Perspektiven für Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Eine Fachtagung in Potsdam stellte Ergebnisse des Projekts „d.art“ vor: Das Weiterbildungsmodell für Künstlerinnen und Künstler an Ganztagsschulen soll in die Breite gehen.
Zwei Schüler, zwei Sichtweisen. „Ich wusste nicht, was kommt“, meint der erste Schüler, „und konnte mich deswegen nicht vorbereiten. Ich hätte noch schönere Sachen zum Ausschneiden finden können.“ Der andere sagt: „Eigentlich ist es besser, man arbeitet mit dem, was man hat. Dann ist man kreativer.“
Die beiden Äußerungen zeigen die Kontrapunkte, die das Projekt „d.art – Didaktik für Kunst- und Kulturschaffende zur Gestaltung außerunterrichtlicher Angebote in Ganztagsschulen“ der Universität Potsdam gekennzeichnet haben: Wie viel Schule darf es sein, wenn Künstlerinnen und Künstler Ganztagsangebote gestalten? Wie kann das Eigene im künstlerischen Schaffensprozess zum Zug kommen?
Im Januar 2017 war die Textil- und Schmuckdesignerin Alena Willroth eine von zwölf Kunstschaffenden, die im Rahmen von d.art für einen Tag die Kunst zu 119 Siebtklässlern in die Potsdamer Voltaireschule brachten. Der Pausengong schwieg, die anderen Jahrgänge blieben zum Studientag zuhause, die meisten Lehrerinnen und Lehrer waren auf einer Fortbildungsveranstaltung. Die Schülerinnen und Schüler im Workshop „Geschmack des Lebens“ von Alena Willroth zerschnitten 1.000 Plastiktüten und setzen sie in Collagen wieder zusammen. Neben dem kreativen Prozess ging aber noch etwas anderes vor sich: die Künstlerin nutzte den Tag, um auch selbst etwas zu lernen.
„Grüße ich die Schüler vor oder im Klassenzimmer?“
d.art ist ein vom BMBF gefördertes Projekt der Universität Potsdam, das eine Weiterbildung für Kunst- und Kulturschaffende konzipiert, durchgeführt und wissenschaftlich begleitet hat. Die Weiterbildung umfasst zehn Seminartage, zwei Praxistage an zwei Schulen sowie eine begleitende individuelle Lernprozessbegleitung. An Praxistagen wie dem an der Voltaireschule erproben die Teilnehmenden ihre Projekte kultureller Bildung an Ganztagsschulen. Im Einzelgespräch und im Austausch mit den anderen Teilnehmenden reflektieren sie ihre Praxiserfahrungen. Im Projekt d.art, an dem insgesamt 41 überwiegend aus Brandenburg kommende Künstlerinnen und Künstler beteiligt waren, kamen Herausforderungen zur Sprache, auf die Pädagoginnen und Pädagogen wohl nicht kommen würden, die aber die Teilnehmenden beschäftigten: „Ich wusste nicht, wann und wo ich die Kinder begrüßen sollte. Vor der Tür oder erst im Klassenraum?“, lautete zum Beispiel eine Frage.
„Für viele Künstlerinnen und Künstler eröffnet sich mit der Arbeit in der Schule ein neues Betätigungsfeld“, so Projektmitarbeiter Henry Utech. So sieht es auch Ute Schrader, die das Projekt an die Voltaireschule geholt hatte: „Den ganzheitlichen Bildungsauftrag, den eine Schule hat, können wir gerade im Ganztag mit Partnern, die ihr fachliches Know-how von außerhalb mitbringen, umsetzen. Oft fehlt es diesen Partnern aber an der pädagogischen Vorerfahrung.“
Die d.art-Fortbildung soll den Teilnehmenden helfen, notwendige pädagogische Kenntnisse zu erwerben. „Es geht vor allem darum, eine pädagogische Selbstwahrnehmung zu entwickeln“, erklärt Utech. Für Projektleiter Prof. Joachim Ludwig ist wichtig: „Die Teilnehmenden lernen, den künstlerischen Prozess zu reflektieren.“
Bildung ist Ent-Selbstverständlichung der Welt
Auf einer Fachtagung „Qualität und Perspektiven für Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen“ am 20. Juni 2017 in Potsdam wurde zum Abschluss des Projekts d.art, das vom August 2014 bis Juli 2017 lief, das Erreichte reflektiert. Darüber hinaus wurden Informationen zu den Themen „Qualität der kulturellen Bildung“, „Finanzierung“ und „Erfolgreiche Kooperationen“ vermittelt.
Mit „etwas Wehmut“ blickt Joachim Ludwig zurück und vergisst nicht, wer eigentlich im Mittelpunkt von d.art stand: „Wir wollen Kinder stärken. Die Schülerinnen und Schüler sollen eine ästhetische Erfahrung von sich selbst und von ihrer Umgebung machen und etwas aus anderen Perspektiven wahrnehmen als gewohnt. Wenn eine Ent-Selbstverständlichung der Welt geschieht, wenn ein neuer Blick entsteht – dann ist Bildung passiert.“
Die Fragen der Künstlerinnen und Künstler waren der Ausgangspunkt im Projekt d.art. So individuell wie die Fragen waren, so entstanden laut Ludwig „ganz individuelle Konzepte, keine Standards“ für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die größte Herausforderung bestand für die Künstlerinnen und Künstler darin, an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler anzuknüpfen. Und das gelang ihnen dann besonders gut, wenn sie als sie selbst auftraten, von ihrer Arbeit erzählten, ihre Biografien einbrachten und nicht versuchten, Lehrerin oder Lehrer zu sein.
Künstler sind keine Missionare
Helmut Ittner, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt d.art, meint: „Kunstschaffende sind nicht frei von der traditionellen Vorstellung der Pädagogik. Woher sollten sie es auch anders wissen? Wenn sie im Bewusstsein der Spannungen sind, die ihre Kunst auslöst, reflektieren sie ihre Rolle – und das ist die Grundlage pädagogischen Handelns.“ Henry Utech ergänzt: „Künstlerinnen und Künstler sollten nicht als Missionare in die Schule kommen. Die Professionen sollten sich gegenseitig achten.“
Im Laufe der Fortbildung veränderte sich Henry Utech zufolge die Sichtweise der Künstlerinnen und Künstler: „Am Anfang haben sie sehr nach außen geschaut: wie funktioniert Schule? Später wurden sie selbstbewusster: Ich schaue auf mich.“ Friederike Maltz, eine Schmuckdesignerin aus Berlin, hat „viel von der Fortbildung mitgenommen, die für mich gerne noch länger hätte sein können“. Aus ihrer Sicht ist ein Künstler „nicht der bessere Pädagoge, aber er bringt eine andere Persönlichkeit ein“.
„Wenn Künstlerinnen und Künstler die Multiperspektivität der Schülerinnen und Schüler anerkennen, entfaltet sich die Zusammenarbeit ganz außerordentlich“, resümiert Joachim Ludwig. Aber er warnt auch vor übertriebenen Erwartungen: „Künstler können nicht die Schulentwicklung anstoßen, die eine Schule von sich aus nicht auf die Reihe bekommt.“
Wanderausstellung und Plattform „Kunst bewegt Bildung“
Das d.art-Team weiß, dass die eigentliche Arbeit erst jetzt beginnt: „Wir haben ein schönes Weiterbildungskonzept entwickelt und suchen jetzt Träger zur Finanzierung der Fortführung“, meint Henry Utech. „Mit der Plattform 'Kunst bewegt Bildung' ist ein Netzwerk etabliert worden, in dem Künstlerinnen und Künstler ihre Angebote an Ganztagsschulen öffentlich machen können.“
Zurzeit sind die Ergebnisse von d.art in einer Wanderausstellung im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport in Potsdam zu sehen, anschließend im Landesinstitut für Schule und Medien und im Studienseminar Potsdam. „Mit der Wanderausstellung wollen wir zeigen, wie Ganztagsschulen von unseren Erfahrungen profitieren und welche überraschenden Projekte Schulkultur beleben können. Und wir möchten den zuverlässigen Kooperationspartner 'Kunst bewegt Bildung' als Netzwerk vorstellen“, erklärt Bildungsstaatssekretär Dr. Thomas Drescher.
Auch Uta Schrader von der Voltaireschule möchte, dass die Kooperation mit Künstlerinnen und Künstler keine Eintagsfliege bleibt, sondern verstetigt wird: „Der Funke an unserer Schule ist an dem Projekttag definitiv übergesprungen. Wir haben uns die Ergebnisse und den Prozess angeschaut und sind begeistert. Die schriftlichen Rückmeldungen der Kinder ermutigen uns. Ein Schüler schrieb, er habe Glücksmomente empfunden. Ein anderer hat erstmals was freiwillig vorgelesen. Eine Schülerin schrieb, sie habe gar nicht gewusst, dass sie so gut zeichnen könne.“
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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