Kulturelle Bildung verändert Ganztagsschulen : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Nicht nur im Rahmen des Ganztagsschulprogramms des Bundes vollzieht sich seit 2004 eine breite, länderübergreifende Entwicklung hin zu einer professionellen Veränderung von Schulen durch Kunst und Kultur. Diese bundesweite Entwicklung wird in Projekten wie "Kultur macht Schule" und "Lebenskunst lernen" durch die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. (BKJ) vorangetrieben. Sie bietet besonders für Ganztagsschulen viele Anknüpfungspunkte.

Wenn nichts mehr geht, eine Schule vor einem Wendepunkt steht, schafft kulturelle Bildung häufig den unverhofften Richtungswechsel. Wie kommt das? Vieles spricht dafür, dass die Entwicklung des einen Partners (Schule) die des anderen Partners (Kultur) befördert, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Bekanntermaßen hat das Ganztagsschulprogramm in den Jahren 2003 bis 2009 entscheidend dazu beigetragen, etwa mit dem Themenatelier Kulturelle Bildung im Rahmen des Begleitprogramms "Ganztägig lernen" der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.

Ein Mädchen und ein junger Mann jonglieren gemeinsam
Kinder und Jugendliche des Berliner Zirkusprojektes "Shake!"

Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. (BKJ) initiierte das Modellprojekt "Kultur macht Schule" (2004 bis 2007). Ziel des Projektes war es, den Gedanken der kulturellen Bildung in die Fläche zu tragen und sie an Ganztagsschulen zu etablieren. Nach dem Ende des Projekts, dessen beliebter Schulwettbewerb "Mixed up" übrigens erhalten blieb, wurde das Nachfolgeprojekt "Lebenskunst lernen" (Juli 2007 bis Juni 2010) aus der Taufe gehoben.

16 Bildungspartnerschaften von Kultureinrichtungen mit Haupt-, Förder- und Gesamtschulen waren im Modellprojekt "Lebenskunst lernen" als "Innovationsorte für neue Bildungskonzepte" angetreten. Ihre Aufgabe lautete, unter dem Leitziel der Teilhabegerechtigkeit mit Kunst und Kultur in einer bundesweiten Teamforschung Wege für eine neue Lern- und Schulkultur zu entwickeln. Der besondere Fokus des Projekts ist, die kulturelle Teilhabe jener Kindern und Jugendlichen zu fördern, die in benachteiligten Lebenslagen aufwachsen.

"Kulturelle Schulentwicklung" heißt der neue Baustein für mehr Bildungsgerechtigkeit, den die BKJ mit dem Modellprojekt angeschoben hat. Ein Zwischenergebnis war etwa eine "Werkzeugbox für kulturelle Schulentwicklung", die sowohl Dokumente aus den Bereichen Schulentwicklung, Qualitätsentwicklung (im Bereich Zusammenarbeit von Schule und Kultur) sowie Arbeitshilfen enthält. Auf der Bilanztagung von "Lebenskunst lernen", die am 11. und 12. Juni in Berlin stattfand, waren diese Themen Gegenstand intensiver Erörterungen

"Illusion der Chancengleichheit?"

Zur Eröffnung der Tagung erklärte Dr. Herman Kues, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dass die kulturelle Bildung besondere Bedeutung für die Lebenskompetenz der Kinder und Jugendlichen habe: "Wir haben uns deshalb zum Ziel gesetzt, bundesweit eine nachhaltige Verankerung kultureller Bildung für alle Kinder und Jugendlichen in lokalen Bildungslandschaften zu erreichen."

In einem großen Raum sitzen mehrere Personen in einem Stuhlkreis.
Ein Workshop in der Berlinischen Galerie.

Den inhaltlichen Auftakt der Veranstaltung bildete ein Vortrag des Präsidenten des Deutschen Kulturrates und Ehrenvorsitzenden der BKJ, Prof. Max Fuchs. Mit dem Titel seines Vortrages "Die Illusion der Chancengleichheit? Über die Produktion von Bildungsarmut und mögliche Auswege" erinnerte er an die bekannte Studie der französischen Soziologen Pierre Bourdieu und Jean-Claude Passeron, deren kritische Betrachtungen zum französischen Hochschulsystem 1971 in Deutschland unter dem Titel "Die Illusion der Chancengleichheit" erschienen waren.

Kunst für alle

Fuchs verortete das Problem der kulturellen Bildung in einem menschenrechtspolitischen Kontext. "Die Frage der sozialen Gerechtigkeit stellt sich massiv", so Max Fuchs. "Wenn es mit der Bildungsteilhabe nicht mehr stimmt, dann stimmt es auch nicht mehr mit der politischen Teilhabe." Dies komme aus seiner Sicht in der VN-Kinderrechtskonvention zum Ausdruck, wobei neben das Postulat der Vereinten Nationen "Bildung für alle" das der "Kunst für alle" treten müsse. Vor diesem Hintergrund habe die BKJ bereits seit Anfang der 1990er Jahre ein umfassendes Konzept von Lebensqualität diskutiert, welches das Konzept der Lebenskunst einschließe.

Für die BKJ stellte deshalb ihr Vorsitzender Dr. Gerd Taube klar: "Eine gerechte Bildung darf nicht nur die Zukunft von Kindern und Jugendlichen in den Blick nehmen. Wir müssen dafür sorgen, dass junge Menschen jetzt aktiv teilhaben und ein lebenswertes Leben führen können." Jetzt gelte es, Schulen darin zu unterstützen, kulturell-ästhetischer Praxis einen zentralen Stellenwert in ihrem Schulalltag einzuräumen.

"Weiter so!": Angebote vor allem für Kinder in schwierigen Lebenslagen

Prof. Dr. Wolfgang Mack von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg forderte, strukturelle Rahmenbedingungen zu verbessern, damit kulturelle Bildung in den Kooperationen mit Schulen ihren Eigensinn bewahren könne. Als wissenschaftlicher Begleiter des Modellprojekts "Lebenskunst lernen" hatte er an den 16 beteiligten Schulen über 600 Kinder und Jugendliche sowie deren Lehrerinnen und Lehrer befragt.

Eine Frau steht an einem Rednerpult und spricht.
Anne Sliwka: das gemeinsame Projekt einer "Kulturellen Schulentwicklung" müsse sich dem Paradigma der Diversität verpflichten.

Seine Evaluation bestätigte die positiven Wirkungen und betonte, dass gerade Schülerinnen und Schüler von Haupt- und Förderschulen die kulturelle Bildung an der Schule als wertvolle Ergänzung und Erweiterung erleben. Dies führte er sowohl auf die handlungs- und erfahrungsorientierten Arbeitsweisen als auch auf die hohe Akzeptanz zurück, die Fachkräfte der kulturellen Bildung bei Schülerinnen und Schülern erfahren. Deswegen lautete die Losung von Wolfgang Mack unmissverständlich: "Weiter so!"

Gemeinsam im Prozess: Wendung zur Wertschätzung

Vor dem Hintergrund der Evaluationsergebnisse stellte Tom Braun, Leiter des Modellprojekts "Lebenskunst lernen", deshalb die Frage in den Mittelpunkt, wie es gelingen könne, an Schulen Prozesse der kulturellen Schulentwicklung zu initiieren. "Was wir für die Förderung von Teilhabegerechtigkeit brauchen, ist ein "inclusive turn", das heißt eine Wendung zur Wertschätzung der Entwicklungsmöglichkeiten aller beteiligten Personen", so Braun. "Das Ziel liegt in einer wertschätzenden und für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihren individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten durchlässigen Schulkultur", betonte er. Diese Zukunftsaufgabe rücke unweigerlich alle Bereiche der Schule in den Blick: den Unterricht, die Kulturangebote der Kooperationspartner, die Organisation und Struktur sowie die Haltungen und Werte der Schulgemeinschaft. In der BKJ habe sich für diese Zukunftsaufgabe der Begriff der "Kulturellen Schulentwicklung" etabliert. Unter dem Leitziel der Chancengerechtigkeit wolle die BKJ nun Schulen unterstützen, ihre internen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass kulturelles Lernen einen zentralen Stellenwert erhält.

 Damit diese Aufgabe gelingen kann, müssten sich Kultur und Schule als "professionelle Lerngemeinschaft ausgestalten", führte Prof. Anne Sliwka von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg in ihrem Vortrag aus. Das gemeinsame Projekt einer "Kulturellen Schulentwicklung" müsse sich dem Paradigma der Diversität verpflichten. Diese betreffe sowohl die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen aus Schule und kultureller Bildung als auch die Sicht auf die Kinder und Jugendlichen. Einer kulturell aktiven Schule müsse es gelingen, alle in der Schule handelnden Menschen mit ihren Wahrnehmungen, Bedürfnissen und Talenten zu berücksichtigen und ihnen entsprechende Räume des Lernens und der aktiven Mitgestaltung zu eröffnen.

"Dran bleiben!"

Die Berlinische Galerie, eines der jüngsten und experimentierfreudigsten Museen in Berlin-Kreuzberg, eignete sich vorzüglich als Tagungsort. In so genannten interaktiven Foren, umgeben von moderner Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, erarbeiteten die Tagungsteilnehmer Eckpunkte für die Verbesserung der Zusammenarbeit von Schule und Kultur. Das Spektrum reichte von der Entwicklung länderspezifischer Netzwerke über gemeinsame Aus- und Fortbildungen von Lehrkräften und Künstlern bis hin zur partizipativen Weiterentwicklung von Schulgebäuden.

In einem Raum ist ein großes grobes Netz gespannt, in dem sich mehrere Objekte befinden.
Eine Installation in der Berlinischen Galerie.

Nachdem Viola Kelb von der BKJ zum Abschluss der Tagung die neue, durch das Bundesjugendministerium eingerichtete Fachstelle "Kultur macht Schule" vorgestellt und in die unterschiedlichen Angebote wie das neue Fachportal oder die Mixed Up Akademie eingeführt hatte, schloss die Geschäftsführerin der BKJ, Hildegard Bockhorst, die Veranstaltung mit dem Appell: "Dran bleiben!" Es gehe schließlich darum, die soziale Vererbung von Bildung zu überwinden, auch mittels der kulturellen Bildung.

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