Neue Medien in Ganztagsschulen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Keine Schülerin und kein Schüler kommen mehr ohne Handy, Computer oder Internet aus. Verdrängen die Neuen Medien traditionelle Künste wie Musik, Theater, Tanz?
Prof. Dr. Franz Josef Röll von der Hochschule Darmstadt hat gerade seinen 75 Minuten langen Vortrag „Kulturelle Bildung mit Medien! – Aber wie? Methoden und Tools für die kreative Medienarbeit“ beendet, da meldet sich ein Musiker aus dem Plenum mit einer Frage zu Wort: „Sie haben uns jetzt viele Möglichkeiten der virtuellen Medienarbeit präsentiert. Ich frage mich, ob diese Neuen Medien die alten Künste in der Zukunft vollständig ersetzen sollen. Wo finden die traditionellen Künste ihren Platz?“
Wie in einer Nussschale fokussiert sich in diesem Moment das zentrale Thema dieses Aktionstags Kulturelle Bildung am 21. Mai 2013 im Kulturzentrum „Dortmunder U“. Computer, Internet, Handys, digitale Fotografie, virtuelle Welten – innerhalb des vergangenen Jahrzehnts hat die digitale Revolution auch der Kunst ungeahnte neue Möglichkeiten aufgetan. Und gerade Kinder und Jugendliche, die in diese Welt hineingewachsen sind, können sich ihr Leben ohne Handys, Computer und Internet gar nicht mehr vorstellen. So berichtete auch Prof. Röll: „Als das Handy meiner Tochter neulich drei Tage defekt war, kam es uns vor, als lebe sie auf Entzug.“
Aber wie kreativ lassen sich die Neuen Medien in der Schule einsetzen? Und was ist – siehe oben – dann mit den teilweise Jahrtausende alten Künsten? Der Aktionstag Kulturelle Bildung war eine gute Gelegenheit, über diese Themen zu diskutieren. Dieser Tag wurde gemeinsam von der Landesvereinigung Kulturelle Jugendarbeit Nordrhein-Westfalen (LKJ) und der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) im Rahmen der „Internationalen Woche der kulturellen Bildung“ der UNESCO veranstaltet und wandte sich an Pädagogen, Künstler, Jugendliche und Wissenschaftler, um auch „Anregungen für die Arbeit vor Ort“ zu geben, wie es Kurt Eichler, der Leiter des Kulturbüros der Stadt Dortmund, zur Begrüßung formulierte.
„Wir müssen mit Neuen Medien arbeiten“
Prof. Franz Josef Röll, der den Tag auch mit seinem Impulsreferat „Kulturelle Bildung mit Medien! Wie sich jugendliche Web 2.0-Kompetenz und traditionelle kulturelle Bildungspraxis kreativ verzahnen können“ fundiert hatte, wollte in der Diskussion den Gegensatz schon von der Begrifflichkeit nicht zu stark machen: „Ich spreche nicht von Kunst – denn bei diesem Begriff schwingt gleich wieder der ganze jahrzehntelange Diskurs mit – sondern lieber von einer ästhetischen Erfahrung.“ Seine Botschaft aber war deutlich: Der Köder muss den Fischen schmecken, nicht dem Angler. Übersetzt: „Um Kinder zu erreichen, müssen wir mit Neuen Medien arbeiten.“ Und aus der Symbiose aus Alt und Neu können spannende Projekte entstehen, bei denen die zu vermittelnden Inhalte viel nachhaltiger als durch den traditionellen Deutsch- oder Geschichtsunterricht wirken.
Der Medienpädagoge hat in seinem Berufsleben schon viele Projekte begleitet und dokumentiert. Aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz präsentierte er eine breite Palette interessanter Medienprojekte, zum Beispiel das Video „Landbote 2012“ des Jugendprojekts www.mybuechner.de von Schülerinnen und Schülern des Goethe-Gymnasiums in Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit dem Gallus Zentrum Jugendkultur und Neue Medien, in welchem der Büchner-Text („Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“) mit der aktuellen Finanzmarkt-Situation in Europa kontrastiert wird („Das Leben der Reichen ist ein langer Sonntag…“).
Oder auch: „’Berlin – Die Sinfonie der Großstadt’ ist ein großartiger Film, aber damit können Sie die Jugendlichen von heute kaum beeindrucken. Der Berliner Verein metaversa hat unter dem Titel ‚Surfing the Streets’ eine Handy-Rallye entwickelt, die zu acht Drehorten des Filmes führt und dies mit Rätseln kombiniert. Hier verbindet man die Recherche vor Ort mit der Arbeit am Rechner. Die Reise in die Vergangenheit steht den neuen Blickwinkeln der Gegenwart gegenüber und schafft so eine neue Ebene.“
Die Rolle des Lehrers verschwindet
Die Möglichkeiten, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, sie zu defragmentieren und zu manipulieren, sind nahezu unbegrenzt. Mit Bildbearbeitungsprogrammen können die Schülerinnen und Schüler in einer „Fälscherwerkstatt“ Fotos bearbeiten, um schnell zu realisieren, dass man keinem Bild mehr trauen kann. „Die Themen können die Jugendlichen selbst auswählen; Lehrerin und Lehrer geben nur das Ziel vor. Positiv ist, dass dann Sachen passieren, die ich nicht erwartet habe. Ich lerne so auch etwas von den Schülerinnen und Schülern, ich lerne etwas über sie und kann dann aufnehmen, was sie in den Prozess mit einbringen.“ Die Rolle des Lehrers verschwinde – „ich schaffe nur noch die Lernumgebung und beobachte dann“, so der Wissenschaftler. „Fehler sind dabei die besten Chancen zu lernen, und ein Umweg ist sozusagen die Kompetenz, die Gebietskenntnis zu erweitern.“
Themen aus dem Geschichtsunterricht lassen sich mit Hilfe von Fotobüchern realisieren, die bei Jugendlichen sehr beliebt sind. Das Projekt Ohrenblick.de, das unter anderem vom „JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis“ in München verantwortet wird, bietet jede Menge Möglichkeiten, das Handy auch künstlerisch einzusetzen, um zum Beispiel Handyclips zu Themen wie „Diskriminierung“ oder „Verschwendung von Lebensmitteln“ zu drehen. Röll berichtete: „Die Schülerinnen und Schüler gehen von ihren eigenen sinnlichen Erfahrungen mit solchen Schlagworten aus und entwickeln daraus dann eine Geschichte. Mir ist das selbstständige Arbeiten der Jugendlichen dabei besonders wichtig, die Tatsache, dass sie sich mit einem Gegenstand intensiv auseinandersetzen.“
Ein „absoluter Selbstgänger“ sei das Programm Comic Life: Hier lassen sich Geschichten als Comics gestalten. Mit Google Maps wiederum lassen sich Sozialraumrecherchen unternehmen und eigene Wegweiser zu Lebenswelten erstellen. „Und mit GeoCaching hat eine Klasse die Stadt Amsterdam einmal so gut kennen gelernt, wie sie es durch den Geschichtsunterricht nie geschafft hätte“, erzählte der Medienpädagoge.
Mit Töpfern einen Prozess auslösen
Um die Vernetzung zwischen Alt und Neu überzeugend zu gestalten, komme es indes entscheidend auf die Pädagoginnen und Pädagogen an: „Wenn Sie von einer traditionellen Kulturform begeistert sind, dann nehmen Sie die Schülerinnen und Schüler auch dafür ein. Eine meiner Studentinnen hat zum Beispiel kürzlich in einer Schule mit Töpfern einen Prozess ausgelöst, den ich nicht für möglich gehalten hätte.“
Zum Abschluss des Aktionstages diskutierte ein vierköpfiges Podium über die Rahmenbedingungen, die zeitgemäße Kulturelle Bildung braucht. Kurt Eichler lobte die „vielen Landesprogramme, die die Kommunen dazu befähigen, etwas zu tun“. Man sei insgesamt auf einem guten Weg; entscheidend sei immer auch der politische Wille vor Ort in der Kommune, inwieweit man sich finanziell für Kulturelle Bildung engagiere.
Auch Prof. Max Fuchs, der Direktor der Akademie Remscheid und BKJ-Ehrenvorsitzende, sah „positive Impulse“. Es gebe allerdings weiterhin erhebliche Teilhabeprobleme und soziale Disparitäten, wie Erhebungen des Kulturbarometers gezeigt hätten. „Meine Frau ist Lehrerin an einer Wuppertaler Gesamtschule in einem sozialen Brennpunkt. Wenn dort die Schule keine entsprechenden Angebote macht, kommen 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler dort niemals in den Genuss irgendeines kulturellen Angebots“, meinte Fuchs.
Kulturelle Teilhabe für alle ermöglichen
Bernd Neuendorf, Staatssekretär im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, räumte ein, dass die „Durchdringung des Landes mit Angeboten kultureller Bildung noch im Aufbau“ sei. So gebe es das Programm Kulturrucksack, für welches das Kulturministerium jährlich rund drei Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stelle und mit dem allen Kindern und Jugendlichen kostenlose oder deutlich kostenreduzierte kulturelle Angebote eröffnet werden sollen, bisher nur in etwa 130 der knapp 400 Städte und Gemeinden des Landes. Durch das Landesprogramm „Kultur und Schule“ kämen schon viele Impulse aus dem künstlerischen Bereich besonders im Ganztagsbereich den Schülerinnen und Schüler zugute.
Am Ende des Tages kehrte die Diskussion an ihren Ausgangspunkt zurück: Wie viel digital sollte es denn sein? Max Fuchs bezog hier klar Stellung: „Manfred Spitzer und Christian Pfeiffer erhalten in den Medien viel Aufmerksamkeit für ihren missionarischen Drang, Verbotspädagogik zum state of the art zu erklären. Es für gefährlich zu halten, wenn Kinder sich im Umkreis von zehn Metern zu einem elektronischen Gerät aufhalten, ist aber nicht nur völlig lebensfremd, sondern auch schlichtweg falsch. Stattdessen muss es darum gehen, die Schülerinnen und Schüler anzuleiten, wie sie mit diesen Medien kreativ umgehen können."
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