Sprachbildung im Ganztag mit Poetry Slam : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Poetry Slam im Deutschunterricht und Demokratiebildung mit KidCourage sind Beispiele für multiprofessionelle Zusammenarbeit von Ganztagsschulen in Berlin und Brandenburg.
Vorne steht Hasan mit einem Zettel in der Hand und träumt lesend im Sprechgesang – vom schnittigen Mercedes, mit dem sich, wenn er ihn erstmal hat, alles andere wie von selbst löst... Nur ein paar Zeilen ist das Werk lang. Applaus. Dann tritt Marcel auf. Er widerspricht Hasan, ebenfalls per Mehrzeiler: Der Mercedes sei nichts als Blech, der auch noch die Luft verpeste. Nichts hast du, wenn du ihn hast. Wichtig sind deine Freunde, die Menschen um dich herum. Applaus.
Hasan und Marcel haben nicht Gedichte vorgetragen. Jambus und Trochäus spielen aber indirekt eine Rolle. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops zur Sprachbildung auf der Berliner Tagung zur Ganztagsschulentwicklung sind an diesem 14. Juni 2017 im LISUM Berlin-Brandenburg Zeugen und Mitwirkende eines Poetry Slam. Neben den beiden Jungen treten noch Kausar und Cag Ca mit ihren Werken auf und gegeneinander an, und das beeindruckte Publikum vergibt Punkte für die Vortragenden. Fast wie in einem richtigen Poetry Slam.
Die Vier, Schülerinnen und Schüler des Hermann-Hesse-Gymnasiums Berlin, sind zusammen mit ihren Lehrerinnen Johanna Varuzza und Nina Kruska zu der Tagung nach Ludwigsfelde gekommen, um eines von sieben Beispielen vorzustellen, wie sich Sprachbildung im Ganztag verwirklichen lässt. Am besten in einer multiprofessionellen Kooperation, wie der Titel der Veranstaltung „SchiC zusammenarbeiten“, die von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Berlin mitorganisiert ist, bereits anzeigt. Das „hohe C“ steht für das schulinterne Curriculum.
Anlass: Neue Rahmenlehrpläne für Sprach- und Medienbildung
100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind aus Berliner Ganztagsschulen, von Kooperationspartnern und der Regionalen Fortbildung dabei. Eine Woche zuvor hat die nahezu gleiche Tagung bereits für ebenfalls 100 Teilnehmende aus Brandenburg stattgefunden. Anlass ist der zum neuen Schuljahr 2017/2018 unterrichtswirksame neue Rahmenlehrplan für Berlin und Brandenburg. Er ist durchgängig für die Jahrgangsstufen 1 bis 10 konzipiert und enthält verbindliche Standards für die Sprach- und Medienbildung sowie Themen, die fachübergreifend eine Rolle spielen. Die 28 fachlichen Teile für die Unterrichtsfächer stellen für das jeweilige Fach die anzustrebenden Kompetenzen sowie verbindliche und wahlobligatorische Themen und Inhalte dar.
Bernd Jankofsky, Leiter der Abteilung Schul- und Personalentwicklung im LISUM, erklärte zur Begrüßung: „Das Schuljahr 2016/2017 ist geprägt von der Implementierung des neuen Rahmenlehrplans. Aber das schulinterne Curriculum darf nicht außen vorbleiben. Jetzt geht es weiter mit der Qualitätsentwicklung. Wir wollen mit Ihnen exemplarisch zu den Themen Sprach- und Demokratiebildung arbeiten.“
Ein Name, der auf beiden Veranstaltungen häufig fällt, ist der von Bastian „Bas“ Böttcher. Der gebürtige Bremer, der in Weimar Mediengestaltung studiert hat, seit 2000 in Berlin lebt und seit 2012 als Gastdozent für Sprache und Inszenierung am Deutschen Literaturinstitut Leipzig wirkt, gilt als der erste deutsche Slam-Poet. Auf der Tagung für die Brandenburger Schulen war der Maestro noch leibhaftig anwesend, trug vor und lud zum Workshop ein. Auf der zweiten Tagung ist er indirekt präsent durch die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler des Hermann-Hesse-Gymnasiums und der Reinhold-Burger-Schule, einer Integrierten Sekundarschule.
Deutschunterricht mal anders
„Wir wollten im Deutschunterricht etwas Neues ausprobieren“, berichtet Lehrerin Johanna Varuzza vom Hermann-Hesse-Gymnasium. „Klar, wir hatten auch die Deutscholympiade, aber da glänzten immer nur die Schülerinnen und Schüler, die sowieso gut im Deutschunterricht sind. Da kam die Idee, sich über Poetry Slam praktisch mit zeitgenössischer Lyrik zu beschäftigen – unter Anleitung eines Profis.“
Dieser Profi ist Bas Böttcher, den die Schule 2016 für den Workshop „Ein Vormittag mit Bas Böttcher“ gewinnen konnte. Im aktuellen Schuljahr ist es über das Programm „Kulturagenten für kreative Schulen“, an dem das Hermann-Hesse-Gymnasium drei Jahre lang teilnimmt, sogar möglich gewesen, dass erstmals alle 9. Klassen im Januar eine Woche lang mit dem Künstler zusammenarbeiteten, Texte zum Thema „Identität“ entwickelten und im März ein eigenes Poetry-Slam-Projekt am Tag der offenen Tür zur Aufführung bringen konnten.
Aber nicht nur die Schülerinnen und Schüler „slammten“, sondern auch vier Deutschlehrkräfte durften ran. In einem Workshop führte Böttcher in die Thematik und seine Arbeit ein. Dann konnten sich die Lehrerinnen und Lehrer selbst im Poetry Slam erproben und in kleinen Übungen erfahren, wie man von einem Wort ausgehend zu einem rhythmischen Vierzeiler kommt. „Es ist ein wichtiger Moment, das selbst auszuprobieren“, erinnert sich Lehrerin Nina Kruska.
„Aus vier Köpfen entsteht ein Text“
Im LISUM-Workshop fand nun eine solche Lehrerfortbildung en miniature statt. Neben den vier Hesse-Schülern mischen sich auch Malina und Chris von der Reinhold-Burger-Schule unter die Teilnehmenden, um beim Dichten zu helfen. Die zwei Achtklässler hatten im Rahmen eines Kurses „Leseprofis“ ebenfalls mit und von Bas Böttcher gelernt und mit zwei Vorträgen die Fachtagung eröffnet. Im Workshop verblüfft unter anderem Malina mit ihrer Fähigkeit, schnell Wörter und Zeilen auf ihre „Slam-Kompatibilität“ abzuklopfen, Sätze umzustellen und Wörter auseinanderzunehmen.
„Ich kannte das vorher nicht und fand es spannend“, berichtet die Schülerin. „Ich hätte niemals gedacht, dass so viel in uns steckt. Es ist toll mit anderen, auch mit älteren Schülerinnen und Schülern, Poetry Slams zu machen. Man muss das im Herzen haben, man muss die Worte wie Musik empfinden.“
Dabei ist der Vortrag genauso wichtig wie der Text selbst. Übungen für die Konzentration und das Körperempfinden gehören ebenso zum Slam wie die Lust am Verdrehen von Wörtern und Buchstaben oder das Aufspüren von Doppeldeutigkeiten einzelner Wörter. „Wir konnten frei texten, das war abwechslungsreich und hat Spaß gemacht“, erzählt Kausar. Marcel ergänzt: „Man kann aufs Blatt bringen, was man will.“ Und Hasan berichtet: „Wir saßen zu viert an einem Tisch, dann fängt einer an, und aus vier Köpfen entsteht dann ein Text.“
Die Lehrerinnen des Hermann-Hesse-Gymnasiums können diese Art der Sprachbildung nur wärmstens empfehlen: „Durch den Poetry Slam kommen Schülerinnen und Schüler zur Geltung, die sonst manchmal im Hintergrund bleiben. Er drückt Freude im Umgang mit der Sprache aus, bringt aber auch neue Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit Sprache.“ Nun will das Ganztagsgymnasium den Poetry Slam in der Sprachbildung verankern und demnächst einen ganzen Poetry-Slam-Abend organisieren.
KidsCourage für Kinderrechte
Auch in der Demokratiebildung können Schulen mit Partnern neue Wege gehen. Eines der auf der Tagung vorgestellten Projekte ist KidsCourage, ein von der Jugendorganisation „Die Falken“ organisiertes Angebot der außerschulischen Jugendbildung für Grundschulen zur Förderung von Zivilcourage und Persönlichkeitsstärkung. Dazu vermittelt KidsCourage jeweils zwei Jugendliche aus Schulen und Universitäten für einen Projekttag an die Schulen. Projektleiterin Hjördis Hornung erläuterte: „Wir möchten Kinder in ihrem Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl stärken und dazu ermutigen, gemeinsam für Demokratie und Toleranz einzustehen.“
An den handlungsorientierten Projekttagen erfahren die Schülerinnen und Schüler auf spielerische Weise, was es bedeutet, als „fremd“ etikettiert zu werden, und welche Chancen sich umgekehrt aus der Verschiedenheit ergeben. Die Schülerinnen und Schüler lernen die UN-Kinderrechtskonvention und ihre Rechte kennen und überprüfen in einem von ihnen ausgewählten Schwerpunkt und vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen deren Umsetzung und Einhaltung.
„Wir bieten sechs verschiedene thematische Projekttage an, die zum Beispiel ‚Anders-Sein gewinnt’, ‚Kindern im Krieg - Kinder auf der Flucht’ oder ‚Vielfalt lebt’ oder ‚Misch mit!’“, erläutert Hjördis Hornung. Die Grundschülerinnen und -schüler können auch als „Stadtteilforscher“ ihre Umgebung auf die „Kindgerechtigkeit“ untersuchen und dann gegebenenfalls Aktionen zur Veränderung von problematischen Zuständen erarbeiten.
Kategorien: Kooperationen - Kulturelle Bildung
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