stärker inklusiv und sozialräumlich gestalten.
Die Bildungslandschaften werden hauptsächlich durch die Kommunen gesteuert und ausgestaltet. Hier müssten wir stärker dafür Sorge tragen, dass die zivilgesellschaftlichen Partner, Verbände, Initiativen vor Ort oder Elternvereine einbezogen werden. Neben einer Projektfinanzierung brauchen wir dabei eine verlässliche Förderung für Infrastruktur auf kommunaler Ebene, auf Länderebene, aber auch auf Bundesebene. Der Koalitionsvertrag schildert dies als wünschenswert, und wir werden darauf achten und uns dafür einsetzen, dass dies auch geschieht.
Dass beispielsweise Kulturpädagoginnen und Kulturpädagogen, Künstlerinnen und Künstler, die sich in diesem Bereich engagieren, keine verlässliche Vergütung erhalten, ist ein zu bearbeitendes Problem. Es ist zugleich ein Symptom dafür, dass die Idee einer kooperativen Ganztagsbildung noch nicht gemeinsam umgesetzt worden ist. Es braucht ganz dringend eine Steigerung der Ausgaben in den Ländern und Kommunen und hier eine bessere vertikale Vernetzung von Bund, Ländern und Kommunen.
Online-Redaktion: Nehmen Sie abseits der Finanzen derzeit Bewegungen wahr, die in die richtige Richtung weisen?
Braun: Eine wichtige Bewegung ist die Bundesinitiative für eine Eigenständige Jugendpolitik, die eine ressortübergreifende Verantwortung für das Aufwachsen junger Menschen hervorhebt. Hier engagieren wir uns intensiv. Und es gibt momentan ein sehr starkes Programm „Kultur macht stark“ des Bundesbildungsministeriums. Wir wollen hier eine gemeinsame Bildungsverantwortung umsetzen. Die 34 Programmpartner haben eine so genannte Ständige Konferenz eingerichtet, die von der BKJ koordiniert wird. Diese Ständige Konferenz hat es sich zur Aufgabe gemacht, Vernetzung und Fachaustausch zwischen den Programmpartnern sowie den öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Partnern voranzutreiben. Wir brauchen diese zivilgesellschaftliche Seite entsprechend dem Leitbild „Bildung als Koproduktion“ in der Programmsteuerung und -umsetzung unbedingt: Die zivilgesellschaftlichen Partner haben auf Bundesebene besondere fachliche Kompetenzen und sorgen für den Dialog mit der lokalen Ebene, die vor Ort in den Lebenswelten und Lebenslagen der Kinder und Jugendlichen aktiv und kompetent ist.
Online-Redaktion: Was bringt das Jahr 2014 an Projekten?
Braun: Aktuell hat die Wettbewerbsphase in unserem Kooperationswettbewerb „MIXED UP“ begonnen, bei dem wir jährlich gemeinsam mit dem Bundesjugendministerium fünf Preise vergeben. Seit 2013 wird in MIXED UP zusätzlich ein Länderpreis vergeben. Nachdem im letzten Jahr der Freistaat Sachsen den Auftakt gemacht hat, wird der MIXED UP Länderpreis dieses Jahr in Kooperation mit dem Land Berlin verliehen werden. Daneben wenden wir uns unter anderem zwei weiteren Themen verstärkt zu: Erstens der Inklusion. Da haben wir ein breites Inklusionsverständnis. Mit dem geht es uns um eine Agenda für Vielfalt in lokalen Bildungslandschaften. Zweitens bewegt uns der „Digital Gap“ in der Kulturellen Bildung. Kinder und Jugendliche sind heute „Digital Natives“, sie teilen die Welt nicht mehr in eine digitale und eine analoge Wirklichkeit. Das wird noch nicht ausreichend anerkannt und berücksichtigt. Es ist nicht akzeptabel, wenn junge Menschen ihr „mediales Ich“ ablegen müssen, bevor sie einen Probenraum, eine Werkstatt oder ein Atelier oder auch eine Schule betreten. Hier liegen noch einige spannende Herausforderungen für uns!
Kategorien: Kooperationen - Lokale Bildungslandschaften
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