Schulfach Film: „Einen in der Klasse, der das kann, gibt es immer“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Der Filmemacher Thomas Veit plädiert im Interview für einen stärkeren Einsatz von Film in Schule und Unterricht. Filme ermöglichen es, Lerninhalte zu verbinden und sich kreativ auszudrücken.

Online-Redaktion: Herr Veit, Sie sind Filmemacher. Wie hat sich Ihre Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern ergeben?

Thomas Veit: Das ist eigentlich ein Zufall gewesen. Ich habe 2011 das Lied „Keine wahre Geschichte“ des Rappers Sammy Deluxe gehört, in dem es um Mobbing an Schulen geht. Dieser Song war besonders, weil er wie ein Drehbuch getextet war. Ich hatte sofort Filmbilder vor mir und kam auf die Idee, dass sich eine Verfilmung dieses bereits so filmischen Liedes doch als schönes Projekt an einer Schule anböte. Ich habe mich daraufhin mit Sammy Deluxe getroffen und sein Einverständnis für diese Idee eingeholt, von Schülerinnen und Schülern einen Film über sein Lied drehen zu lassen.

Online-Redaktion: Wo haben Sie das Projekt dann realisieren können?

Veit: Ich habe 2012 die Tulla-Realschule in Mannheim gefunden, die dafür direkt eine Projektwoche organisierte, und mich mit einer 9. Klasse an die Arbeit gemacht. Die Klasse hat sich per Wahl für zwei Hauptdarsteller aus ihren Reihen entschieden und dann an drei Tagen gedreht. Wir hatten keine fremde Hilfe, die Klasse hat alles allein organisiert. Was ich da erlebt habe, hat meine kühnsten Erwartungen übertroffen. Nicht nur, dass der Film am Schluss drei Preise erhalten sollte, sondern es war vor allem die Art und Weise, wie die Jugendlichen mitgezogen haben, die mich begeistert hat.

Lehrerinnen und Lehrer haben mir bestätigt, dass introvertierte Schüler aufgeblüht sind, oder dass auch die, die es sonst mit Pünktlichkeit und Anwesenheit nicht so hatten, immer auf den Punkt da waren und akribisch und fleißig mitgearbeitet haben. Film ist Teamwork. Es kommt auf jeden Einzelnen an, und jeder muss mit jedem zusammenarbeiten. Da gibt es keine Wortführer und Mitschwimmer, wie sie in der klassischen Gruppenarbeit vorkommen. Nur wenn man ein Team ist, kann auch ein Film entstehen.

Online-Redaktion: Dieses erfolgreiche Projekt hat Ihnen dann Lust auf mehr gemacht...

Dreharbeiten zu "Keine wahre Geschichte"
Dreharbeiten zu "Keine wahre Geschichte" © Thomas Veit

Veit: Es gab mir den Impuls, darüber nachzudenken, wie man Film systematischer in den Schulunterricht einbinden könnte. Nicht wie so oft aufklärend, über Medien dozierend, sondern mit dem Ziel, die Schülerinnen und Schülern die künstlerische Kraft dieses Mediums unmittelbar erleben zu lassen. Dass Schulen dies vermögen, hatte ich bei meinem Studium in Vancouver erfahren: Dort traf ich einen 19-Jährigen, der über ein ungeheures Wissen über Kamera und Schnitt verfügte. Er erzählte mir, dass er seit seinem zwölften Lebensjahr Filme drehte – und zwar in der Schule.

In Kanada gibt es Fächer, die sich nach den Talenten der Schülerinnen und Schüler richten, und ein so genanntes Cross-Curriculum. Wenn beispielsweise im Geschichtsunterricht ein spezielles Thema erarbeitet worden ist, können sich die Klassen an den Filmkurs an ihrer Schule wenden. Gemeinsam überlegt man, wie sich das Thema filmisch umsetzen lässt. Der Kunstkurs steuert dann wiederum Kulissen und Ähnliches bei. So kommen verschiedene Kurse zusammen, arbeiten an einem Thema, und jeder lernt dabei etwas aus verschiedenen Blickwinkeln. Ich finde es toll, wenn sich ein Schulsystem an den Talenten der Schülerinnen und Schüler ausrichtet.

Online-Redaktion: Wie vermitteln Sie Ihr professionelles Wissen?

Veit: Ich habe einen Lehrauftrag an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main angenommen und den Lehramtsstudierenden gezeigt, was mit Film alles möglich ist. Meiner Ansicht nach ist Film ausgesprochen gut dazu geeignet, Lernstoff in einer kreativen Art und Weise rüberzubringen. So kann man beispielsweise Textanalysen, die sonst oft dröge sind, auch an Drehbuchauszügen vornehmen. Drehbücher kann man ganz legal im Internet runterladen.

Auch kreatives Schreiben lässt sich mit Film verbinden. Ein Thema wie Erwachsenwerden, das in den Curricula des Englischunterrichts in Baden-Württemberg und Hessen vorgesehen ist, kann man als Aufhänger für ein Drehbuch nutzen. Es muss ja nicht mal verfilmt werden, obwohl es heutzutage ein Klacks ist, in der Schule einen Film zu drehen. Ich brauche nicht mal mehr eine Kamera dafür, es reicht ein Handy. Daneben gibt es im Internet kostenlose Schnittprogramme, die sehr einfach zu bedienen sind. Und einen in der Klasse, der das kann, gibt es immer.

Online-Redaktion: Sie haben auch einen Film-Workshop mit Schülerinnen und Schülern am Goethe-Gymnasium Frankfurt am Main durchgeführt. Worum ging es da?

Veit: Der Kontakt zum Goethe-Gymnasium ist über meine Tätigkeit an der Universität zustande gekommen. An dieser Ganztagsschule gab es einen sehr engagierten Lehrer und Filmemacher, Subin Nijhawan, der die Idee hatte, mit seiner Klasse eine Dokumentation über junge deutsch-türkische Remigranten in Istanbul zu drehen und die Frage, warum so viele hoch qualifizierte junge Leute, die in Deutschland aufgewachsen und ausgebildet sind, wieder zurück in die Türkei gehen. Er bat mich um Unterstützung. Ich habe daraufhin in Workshops mit den Schülerinnen und Schülern zu verschiedenen Themen wie Interviewtechniken oder Aufbau einer Dokumentation gearbeitet.

Die Jugendlichen haben dann diese 60-minütige Dokumentation hauptsächlich in Istanbul mit etwa zehn sehr interessanten Interviewpartnern gedreht. 60 Minuten sind ein wahnsinniger Aufwand und eine erhebliche Arbeit, die hier investiert worden sind, was ich an sich schon beeindruckend fand. Dieser Film, „Nirgendwo zu Hause – Überall zu Hause”, hat viele Auszeichnungen erhalten, er ist ins Englische und ins Türkische übersetzt worden.

Online-Redaktion: Wie lassen sich solche Filmprojekte generell in den Unterricht einbinden?

Schülerinnen feilen im Workshop am Drehbuch
Stipendiaten der Hertie-Stiftung feilen am Drehbuch © Thomas Veit

Veit: Solche Projekte, wie ich sie geschildert habe, sind wegen ihres Aufwands nur sehr schwer an Schulen zu realisieren. Und nicht jeder ist bereit, so ein Vorhaben ehrenamtlich zu begleiten. Aber es ist definitiv möglich. Ansonsten bleiben zum Beispiel eintägige Workshops, um den Schülerinnen und Schülern und insbesondere den Lehrerinnen und Lehrern Tricks beizubringen. An einem Tag können die Jugendlichen und die Lehrer ausreichend viel über die kreativen Möglichkeiten des Films erfahren.

Oftmals haben die Lehrkräfte Berührungsängste wegen der Technik. Kein Wunder, wenn es Schulen gibt, wie ich es von befreundeten Lehrern gehört habe, die noch mit Dias, Tageslichtprojektoren und Videokassetten arbeiten. Die Ängste kann ich ihnen aber nehmen, indem ich klarstelle, dass es hier nicht um professionelle Ansprüche geht, sondern einfach um die Lust, kreativ tätig zu werden.

Online-Redaktion: Steigt der Einsatz von Film als Medium im Unterricht?

Veit: Ich sehe leider derzeit gar nicht, dass sich die Schulen in Richtung größerer Einbindung von Film in den Unterricht bewegen. Wobei ich das pragmatisch einordne: Bereitschaft und Interesse sind sicherlich da, aber das ist halt in der Hauptsache eine Kostenfrage. Würde ich meine Arbeit gratis anbieten, dann wäre das sicher kein Problem. Außer dass ich in Kürze pleite wäre. Ich bin trotzdem von der Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften begeistert und überzeugt.

Am Anfang sind sie vielleicht skeptisch, aber dann sieht man die Begeisterung und einen unverbrauchten Enthusiasmus, sodass es richtig Spaß macht, zusammenzuarbeiten. Ein Workshop mit Stipendiatinnen der Hertie-Stiftung in Frankfurt ist mir besonders in Erinnerung. Da waren drei junge Damen, die in ihrem Leben noch nie etwas mit Film zu tun hatten. Was die künstlerisch und inhaltlich vollbracht haben, hat mich wirklich sprachlos gemacht. Ich bin nicht nah am Wasser gebaut, aber deren Film hat mich echt sehr gerührt. Und das kriegen nicht nur angehende Lehrerinnen und Lehrer hin, sondern auch Kinder und Jugendliche. Und letztlich sind diejenigen, die die Filme machen, immer am meisten davon überrascht, wie gut die Ergebnisse ausfallen. Wer sich einmal mit diesem Thema beschäftigt, sieht, welches Potenzial das hat.

Zur Person
Thomas Veit studierte Publizistik in Mainz und arbeitete für verschiedene Fernsehsender als Redakteur und Formatentwickler. Nach einem Studium an der Vancouver Film School (Film Production) arbeitete er selbstständig. Er drehte Dokumentationen, Werbespots und Imagefilme für Sportvereine wie die TSG 1899 Hoffenheim und den FSV Mainz 05 und sowie für Wirtschaftsunternehmen. Sein Kurzfilm „Breaking News" wurde beim New Filmmakers Festival New York City gezeigt und ausgezeichnet. Thomas Veit führte Filmworkshops in Schulen und für Stipendiaten der Hertie-Stiftung durch. Zudem war er als Filmdozent im Bereich Didaktik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main tätig. Das gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern umgesetzte Filmprojekt „Keine wahre Geschichte” wurde mit insgesamt drei nationalen Filmpreisen ausgezeichnet.


 

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