Netzwerk Ganztagsschule: "Abgucken erwünscht" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Im Februar 2013 war die zweite Runde des Netzwerks Ganztagsschule im Begleitprogramm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ gestartet. Jetzt versammelten sich rund 180 Teilnehmende aus 56 Schulen, um sich über das Erreichte auszutauschen.

Es ist nicht nur für Maren Wichmann, die Programmleiterin des Begleitprogramms „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“, eine „beeindruckende Galerie“, die in der Jerusalem-Kirche in Berlin-Kreuzberg an diesem 2. Oktober 2014 aufgebaut worden ist. Einen Tag zuvor haben sich die Vertreterinnen und Vertreter der 56 Schulen aus allen 16 Bundesländern im Rahmen ihres Netzwerks Ganztagsschule getroffen, um Bilanz zu ziehen und sich auszutauschen: Was haben wir erreicht? Was müssen wir noch anpacken? Diese Ergebnisse sind phantasievoll auf Leinwänden festgehalten worden, welche nun die ganze Bandbreite der pädagogischen Ideen und Ambitionen zeigen.

„... ganz viele Schätze in anderen Bundesländern gefunden“

Im Februar 2013 war die zweite Runde des Netzwerks gestartet. Ziel war es, den Blick – bundesländer- und schulformübergreifend – über den eigenen Tellerrand zu werfen, andere Herangehensweisen kennenzulernen und die eigene Arbeit gespiegelt zu bekommen. Die Ganztagsschulen nahmen sich Projekte vor, die sie in ihren Schulen strukturell verankern wollten, besuchten sich im Laufe der gut 18 Monate gegenseitig und trafen sich auf zwei jährlichen Netzwerktreffen.

„Dieses Schauen über die Landesgrenzen hinweg hat das Netzwerk so reizvoll gemacht“, sagt Heiko Hübner, Referatsleiter im sachsen-anhaltischen Kultusministerium während der Podiumsdiskussion des Abschlusstreffens. Ulrike Schmidt-Hansen, Schulleiterin der Schule am Heidenberger Teich in Kiel, fand den Austausch mit ihrer „Partnerschule“ aus dem Saarland so bereichernd, dass man den Kontakt auch nach Ende des Netzwerks weiter halten wolle. „Das Gewinnbringendste für alle Kollegen, die dabei sein durften, war der Blick über den Tellerrand“, bilanziert Schulleiterin Susanne Rinno von der Gustav-Woehrnitz-Mittelschule im bayerischen Lohr am Main. „Wir haben ganz viele Schätze in anderen Bundesländern gefunden und unseren Rucksack vollgeladen.“

Kompetenzen stärken durch Schul- und Unterrichtsentwicklung

Die Kieler Schule am Heidenberger Teich ist eine Grundschule mit gebundenem Ganztag und eines der 56 Beispiele für die Schulentwicklung, die durch das Netzwerk vorangetrieben wurde. Die Schulleiterin Ulrike Schmidt-Hansen erstellte mit ihrem Team ein Präventionskonzept und widmete sich der Schulkultur. In allen Klassen wirkt nun der Klassenrat als Mittel der Partizipation und der Konfliktbewältigung.

In den beiden thüringischen Ganztagsschulen standen Lernkultur und Unterrichtsentwicklung im Vordergrund. An der Staatlichen Regelschule „Wilhelm Hey“, einer teilgebundenen Ganztagsschule in Ichtershausen (Ilm-Kreis), schaffte man die Hausaufgaben ab und richtete individuelle Lernzeiten von zweimal 45 Minuten in der Woche ein. Während der Lernzeit werden Deutsch-, Englisch- und Mathematikaufgaben bearbeitet, sodass sich schriftliche Hausaufgaben in diesen Fächern erübrigen. Die Bertha-von-Suttner-Schule in Mechterstädt (Landkreis Gotha), ebenfalls eine staatliche Regelschule mit teilgebundenem Ganztag, führte in der 7. Klasse eine wöchentliche, fächerübergreifende 90-minütige Forscherzeit ein. Projektunterricht soll helfen, die Teamarbeit sowohl der Jugendlichen als auch der Lehrerschaft zu verbessern.

Im Rahmen des Netzwerks entwickelten die Pädagoginnen und Pädagogen am Schulzentrum der Stadt Könnern (Salzlandkreis) in Sachsen-Anhalt ein komplett neues Unterrichtsfach. An der offenen Ganztagsschule startete im Schuljahr 2013/2014 „KIP – Kompetenzen im Projekt“ in der Klassenstufe 5. Mit KIP, das nun in die weiteren Jahrgänge aufwachsen wird, soll die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler in fächerübergreifenden Projekten intensiviert werden. Ein handfestes Vorhaben ergab sich an der Evangelischen Oberschule „Erhard und Rudolf Mauersberger“ in Großrückerswalde (Erzgebirgskreis): An der Mittelschule mit offenem Ganztag will man eine Schulbibliothek aufbauen und dazu Schülerbibliothekare ausbilden. Das Interesse am Lesen soll mit Aktionen und neuen Möglichkeiten zur Pausen- und Freiblockgestaltung gestärkt werden.

„Wir sind versierter und mutiger geworden“

Die Franz-Mehring-Schule in Leipzig, eine offene Ganztagsgrundschule mit Hort, beschäftigte sich intensiv mit dem Thema der psychischen Gesundheit, auch der Gesundheitsförderung des pädagogischen Personals. Die gebundene Ganztagsgrundschule Saarbrücken-Kirchberg arbeitet an einem Konzept zur jahrgangsübergreifenden Schuleingangsphase. Es ist eine Planungsgruppe eingesetzt worden, die ihre Arbeitsergebnisse regelmäßig dem Kollegium und dem sozialpädagogischen Team vorstellt. Zum Schuljahr 2015/16 soll die neue Schuleingangsphase starten.

„Wir sind versierter in unserer Schulentwicklungsarbeit geworden und gehen offener mit unseren Defiziten um, weil wir gemerkt haben, dass uns die Kommunikation über unsere Baustellen voranbringt“, befand Lehrerin Nicole Guthier vom Goethe-Gymnasium im hessischen Bensheim (Kreis Bergstraße). Die Schule hat Klassenlehrerstunden für die Jahrgänge 5 bis 8 eingeführt und somit dem sozialen Lernen viel mehr Raum gegeben.

Für die Gruppe der Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter lobte Margarita Proios vom Carl-Friedrich-von-Siemens-Gymnasium Berlin, dass die verschiedenen Sichtweisen der unterschiedlichen Professionen eingebracht werden konnten, was spannend gewesen sei. Ihr Kollege Simon Eichmann aus der Grundschule an der Andernacher Straße in Bremen erklärte, dass der Austausch „den Blick für andere Möglichkeiten, wie Schule funktionieren kann, und auch auf die eigene Schule“, verändert habe. „Wir sind ermutigt worden, nun auch in den Bereichen Sachkunde und Deutsch Forscherlabore zu etablieren.“

Klaus Sterner verriet: „Wir haben jetzt ein Tutorenkonzept an unserer Schule und ein Lernbuch eingeführt, mit dem die Schüler ihre Lernzeiten selbst besser organisieren können.“ Der Schulleiter der Grund- und Mittelschule im bayerischen Lenting (Landkreis Eichstätt) meinte aber auch: „Es bringt wenig, wenn so etwas nur von ein paar Kolleginnen oder Kollegen getragen wird, sondern das musste und muss weiterhin Stück für Stück ins ganze Kollegium hineingebracht werden.“

Kooperation zwischen Professionen ist Kernelement der Ganztagsschule

Wissenschaftlich flankierte Prof. Thomas Olk von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg das Abschlusstreffen mit seinem Beitrag „Multiprofessionelle Zusammenarbeit und lernende Organisationen“. Die Kooperationen zwischen den verschiedenen Professionen würden noch manchmal durch Vorurteile, aber häufiger schlicht durch fehlende Zeiten und Räume verhindert, was natürlich auch eine Ressourcenfrage sei. Nach den Befragungen im Rahmen der StEG-Studie (Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen) werde der Austausch aber von allen gewünscht. „Gerade diese professionenübergreifende Zusammenarbeit ist eine Chance der Ganztagsschulen, die genutzt werden sollte“, so der Appell des Erziehungswissenschaftlers. „Ständige Kommunikation ist eine Voraussetzung für das Gelingen dieser Kooperationen.“

Das Ende des Netzwerks Ganztagsschule bedeutet für das Goethe-Gymnasium in Bensheim kein Ende der Vernetzung: „Wir sind im Gespräch mit Schulämtern und der Serviceagentur Hessen, weil wir nun gerne ein regionales Netzwerk aufbauen möchten. Denn Netzwerke bieten uns wirklich eine Chance, die sich uns sonst nicht so eröffnet“, so Lehrerin Nicole Guthier.

Motto für Qualitätsentwicklung: „Abgucken erwünscht!“

Dass das „Voneinander lernen“ zu den effektivsten Verfahren der Schulentwicklung und Qualitätsverbesserung gehört, hat sich auch in den Lehrerfortbildungseinrichtungen herumgesprochen. So hat die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Sachsen-Anhalt bereits seit Jahren gemeinsam mit dem Kultusministerium, dem Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA) und dem Ganztagsschulverband Sachsen-Anhalt e. V. das Referenzschulsystem „Abgucken erwünscht“ entwickelt. In Schleswig-Holstein bilden 23 Referenzschulen ein Netzwerk der Hospitationen und Fortbildungen. Der Blick über Bundesländergrenzen hinweg erweitert diese Perspektive noch einmal. Dazu hat das Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ entscheidend beigetragen.

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