Ganztagsbildung stärken: Musik, Kunst und Sport : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Unter der Überschrift „Bildung stärken“ lud der Bayerische Musikrat am 23. April 2015 in den Bayerischen Landtag ein. Rund 200 Gäste diskutierten, warum Musik, Kunst und Sport für Ganztagsschulen so wichtig sind.

Eingang der Louise-Schroeder-Grundschule Hamburg-Altona
© Britta Hüning

Gemeinsam geht es besser. Auf diesen Nenner lässt sich die Initiative des Bayerischen Musikrats bringen, der am 23. April 2015 den Landessportverband, den Berufsverband Bildender Künstler und den Landesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen in den Bayerischen Landtag eingeladen hatte. Erstmals diskutierten alle drei Verbände gemeinsam mit Schulleitungen, Lehrkräften und Kommunalvertretern, wie Musik, Kunst und Sport noch stärker in Ganztagsschulen wirksam werden könnten.

Kooperation als win-win-Situation

Dr. Thomas Goppel, der Präsident des Landesmusikrats, begrüßte die Teilnehmenden: „Musik, Sport und Kunst haben in den vergangenen Jahrzehnten Abstriche in der Schule hinnehmen müssen. Wir wollen die kulturelle Bildung im Ganztag stärken. Damit das gelingt, brauchen wir die Vielfalt der Kultureinrichtungen, die in der unmittelbaren Nachbarschaft von Ganztagsschulen angesiedelt sind. Und wir brauchen ein Instrumentarium, das die Qualität der Angebote garantiert. Unsere Musikschulen, Kunstschulen, Musikvereine und Sportvereine sind die idealen Partner für Ganztagsschulen.“

Aus Sicht des Bayerischen Kultusministeriums bilanzierte Ministerialdirektor Herbert Püls: „Ende März hat die Landesregierung eine Vereinbarung mit den kommunalen Spitzenverbänden zum Ausbau von Ganztagsschulen geschlossen. Es werden weitere Mittel für offene Ganztagsschulen bei Grund- und Mittelschulen bereitgestellt. Ganztagsschulen sind ein wesentlicher Baustein für mehr Bildungsgerechtigkeit und mehr Möglichkeiten.“

Die Landesregierung fördere die Kooperation in der Ganztagsschule. Von dieser Zusammenarbeit profitierten auch die Partner. Schülerinnen und Schüler finden Kontakt zu den Vereinen. „Die Ganztagsschule bildet so eine Brücke in die Vereine. Das ist die win-win-Situation, die wir angestrebt haben“, so Püls.

Konkurrenz für die außerschulische Bildung?

Nicht ganz so optimistisch sah das ein anwesender Musikschulleiter: „Die Ganztagsschulkinder gehen uns verloren.“ Man empfindet die Ganztagsschule als Konkurrenz, die den Kindern und Jugendlichen bei knapp bemessenen Zeitressourcen nicht mehr erlaube, neben der Schule noch zusätzliche Angebote wahrzunehmen.

Schüler beim Fußball in der Halle
© Britta Hüning

Bevor die verschiedenen Kooperationspartner die aktuelle Situation beleuchteten, war es jedoch an Prof. Ludwig Stecher von der Justus-Liebig-Universität Gießen, eine fundierte Diskussionsgrundlage zu schaffen. In seinem Eröffnungsvortrag „Ganztagsschule – Mehr als Schule“ skizzierte er das „pädagogische Potenzial der Ganztagsschule“. Der Erziehungswissenschaftler berichtete einige Ergebnisse aus der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG)“ und aus der Hessischen Ganztagsschulstudie (HeGS). Danach gibt es in 95 Prozent der Ganztagsschulen musisch-künstlerische Angebote.

Die vermeintliche Konkurrenz von Ganztagsschulen und außerschulischer Bildung konnte der Forscher aus den empirischen Studien nicht bestätigen. Ein heiß diskutiertes Thema war anschließend, welche Wirkungen musisch-künstlerische Angebote auf die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler haben. „Es sind positive Transfereffekte von Kunst und Musik in andere Bereiche beobachtbar“, so Stecher. Spezifische Effekte auf die Kompetenzentwicklung seien jedoch durch die Forschung nicht nachweisbar. Das wollte manchen Zuhörenden nicht einleuchten. Eine Musiktherapeutin und ein Schulmusiker verwiesen etwa auf das gemeinsame Musizieren, das für die sozialen Kompetenzen wichtig sei. Stecher gab zu bedenken „Um Wirkungen genau zu beurteilen, muss man als Forscher immer fragen, worauf genau die Verbesserung zurückgeht, auf das jeweilige Angebot oder insgesamt auf das gemeinsame Tun.“

„klasse.im.puls“

Anschließend stellte Dr. Thomas Goppel für den Bayerischen Musikrat verschiedene Initiativen vor, mit denen die Musik in die Ganztagsschulen getragen wird. „Zusätzlich veranstaltet unser Musikrat auch Fortbildungen für Musiker, um in Klassen zu arbeiten“, ergänzte er.

Im Pilotprojekt „wim – wir musizieren“ der Bayerischen Musikakademie Hammelburg beispielsweise erhalten alle Kinder der 1. und 2. Klassen kostenfreien musikpraktischen Unterricht in der Ganztagsgrundschule. Ein „Tandem“ aus Grundschullehrerin und externer Musikfachkraft gestaltet den regulären Unterricht gemeinsam.

„klasse.im.puls – das musizierende Klassenzimmer“ unterstützt auf Initiative des Fachbereichs Musikpädagogik der Universität Erlangen-Nürnberg seit September 2009 aktiv musizierende Musikklassen an 145 bayerischen Mittel- und Realschulen. Schülerinnen und Schüler der 5. Klasse erlernen ein Instrument und wenden ihre Fähigkeiten im Ensemblespiel an. In einer zusätzlichen dritten Musikstunde wird zur Differenzierung Instrumentalunterricht in den Stimmgruppen durch Instrumentallehrkräfte oder Studierende erteilt. Jährliche schulübergreifende Veranstaltungen runden das Konzept ab und ermöglichen den Schülerinnen und Schülern Bühnenerfahrung und Anerkennung. Die Schulen werden von einem klasse.im.puls-Team begleitet

Keine Ganztagsschule ohne Sportangebot

Podiumsdiskussion
Die von Thomas Goppel moderierte abschließende Podiumsdiskussion © Bayerischer Musikrat

Aus Sicht des Sports berichtete der Präsident des Bayerischen Landessportverbandes (BLSV), Günther Lommer. Der BLSV vermittelt derzeit rund 400 junge Menschen für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) in Schulen. Die FSJler erhalten dazu eine Ausbildung von 143 Stunden durch den BLSV. Die Erfahrungen seien positiv: „Die FSJler machen das gut und kommen toll mit den Schülerinnen und Schülern aus. Durch die FSJler haben wir die große Chance, auch unsere Vereine zu unterstützen. Daher wollen wir die Zahl erhöhen: Unser Ziel sind 750 FSJler. Es soll keine Ganztagsschule ohne Sportangebot geben.“

Zur Diskussion „Ganztagsschule oder Verein?“ erklärte Lommer: „Es sind nicht alle Vereine begeistert. Uns fehlen durch die Ganztagsschule die Hallenzeiten, und den Schülern fehlt die Zeit. Aber wir können das mögen oder nicht, wir müssen uns dieser Herausforderung Ganztagsschule stellen.“ Mit 54 Sportfachverbänden, die rund 120 Sportarten anbieten, sei der BLSV exzellent aufgestellt. Von der Politik wünschte sich der Präsident schnellere Antragsgenehmigungen für Kooperationen, die derzeit zu lange dauerten und die Rechtssicherheit beeinträchtigen, und weniger Hürden für Vertragsabschlüsse.

„Echte Ganztagsbildung“

Ute Heim vom Berufsverband Bildender Künstler schilderte ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Anni-Braun-Schule, einem Förderzentrum für Sprache in München. Im Schuljahr 2013/14 startete die Schule mit einer Ganztagsklasse. Für ein halbes Jahr arbeitete eine Künstlerin gemeinsam mit einer Förderschullehrerin. „Freiraum ohne Bewertung ist wichtig für die Schüler“, betonte Ute Heim. Sie habe beobachten können, wie Kinder durch die kreativen Prozesse an Selbstbewusstsein gewinnen.

Reinhard Kapfhammer, Vorsitzender des Landesverbandes der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen (LJKE), präsentierte ein Beispiel der interkulturellen Kooperation der Mittelschule Lochham mit der „Schule der Phantasie“ in Gräfelfing. Gemeinsam stellten sie ein Projekt zur Völkerverständigung mit der Mongolei mit Reisebüchern, Postkarten und Plakaten auf die Beine. „Die Ganztagsschulen können mehr. Sie öffnen die Schule in die Lebenswelt und ermöglichen mehr Freiraum. Da wäre ein großer Schatz zu heben, um aus der Ganztagsschule eine echte Ganztagsbildung zu machen“, so Kapfhammer.

Am Nachmittag wurden in schulartspezifischen Gruppen vor allem Gelingensbedingungen erörtert und Erfahrungen ausgetauscht. Dabei zeigte sich, dass unabhängig von der Schulart die Gewichtung kultureller Bildung im Ganztag wesentlich von der Zielsetzung der Schulleitung und den Angeboten vor Ort abhängt. In der abschließenden Podiumsdiskussion mit Parteien- und Kommunalvertretern war man sich einig, dass kulturelle Bildung im Ganztag mehr Zeit und Raum benötigt. Das Fazit zog Dr. Thomas Goppel: „Erstmals sind wir – Kunst, Sport und Musik – zusammen angetreten, um unseren ganz anderen Erziehungsauftrag zu reklamieren. Der Dialog ist begonnen.“

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