"Ganz Theater": Das Pirckheimer-Gymnasium in Nürnberg : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Bereits seit vielen Jahren hat das Theater einen festen Platz im Pirckheimer-Gymnasium in Nürnberg. Mit der Einführung des gebundenen Ganztags 2008/09 ist es inzwischen nun auch fester Teil des Schulcurriculums.
Die Bretter, die die Welt bedeuten – im Nürnberger Pirckheimer-Gymnasium haben sie seit vielen Jahren einen festen Platz und mit der Einführung der gebundenen Ganztagsschule eine Ausweitung erfahren. Das geht weit über das hinaus, was Theater-AGs üblicherweise zu leisten vermögen.
Oberstufenkoordinator Dirk Benker ist seit 2002 am Gymnasium. „Schon vorher gab es eine lebendige Theaterkultur an unserer Schule“, erinnert er sich. Benker „erbte“ den Theaterzweig und bildete sich dafür an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Darstellenden Spiel fort.
Als im Schuljahr 2008/09 der gebundene Ganztag eingeführt werden sollte, stellte sich die Frage, mit welchen Aktivitäten die zusätzliche Zeit in den Jahrgangsstufen 5 bis 8 gefüllt werden sollte. Schnell waren sich Schulleitung und Kollegium einig, mit dem Pfund zu wuchern, das sowieso schon vorhanden war: dem Theaterspielen. Das traf sich gut mit den Vorgaben des Bayerischen Kultusministeriums, die die kulturelle Bildung als mögliche Schwerpunktsetzung im Rahmen des gebundenen Ganztages ermöglichten.
Einmaliges Projekt in Bayern
Mit dem Theater-Modell „Ganz Theater“ erweiterte das Pirckheimer-Gymnasium sein Angebot im Bereich Theater. In Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Pädagogik der Universität Erlangen-Nürnberg und der Akademie für Schultheater und Theaterpädagogik, auch mit Unterstützung des Kultusministeriums entwickelte das Ganztagsgymnasium ein Modell für den Theaterunterricht in der Sekundarstufe II. Seit dem Schuljahr 2012/2013 können Schülerinnen und Schüler nun von der 5. bis zur 12. Jahrgangsstufe Theater spielen. Sie können in der Unter- und Mittelstufe Theater als freiwillige Arbeitsgemeinschaft und in der Oberstufe als Wahlprofilfach wählen und die Ergebnisse ins Abiturzeugnis einbringen. In den gebundenen Ganztagsklassen ist „Theater“ sogar Pflichtfach. Laut Gymnasium ein in Bayern einmaliges Projekt.
In zwei Wochenstunden spielen die Ganztagsschülerinnen und -schüler nun Theater am Pirckheimer-Gymnasium – aber es ist für Dirk Benker mehr: „Es geht auch um die ästhetische Bildung, darum, die Jugendlichen mit einer Kunstform vertraut zu machen und diese mit dem eigenen Körper erfahren zu lassen. Sie können kreativ arbeiten und sich in gewisser Weise auch austoben. Wir halten das für ganz wichtig.“ In den beiden Wochenstunden Theater geht es inhaltlich darum, das Medium Theater und dessen Basiselemente kennenzulernen. „Wie gestalte ich den Raum, wie nutze ich den Raum?“, seien dabei Fragen, so Dirk Benker. „Es geht auch um die Körpererfahrung und den Körpereinsatz. Außerdem schulen wir die Sprache.“
„Wenige Felder sind zur Förderung von ganzheitlicher Bildung so geeignet wie das Theater“, findet Musik- und Theaterlehrer Josef Friedrich. „Theater dient der Persönlichkeitsentwicklung der Schüler, indem es gleichermaßen ihre rationalen wie emotionalen, intellektuellen wie kreativen, physischen wie ästhetischen, individuellen wie sozialen Fähigkeiten fördert. Das Theater als soziale Kunstform bietet von den ersten Gruppenfindungsphasen bis zur Aufführung zahlreiche Möglichkeiten, sich selbst und in der Begegnung mit anderen in einer Gemeinschaft zu erleben.“
Theaterspielen bedeute eine strikte Aufgabenorientierung und erfordere damit eine Fülle unterschiedlichster Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie beispielsweise Verlässlichkeit, Empathie, Selbstdisziplin und Kritikfähigkeit. „Alleine“, so Friedrich, „lässt sich kein Theater gestalten. Neben Eigeninitiative erfordert das Spiel in und mit der Gruppe auch den Willen zur Mitgestaltung und Mitverantwortung.“
Aufführungen sind Pflicht
Die Sozialpädagogen und Schulpsychologen, die fester Bestandteil des Personals im gebundenen Ganztag am Pirckheimer-Gymnasium sind, greifen die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler aus dem Theaterunterricht auf. Jugendliche mit Verhaltensproblemen oder Schülerinnen und Schüler mit motorischen Problemen könnten individuell gefördert werden. Das Theaterspielen dient auch der Sprachförderung: Es erweitert den Wortschatz und die Ausdrucks- und die Reflexionsfähigkeit der Jugendlichen. Die Fähigkeit, abstrakte Vorgänge zu verbalisieren, wird gefördert, wovon wiederum Deutsch- und Fremdsprachenunterricht profitieren. Umgekehrt kann der Theaterunterricht auf den Grundlagen des Sprachenunterrichts aufbauen.
Theater leistet ebenfalls einen wesentlichen Beitrag zur Rhythmisierung des Schultags – die Schülerinnen und Schüler erproben sich hier in Gestaltungsformen, auch jenseits rein kognitiver Herausforderungen. Guter Theaterunterricht, so Theaterlehrer Friedrich, sei selbst schon Rhythmisierung: durch den Wechsel von Anstrengung und Erholung, Bewegung und Ruhe, kognitiven und praktischen Arbeitsphasen, Aufnehmen und Besinnen, gelenktem Arbeiten und Selbsttätigkeit, Konzentration und Zerstreuung, individuellem Arbeiten und Gruppenarbeit. Theater sei alles andere als „Beschäftigungsmaßnahme am Nachmittag“.
Jede Ganztagsklasse erarbeitet ein kleineres Stück. Zu einem richtig abendfüllenden Programm reicht laut Dirk Benker die Zeit nicht aus, und „es würde die Kinder womöglich auch überfordern“. Auf eine Präsentation wollte man dennoch nicht verzichten, denn „Theater ohne Aufführung“ habe wenig Sinn. So sei der Kompromiss, kleinere Stücke einzustudieren und dann zu mehreren Gelegenheiten zur Aufführung zu bringen – zum Beispiel am Kennenlernabend für die Eltern von Viertklässlern oder am interkulturellen Abend. „Dazu kommt noch die Abschlusspräsentation, bei der alle Ganztagstheaterklassen ihre Stücke aufführen und sich dann darüber austauschen“, wie Benker erklärt.
Theater und Fachunterricht
In den ersten Jahren behalf sich die Ganztagsschule mit Praktikanten aus dem Erlanger Studiengang, aber „schnell haben wir gemerkt, dass ein Theaterlehrer nicht ausreicht“, berichtet Dirk Benker. „Ich bin auch Vorstandsmitglied des Verbands ‚Theater am Gymnasium in Bayern’, habe alle Kanäle bemüht und Kontakte aufgenommen. Über Versetzungen ist es uns dann gelungen, nach und nach mehrere Theaterlehrkräfte an unsere Schule zu holen, so dass wir inzwischen zu viert sind.“
Nicht nur personell, sondern auch inhaltlich wünschten sich die Theaterlehrerinnen und -lehrer eine Ausweitung. „Uns wurde klar, dass uns Theaterspielen allein nicht reicht, sondern wir wollten das Theater noch mehr mit dem Fachunterricht verbinden“, erklärt der Oberstufenkoordinator. „Also ist es inzwischen für jede Klasse ab der Jahrgangsstufe 8 verpflichtend, einmal pro Schuljahr ins Theater zu gehen. Das Stück wird dabei in den Unterricht mit Vor- und Nachbereitung eingebunden.“
Um die Theaterbesuche für alle möglich zu machen, suchte sich das Gymnasium mit der Sparkasse einen Sponsor, der die Eintrittskarten für die Schülerinnen und Schüler bezuschusst. Daneben kam Benker zufolge das Staatstheater Nürnberg dem Pirckheimer-Gymnasium „wahnsinnig entgegen“, indem es der Schule vergünstigte Karten anbietet. Diese Kombination ermöglicht es, dass die Jugendlichen nur noch 5 Euro pro Karte bezahlen. Mit den Sponsorenmitteln bezahlt die Ganztagsschule darüber hinaus die Saalmieten für die Auftritte der Schulaufführungen.
Kooperation mit Nürnberger Theatern
Hierzu arbeitet das Pirckheimer-Gymnasium auch mit dem Gostner Hoftheater zusammen, das der Schule die Möglichkeiten zu Aufführungen in einem professionellen Rahmen bietet. Daneben bieten die Theater der Ganztagsschule auch Theaterführungen, gezielte Stückvorbereitungen und Gespräche mit den Künstlerinnen und Künstlern. Durch die Universität Nürnberg-Erlangen findet eine wissenschaftliche Begleitung des Theater-Modells am Pirckheimer-Gymnasium statt, wodurch sich Verbesserungsansätze für die Praxis ergeben. Zudem ermöglichen diese Institutionen die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte.
Für das kommende Jahr plant das Gymnasium Theatervorstellungen der Ganztagsklassen im Vorprogramm der abendfüllenden Auftritte der Theater-AG. So würden die Arbeit und das Engagement der Ganztagsschülerinnen und -schüler eine weitere Aufwertung erfahren. Bereits jetzt sind Dirk Bender und seine Kolleginnen und Kollegen über „das positive Feedback erfreut“. Kein Preis ohne Fleiß: „Dahinter stecken mehrere Jahre Arbeit“, stellt der Theaterlehrer klar.
Das Pirckheimer-Gymnasium ist seit 2006/07 offene Ganztagsschule in Kooperation mit „Kinderhaus Nürnberg“, einem Träger von Einrichtungen zur Kinder- und Schülerbetreuung. Seit 2008/09 gibt es in der Sekundarstufe I sechs gebundene Ganztagsklassen, die von 150 Schülerinnen und Schüler (montags bis donnerstags von 7.55 bis 16.15 Uhr, freitags bis 13.05 Uhr) besucht werden. Zu den außerunterrichtlichen Angeboten gehört auch eine Bläserklasse.
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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