Plädoyer für Verlässlichkeit : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der "Fachtagung Ganztagsschule 2012" des Württembergischen Landessportbundes e. V. (WLSB) in Stuttgart am 28. September waren sich weitestgehend einig: Sportvereine, Kirchen und Musikschulen wollen mit den Ganztagsschulen kooperieren. Dabei streben sie nach verbindlichen Rahmenbedingungen.

Publikum der Fachtagung Ganztagsschule
Rund 350 Teilnehmer kamen zur Fachtagung Ganztagsschule 2012 ins SpOrt Stuttgart. © WLSB

Fragte man die Interessenvertreter, so erhielt man im im Sport-, Bildungs- und Dienstleistungszentrum in Stuttgart (SpOrt) am Fritz-Walter-Weg eine klare Definition dessen, was sie sich vorstellen: Ganztagsschule sollte spätestens um 16 Uhr enden. Ein Nachmittag müsse gänzlich schulfrei bleiben. Lediglich beim Schulschluss gibt es geringe Differenzen: Anders als die Sport- und Kirchenvertreter plädierte das Präsidiumsmitglied des Landesmusikrates Baden-Württemberg e. V., Dr. Klaus Weigele, für 15.30 Uhr als Ende des ganztäglichen Unterrichts. Übereinstimmend stellten sie fest: „Leben ist mehr als Schule.“ Nur wenn man sich auf ein klar definiertes tägliches Schulende einigen könne, könne Jugendarbeit in der bisherigen Form weiter gelingen. Als zusätzliche Voraussetzungen nannten sie: „Bei Schulschluss müssen die Hausaufgaben erledigt sein und die Schulsportstätten den Vereinen zur Verfügung stehen.“

Gespräche mit dem Kultusministerium

Der Württembergische Landessportbund (WLSB), der badische Sportbund Nord (BSN), die Evangelische Landeskirche in Württemberg, die Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Landesmusikrat machten am Rande der Fachtagung aber auch ganz deutlich: „Wir wollen und werden mit den Ganztagsschulen kooperieren.“ Gemeinsam forderten sie: „Die Belange der außerschulischen Bildungsträger müssen beim Ausbau der gebundenen Ganztagsschulen im Land stärker als bisher berücksichtigt werden.“ Dass sich die gebundenen Ganztagsschulen dauerhaft durchsetzen werden, davon ist WLSB-Präsident Klaus Tappeser überzeugt: „Nur der gebundene Ganztag gewährleistet Verlässlichkeit für alle Seiten.“ Er kündigte intensive Gespräche mit dem Land an.

Ein Gespräch führten die Interessenvertreter schon während des Forums mit dem Staatssekretär im baden-württembergischen Kultusministerium Dr. Frank Mentrup. Er wies daraufhin, dass die Ganztagsschule derzeit ein additives Modell darstelle, das noch nicht durchrhythmisiert sei und noch keine stete Verzahnung mit außerschulischen Partnern aufweise. Aktuell gebe es Gespräche der Regierung mit den Kommunen und Trägern der Schulen, um ein einheitliches rhythmisiertes Modell der Ganztagsschule zu schaffen. „Wenn dieses Modell steht, kommt die Stunde des Sports, der Musik und der Kirchen. Es wird ein spannender Prozess, zu sehen, wie die Koordination zwischen außerschulischen Partnern und Schule konkret umgesetzt wird“, meinte Mentrup.

Vorschläge und Anregungen zur Kooperation

Sport, Kirchen und Musik wollen sich aktiv in die Partnerschaft einbringen. Sie kündigten Schulungen ihrer Mitarbeiter an. Zugleich plädierten sie für die Einrichtung von Koordinierungsstellen für das Zusammenwirken von Schulen und außerschulischen Partnern. Das Land solle sich an der Schaffung der dafür erforderlichen hauptamtlichen Stellen finanziell beteiligen. Im Gegenzug böten etwa der Württembergische Landessportbund und der Badische Sportbund Nord zentral hauptamtliche Stellen zur Bearbeitung und Beratung der Sportvereine und Ganztagsschulen an. Für die Leitung von Arbeitsgemeinschaften verlangen die Interessenvertreter 25 Euro pro Stunde. Der WLSB-Vizepräsident Bildung, Rolf Schmid, unterstrich, dass die Vereine „gerne bei der Entwicklung der Ganztagsschulen dabei sind.“ Wichtig sei aber, dass die sportlichen Angebote qualitativ hochwertig seien und nicht von fachfremden Animateuren übernommen würden.

Wie bedeutend die Einbindung außerschulischer Bildungsträger für die Bildung von Schülerinnen und Schülern ist, unterstrichen auch die Vertreter der Kirchen. „Je mehr sich Schulen  zu einem Lern- und Lebensraum entwickeln, umso wichtiger wird es sein, solche Partnerschaften zu pflegen, zu gestalten, zu entwickeln und auszubauen“, betonte die Ordinariatsrätin der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Ute Augustyniak-Dürr. Oberkirchenrat Werner Baur von der Evangelischen Landeskirche fügte hinzu: „Wir brauchen ein gemeinsames Bildungskonzept der Bildungspartner.“ Der Präsident des Badischen Sportbundes Nord, Heinz Janalik, ergänzte: „Kommunale Netzwerke, in denen alle zum Wohle der Kinder zusammenarbeiten, sind wichtig.“

Ganztagsschule als Chance begreifen

Weitere Redner
V.li.: Rolf Schmid (WLSB-Vizepräsident Bildung), Heinz Janalik (Präsident des Badischen Sportbundes Nord), Ute Augustyniak-Dürr (Diözese Rottenburg-Stuttgart), Klaus Tappeser (Präsident des Württembergischen Landessportbundes), Werner Baur (Evangelische Landeskirche in Württemberg), Dr. Klaus Weigele(Landesmusikrat Baden-Württemberg e.V.) © WLSB

Die Interessenvertreter machten deutlich, dass sie bei den Schulen eine große Bereitschaft auf Augenhöhe zu kooperieren, spüren. Das zeigte sich auch in den Workshops der Fachtagung. Immer wieder wurden erfolgreiche Modelle der Zusammenarbeit geschildert. Der Übungsleiter eines Sportvereins ermunterte die Umstehenden: „Wir müssen doch nur in andere Bundesländer schauen, die beim Ausbau der Ganztagsschulen schon weiter sind. Auch dort existierte anfangs die Sorge, den Vereinen könnten die jungen Menschen und damit die Mitglieder weglaufen. Doch vielfach ist es anders gekommen.“ Er sei überzeugt, dass Sport, Kirche und Musik die Chance beim „Schopfe packen sollen“, auf Menschen zuzugehen, die sie sonst möglicherweise niemals erreicht hätten. Zugleich appellierte er an die eigene „Zunft“: „Auch wir müssen uns bewegen, uns von starren Konzepten verabschieden und dieser wichtigen Entwicklung anpassen. Das Nebeneinander von Schule und außerschulischen Bildungsträgern muss ein Ende haben.“

Aktuelle Erhebung des Evangelischen Jugendwerks

Dass und wie es gelingen kann, unterstreicht eine aktuelle Erhebung des Evangelischen Jugendwerkes in Württemberg. Danach kooperieren im Bereich dieser Landeskirche bereits 19 Prozent aller allgemein bildenden Schulen mit der evangelischen Jugendarbeit. Vertreten sind dabei alle Schularten, allerdings liegt ein Schwerpunkt bei den Realschulen. Fast jede zweite Realschule kooperiert mit der evangelischen Jugendarbeit. Der Schwerpunkt liegt dabei im „Themenorientierten Projekt Soziales Engagement“, das als fächerübergreifendes Pflichtangebot zum Regelangebot aller Realschulen in Baden-Württemberg gehört. In den beteiligten Gymnasien setzt man verstärkt auf das Schülermentorenprogramm „Soziale Verantwortung lernen“. An den Grundschulen ist die evangelische Jugendarbeit besonders in der Nachmittagsbetreuung eingebunden. Wörtlich hieß es von der Landeskirche: „In den vielfältigen Kooperationen erleben wir, dass Jugendliche im Schulalltag neben der notwendigen Wissensaneignung auch Gelegenheiten suchen, um Fragen nach dem Sinn des Lebens und nach Werten zu klären.“ Wenn Ehrenamtliche aus der kirchlichen Jugendarbeit beispielsweise bei Tagen der Orientierung mit Schülergruppen für mehrere Tage in ein Kloster führen, erlebten sie oft, wie Schülerinnen und Schüler sich hellwach mit Grundfragen des Lebens und Glaubens beschäftigten und dabei auch eine intensive Gemeinschaft lebten.

Um die Bemühungen der Schulen und Kirchen, im Interesse der Kinder und Jugendlichen eng zusammenzuwirken, zu unterstützen, haben die evangelische und die katholische Kirche in Baden-Württemberg die Praxishilfe „Lebens-Werte entdecken“ entwickelt. Sie erscheint Mitte Oktober 2012 und wird kostenfrei an alle Schulen, Kommunen und Kirchengemeinden in Baden-Württemberg verteilt.

Kategorien: Forschung - Berichte

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