Musik ist Trumpf im sächsischen Ganztagsangebot : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Der Landesverband Sachsen im Bundesverband Musikunterricht kämpfte schon um sein Fach. Jetzt steht es in der Ganztagsangebotsverordnung. Für Vorstandsmitglied Heiko Vogel gehört Musik gerade in den Ganztag.
Online-Redaktion: Was zählt zu den Aufgaben des sächsischen Bundesverbandes Musikunterricht?
Heiko Vogel: Wir sind so etwas wie ein Berufsverband der Musiklehrerinnen und Musiklehrer. Aber nicht im Sinne einer Gewerkschaft. Unser Verband setzt sich für die Förderung des Musikunterrichts und des Musiklebens ein. Dazu gehört, dass wir Kongresse veranstalten, die zur Vernetzung beitragen und den Austausch über aktuelle Entwicklungen ermöglichen. Die Kongresse sind zumeist besondere Ereignisse. Denn bei uns geht es dann zwar auch um Theorie, und es gibt Vorträge und Workshops. Aber da klingt auch immer viel – das heißt, es wird intensiv gemeinsam musiziert. Und natürlich diskutiert, etwa über die Frage wie eine Bandklasse funktioniert oder wie Musikunterricht und Ganztagsangebote verzahnt werden. Wir bieten als Verband außerdem Fortbildungen an und stellen große Events wie „Schule-tanzt“ auf die Beine. Darüber hinaus tragen wir unsere Ideen und Vorschläge, aber auch die Bedürfnisse unserer Berufsgruppe an die Hochschulen und an die Landespolitik heran.
Online-Redaktion: Sind Musiklehrkräfte so etwas wie Exoten im Kollegium?
Vogel: Wenn Sie einmal an die Schulen schauen, stellen sie fest, dass wir das in gewisser Form auch sind. Ich würde uns zwar nicht als Exoten bezeichnen, da wir Lehrkräfte wie alle anderen sind und ja auch noch ein zweites Fach unterrichten. Richtig ist auf jeden Fall, dass sich Musiklehrerinnen und -lehrer in den Schulen immer ein bisschen einsam fühlen. An der Kurfürst-Moritz-Schule arbeiten beispielsweise, obwohl wir ein extrem ausgeprägtes Musikprofil haben, aktuell zwei Musiklehrkräfte – im Fach Deutsch sind es zehn. Wenn einer der beiden Musiklehrkräfte einmal ausfällt, wird es mit dem Austausch schon schwierig. Ich beobachte, wie sich die Zahl der Musiklehrkräfte landes- und bundesweit entwickelt. Wenn es in Sachsen so weiterginge wie momentan, würde in 20 Jahren nur noch jede siebte Oberschule einen neuen Musiklehrerbekommen... Dramatisch.
Online-Redaktion: Was kann Ihr Verband dann tun?
Vogel: Wir möchten natürlich auch auf diese Tendenz und die Folgen aufmerksam machen, ihr also entgegenwirken. Kommunikation und Vernetzung helfen, auf dem Stand der Entwicklung zu sein und neue Ideen aufzusaugen. Unsere Treffen sind immer sehr inspirierend. Darum wundert es mich nicht, dass wir alleine in Sachsen rund 300 Mitglieder haben. Der Bundesverband Musikunterricht hat insgesamt zwischen 7.000 und 8.000 Mitgliedern.
Es liegt auf der Hand, dass auch die Schulen von unserem Engagement profitieren und am Ende natürlich auch die Schülerinnen und Schüler. Ohne den Verband gäbe es beispielsweise den Wettbewerb „Schule-tanzt“ nicht. Wie wichtig es ist, dass sich die jungen Musikerinnen und Musiker einem großen Publikum präsentieren können, ist kein Geheimnis. Sie lernen als Team aufzutreten, zusammen zu agieren. Sie erleben Selbstwirksamkeit und gewinnen Selbstvertrauen.
Online-Redaktion: Wie bringen Sie Ihre Wünsche bei Hochschulen und der Politik ein?
Vogel: Wir gehen nicht auf die Straße und demonstrieren, sondern suchen den direkten Kontakt. Etwa, wenn es um Neuerungen in der Musik geht, die unserer Meinung nach in die Ausbildung der Lehrkräfte einfließen sollten. Sachsen hat immerhin zwei namhafte Musikhochschulen, die auch Musiklehrerinnen und -lehrer ausbilden: die Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ in Dresden und die Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig.
In Sachen Politik möchte ich ein konkretes Beispiel nennen. Als vor einigen Jahren Gedanken einer Stundenplanreduzierung für das Fach Musik die Runde machten, haben wir den Austausch mit dem Ministerium gesucht und gefunden. Wir haben deutlich gemacht, wie wichtig Musik für die Persönlichkeitsentwicklung ist. Damit sind wir auf offene Ohren gestoßen. Als Ergebnis wurde 2019 Musik als „zwingender Sinn von Ganztag“ in die Sächsische Ganztagsangebotsverordnung aufgenommen. Das hat zur Folge, dass den Schulen Geld zur Verfügung steht, einerseits, um Musikinstrumente anzuschaffen, und zweitens, um Honorarkräfte für Musik im Ganztag zu engagieren. Das hat den Stellenwert deutlich erhöht.
Online-Redaktion: Warum müssen Musiklehrkräfte überhaupt um den Wert des Musikunterrichts kämpfen?
Vogel: Die Frage ist schwer zu beantworten. Mit Sicherheit hat es etwas mit der gesellschaftlichen Akzeptanz zu tun. Wenn Mathematikunterricht ausfällt, stehen Eltern vor der Tür und sorgen sich um die Versetzung ihres Kindes. Wenn Musik ausfällt, zucken sie mit den Schultern. Oder: Ist ein Kind schlecht in Mathe, wird schnell eine Rechenschwäche vermutet. Bekommt es in Musik eine schlechte Note, heiß es, das Kind sei halt unmusikalisch. Gleichzeitig gibt es einen Widerspruch: Wenn eine Schule wie unsere sich Richtung Musik orientiert, rennen ihr die Eltern die Tür ein. Eine Lösung dafür habe ich auch nicht parat.
Online-Redaktion: Warum ist Musik für Schülerinnen und Schüler wichtig?
Vogel: Es wird immer mal wieder behauptet, dass diejenigen, die Musik machen, schlauer würden, nach der Devise: „Der Doktor hat ja früher auch Klavier gespielt.“ Das ist aber nicht nachweisbar. Vielleicht wird ja auch umgekehrt ein Schuh daraus: Wer schlau ist, spielt ein Instrument. Die Frage, was zuerst da war, Henne oder Ei, stellt sich dann. Viel entscheidender ist für uns jedoch, dass gerade mit der zunehmenden Digitalisierung dem haptischen Arbeiten, dem künstlerischen Ausdruck eine besondere Bedeutung zukommen sollte. Dieses Ausleben, auch von Emotionen, ist wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Durch die Musik arbeiten, agieren und spielen Menschen zudem miteinander, stehen in Kommunikation über das, was sie machen. Musik ist ein Grund, gemeinsam kreativ zu werden. Kreativ verstehe ich dem Sinne, mit Dingen etwas anfangen, mit ihnen etwas Neues gestalten zu können. Diese Kreativität wirkt sich zweifellos auch auf andere Fächer aus. Ich bin strukturiert, ich lerne, eines nach dem anderen abzuarbeiten, an Dingen dranzubleiben, immer wieder zu üben. Und Kreativität schult, Neues zu denken und zu wagen.
Online-Redaktion: Wie kann sich das im Ganztag niederschlagen?
Vogel: Dem Ganztag kommt meines Erachtens eine besondere Bedeutung zu. Die Angebote der kommunalen Musikschulen, insbesondere für jüngere Kinder, finden meist in den frühen Nachmittagsstunden statt. Doch dann befinden sich die Kinder noch in der Schule. Wir haben also ein strukturelles Problem. Die Lösung kann nur lauten: Die Musikschulen kommen mit Personal und wenn möglich Instrumenten an die Schulen. Sie müssen fester Bestandteil des schulischen Alltags werden. Am besten ist, wenn der Ganztag rhythmisiert ist und musische Angebote den Vor- und Nachmittag prägen. Wer in der Musik etwas werden möchte, muss kontinuierlich üben. Das müssen Ganztags- und Musikschulen organisieren und leisten, sonst gibt es irgendwann keine Orchester mehr. Doch vielfach fehlt diese Verzahnung noch. Es ist die Aufgabe unseres Verbandes, auch dafür Lösungsansätze in die Welt zu tragen.
Online-Redaktion: Wie sollten Ganztagsschule und Musikschullehrkräfte zusammenwirken?
Vogel: Sie müssen in ständigem Austausch stehen, was und wie man Musik den Schülerinnen und Schülern nahebringt. Sie müssen die Koordination der vorhandenen Instrumente abstimmen, ja sogar die Nutzung der Räume. Wir brauchen mehr als eine große Bühne. Wir benötigen kleine Einheiten, um differenzieren zu können. Denn den belehrenden Musikunterricht, wie wir ihn noch genießen durften, gibt es nicht mehr. Die musikalische Praxis nimmt einen viel breiteren Raum ein.
Nicht zuletzt dient das regelmäßige Gespräch auch dazu, Talente zu entdecken, abzuwägen, wie man sie gezielt fördern und unterstützen kann. Denn am Ende geht es uns allen doch um eines: Kinder und Jugendliche für Musik mit all ihren facettenreichen Begleiterscheinungen und positiven Elementen zu begeistern.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
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