Schulgarten – fächerübergreifender Lernort für den Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Nicht umsonst heißt der Kindergarten Kindergarten. Pädagogik und Garten haben eine lange gemeinsame Tradition, die nun seit einigen Jahren verstärkt von einer Schulgartenbewegung wiederbelebt wird. Auf dem Fachtag Schulgarten am 27. und 28. Juni 2013 in Benediktbeuern stellte sich ein Schulgarten aus Oberbayern vor.
Baumschule. Kindergarten. Schon in den Begrifflichkeiten steckt eine eigentümliche Kreuzung der beiden Bereiche Pädagogik und Gartenbau. Doch ein Blick in die Geschichte macht rasch klar, dass Schule und Garten häufig im gleichen Atemzug genannt wurden, so zum Beispiel in der 1657 von Johann Comenius veröffentlichten Didacta magna. In seiner selbst benannten „Didaktik des Lebens“ schrieb der böhmische Pädagoge: „Ein Garten ist unentbehrlich.“
Ein Beispiel von vielen, das Maria Krah-Schmidt von der Naturschutz-Akademie Hessen zu Anfang ihres Vortrags „Schulgarten – ein ganzheitlicher fächerübergreifender Lernort für Kopf, Hand und Herz“ auf dem Fachtag Schulgarten des Zentrums für Umwelt und Kultur (ZUK) im oberbayerischen Benediktbeuern anführte. So gelte der Pädagoge August Francke, der Gründer der Franckeschen Stiftungen zu Halle an der Saale, als „Vater der Schulgärten“. Für Johann Pestalozzi sei der Schulgarten „ein Anschauungs- und Lernprojekt“ gewesen. Friedrich Fröbel, der Stifter des ersten Kindergartens, wählte diesen Namen mit Bedacht: Für ihn sei die Bildung der Kinder nur im Einklang mit der Natur vorstellbar gewesen. Jedes Kind habe ein eigenes Beet besitzen sollen.
Maria Krah-Schmidt hat vor 30 Jahren die Naturschutz-Akademie mitgegründet. Dass der Umweltpädagogin das Heranführen von Kindern und Jugendlichen an Garten und Natur eine Herzensangelegenheit ist, spürte man. Und sie konnte sich keine besseren Zuhörerinnen und Zuhörer an diesem 27. Juni 2013 im Zentrum für Unwelt und Kultur auf dem Gelände des Klosters Benediktbeuern wünschen. Denn die rund 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – hauptsächlich Lehrkräfte aus bayerischen Schulen – einte alle das Ziel, das Joachim Henle vom Netzwerk Schulgärten München e.V. so beschrieb: „Meine Vision ist, dass der Schulgarten ein reguläres Unterrichtsfach wird.“
Bildung zur nachhaltigen Entwicklung ideal verwirklichen
Die Anwesenden teilten sich in etwa zwei Hälften: Die einen besaßen bereits einen Schulgarten und wollten sich Impulse holen; die anderen spielten mit dem Gedanken, einen Garten anzulegen. In gewisser Weise waren sie alle Pioniere, denn von einem Fach Schulgarten ist das bayerische Schulwesen so weit entfernt wie fast alle anderen Bundesländer. Nur in Thüringen ist der Schulgarten fester Bestandteil des Curriculums – ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten, in denen der Schulgartenunterricht von der 1. bis zur 4. Klasse stattfand und jede Schule ein Gartenareal bearbeitete.
Folgt man Maria Krah-Schmidt, ein unverständlicher Zustand, da der Schulgarten doch „einen idealen Lernort darstellt, in dem alle Bildungsziele verknüpft werden können“. Gerade in der aktuellen UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ könne es kaum ein passenderes Unterrichtsfach geben. So gehört der Punkt „Biosphärenreservate als Lernorte“ zu den Empfehlungen der Deutschen UNESCO-Kommission, außerdem vermittle die Arbeit im Garten die geforderten ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimensionen. Alltagsbezug und die längerfristige Bedeutung des eigenen Handels seien ebenso sichtbar. „Hier kann man die Bildung für nachhaltige Entwicklung ideal verwirklichen“, schwärmte Maria Krah-Schmidt. „Der Schulgarten ist ein wunderbarer Ort, um Gestaltungskompetenz zu vermitteln.“
Das Interesse an Schulgärten wächst immerhin. Die vollbesetzte Tagung – die inzwischen dritte – in Benediktbeuern zeugte davon ebenso wie die Beobachtung von Maria Krah-Schmidt, dass „in Hessen die Schulgärten stärker nachgefragt werden“. Und die 2002 in Fulda unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft gegründete Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten (BAGS) hat sich zum Ziel gesetzt, die Schulgartenarbeit bundesweit zu fördern. Die Arbeitsgemeinschaft entwickelt Fortbildungsmöglichkeiten und pädagogische Konzepte.
Lernen, woher das Dosengemüse kommt
Auch Akteure wie die BUNDjugend tragen das Thema Umwelt und Schulgarten in die Schulen, wie Martin Malkmus vom ZUK anhand des Projekts „Naturtagebuch“ zeigen konnte. Hier beobachten die Schülerinnen und Schüler ein Jahr lang ein Tier, eine Pflanze oder einen Baum und dokumentieren ihre Beobachtungen möglichst kreativ in ihrem „Naturtagebuch“. Am 31. Oktober eines Jahres ist dann jeweils Einsendeschluss für die Tagebücher; die schönsten werden von der BUNDjugend mit Preisen bedacht. Jedes Jahr nehmen etwa 2.000 Kinder an diesem Wettbewerb teil. „Manche Kinder schreiben ein Buch nur über Holunder, viele über ihren Schulteich“, berichtete der Umweltpädagoge. „Manche säen nach dem Mondkalender aus und vergleichen die Ergebnisse mit normal ausgesäten Pflanzen.“
Wie aber sieht es an der „Basis“ aus? Monika Fichtl und Angie Kuhn ließen die Zuhörerinnen und Zuhörer der Fachtagung Schulgarten an ihrem geballten Wissen in Sachen Schulgarten teilhaben. Die beiden Damen vom Obst- und Gartenbauverein Hohenfurch bieten seit dem Schuljahr 2005/06 an der Grundschule Hohenfurch im oberbayerischen Landkreis Weilheim-Schongau das Wahlfach Schulgarten im Nachmittagsunterricht an. Zwei Stunden pro Woche werkeln maximal 15 Schülerinnen und Schüler der 2. bis 4. Klasse im Garten. „Es ist wichtig, dass wir dieses Fach zu zweit anbieten“, erklärte Monika Fichtl, „so behalten wir den Überblick und können die Kinder besser in zwei Gruppen aufteilen, die während der Stunden an verschiedenen Stellen in unserem 130 Quadratmeter großen Garten arbeiten können.“
Die beiden Gärtnerinnen legen Wert auf „ökologisch-biologisches Gärtnern“: Hier wird gemulcht, ein Kompost angelegt und Brennesseljauche zur Bekämpfung von Schädlingen angerührt. Für Nützlinge bauen die Schülerinnen und Schüler Insektenhotels, Steinehaufen oder Bienenhotels. „Vor allem sollen die Kinder lernen, welche Lebensmittel es gibt und woher das stammt, was sie sonst nur aus Dosen kennen“, berichtete Angie Kuhn. Aber es geht auch um das Gemeinschaftserlebnis, einen Garten anzulegen und zu pflegen: Vor jeder Stunde begrüßt sich die Gruppe im Kreis und verabschiedet sich am Ende des Kurses auch wieder im Kreis. Zu jeder Stunde schreibt ein Kind auf, was am Tag im Schulgarten erledigt und erlebt wurde. Dies wird zu Beginn der nächsten Stunde vorgelesen.
„Ausprobieren ist ganz wichtig“
Das Schulgarten-Wahlfach folgt in seinem Curriculum den Jahreszeiten. Über die Jahre haben die Kursleiterinnen einen Plan ersonnen, der sich in Pflege und Ernte an dem orientiert, was die Natur gerade so hergibt. Im September und Oktober erntet, isst, lagert und kocht die Gruppe die reifen Früchte ein, nimmt Samen ab, die getrocknet werden, mulcht die Beete und lernt den Umgang mit Gartengeräten kennen. Im November steht die Kartoffel auf dem Speiseplan: Bei einem Kartoffelfest am Lagerfeuer essen die Schülerinnen und Schüler die Knollen mit selbst angerührten Kräuterquarks. „Die Kinder wollen oft manche Sachen nicht essen, aber wenn sie es dann einmal probiert haben, schmeckt es ihnen. Das Ausprobieren ist ganz wichtig“, findet Monika Fichtl.
Im Dezember stellen die Schülerinnen und Schüler Futterglocken aus Fett und Körnern für die Vögel im Winter her. Sie kochen Kürbismarmelade ein, die dann auch auf dem Weihnachtsmarkt verkauft wird. Wenn der Schnee die Beete bedeckt, stellt die Schulgarten-Gruppe Nützliches wie Vogelscheuchen oder Bienenbehausungen her oder bastelt ihren Wunschgarten in einer Kiste. Eingefrorene Früchte werden nun verarbeitet, Kräuter getrocknet und zu Kräutersalz, Kräuteröl, Badesalz, Kräuter- und Fladenbrot weiterverarbeitet.
Im März stehen schließlich Kontrollen und gegebenenfalls Reparaturen im Garten an. So muss nach dem Bienenhotel, den Steinhaufen, dem Regenwassertank, dem Hochbeet oder der Kräuterspirale geschaut werden. Auf der Fensterbank werden zum Beispiel Sonnen- oder Ringelblumen ausgesät und zum Beobachten mit nach Hause genommen. Im April müssen die zu dicht stehenden Pflanzen pikiert, also vereinzelt, werden. Die Schulgarten-Gruppe plant nun den Anbau für das neue Gartenjahr: Welches Gemüse verträgt sich mit wem? In welches Beet darf ich ein bestimmtes Gemüse nicht mehr pflanzen? Wo muss der jährliche Fruchtwechsel stattfinden? „Die Schülerinnen und Schüler können nun auch von Zuhause Jungpflanzen mitbringen und einpflanzen“, so Angie Kuhn. „Zu diesen Pflanzen haben sie natürlich über das Jahr eine besondere emotionale Beziehung.“
Spaß, aber auch Pflichten
Im Mai lernen die Kinder, was in der Gartenerde kreucht und fleucht. Die Beete werden bereitet und der versiebte Kompost darauf verteilt. Die Schülerinnen und Schüler legen das Hochbeet an. Nach den Eisheiligen sät die Gruppe die ersten Pflanzen aus, zum Beispiel Rüben und Radieschen. Im Juni werden die Beete gepflegt, Unkraut gehackt, Schädlinge bekämpft und Nützlinge angelockt. Im Juli kochen die Kinder Marmelade und Mus ein und bereiten die Beete für die Sommerferien vor. Während der Schulzeit sorgt ein Gießplan dafür, dass in den Großen Pausen die Schülerinnen und Schüler ihren Garten wässern. In den Sommerferien kümmern sich Angie Kuhn, Monika Fichtl und der Hausmeister um die Beete.
„Natürlich geht es uns auch um Spiel, Spaß und Freude“, erklärten die beiden Gärtnerinnen, „aber die Kinder lernen natürlich auch die Pflichten im Garten kennen: Neben dem Unkrautharken müssen sie auch in jeder Stunde aufräumen und die Gartenwerkzeuge reinigen. Da haben wir manchmal schon ganz schön Geduld aufzubringen.“ Dass ihr Schulgarten nun schon so lange reibungslos läuft, liegt den Gärtnerinnen zufolge auch an der sehr guten Zusammenarbeit mit Schulleitung, Lehrkräften, Hausmeister und Eltern.
„Wäre so eine Schulgarten-AG auch für die 5. und 6. Klasse einer Ganztagsschule möglich?“ lautet zum Ende des Vortrags eine Frage. Monika Fichtl und Angie Kuhn sehen da keine Probleme. „Es geht aber nur, wenn die Schulleitung wirklich dahinter steht“, glaubt das Duo. Und einen guten Rat haben sie noch für alle zukünftigen Schulgartenplaner: Auf ein Gewächshaus sollte man verzichten – es ist zu aufwendig, darin die Pflanzen zu ziehen.
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