Mobil, aber sicher – Verkehrserziehung und Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Als Kooperationspartner in Ganztagsschulen ist sie sehr gefragt: die Deutsche Verkehrswacht. Heiner Sothmann, Pressesprecher des Bundesverbandes, erläutert im Interview, wie eine gute Verkehrs- und Mobilitätserziehung aussehen sollte.
Online-Redaktion: Herr Sothmann, welche Aufgaben übernimmt die Deutsche Verkehrswacht?
Heiner Sothmann: Die Deutsche Verkehrswacht hat sich seit ihrer Gründung 1924 zum Ziel gesetzt, die Mobilität auf deutschen Straßen sicherer zu machen und die Zahl der Unfallopfer zu verringern. Unsere Programme richten sich an alle Altersgruppen von Kindergartenkindern bis zu Senioren. Ein Bereich ist die Verkehrserziehung, bei der Kinder grundsätzliche Verhaltensregeln lernen sollen. Unter Verkehrserziehung versteht der Verband aber auch Mobilitätserziehung und damit, ganz wichtig, Bewegungsförderung. Wir versuchen bei den Verkehrsteilnehmern kognitive und motorische Fähigkeiten möglichst früh zu fördern, damit sie sich sicher im Verkehr bewegen können.
Eines der wichtigsten Bestandteile der Verkehrssicherheitsarbeit in der Schule ist die Radfahrausbildung in der 3. oder 4. Klasse. Ein weiterer Bereich ist die Verkehrsaufklärung, mit der wir die Menschen informieren, welche Regeln gelten und wie sie ihr Verhalten im Straßenverkehr anpassen können, um Unfälle zu vermeiden und Leben zu schützen. Ein dritter Bereich sind Fahrsicherheitstrainings für Fahrrad, PKW, Motorrad und LKW. Das Ideal, das wir anstreben, ist der unfallfreie Verkehr, die „Vision Zero“. Da ist realistischerweise der Weg das Ziel.
Online-Redaktion: Wie ist Ihr Verband organisiert?
Sothmann: Hier in Berlin arbeiten in der Bundesgeschäftsstelle derzeit 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir sind bundesweit aktiv mit 16 Landesverbänden und über 600 Gebiets-, Kreis- und Ortsverkehrswachten. Die Arbeit dort wird hauptsächlich von rund 60.000 Ehrenamtlichen geleistet. Neben unseren eigenen Projekten und Aktionen unterstützt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur verschiedene Zielgruppenprogramme, die hauptsächlich von unseren Ortsvereinen umgesetzt werden.
Online-Redaktion: Das neue Schuljahr hat begonnen, eine sensible Zeit, wenn die vielen Erstklässlerinnen und Erstklässler unterwegs sind. Wie hilft die Verkehrswacht, hier für mehr Sicherheit zu sorgen?
Sothmann: Es geht zum einen um Sichtbarkeit. Wir sensibilisieren Kinder und Eltern dafür, dass sie helle Kleidung, Warnwesten und Schultaschen mit reflektierenden Elementen tragen. Unsere Verkehrswacht Medien & Service GmbH organisiert seit 2003 die bundesweit einheitliche Aktion zum Schulanfang unter dem Motto „Brems dich! – Schule hat begonnen“. Dann werden reflektierende Basecaps für Schulanfänger verteilt. Öffentlichkeitswirksam angebrachte Spannbänder und Schulplakate sollen außerdem Autofahrer sensibilisieren, dass sie wegen der jungen Schulkinder besonders langsam, vorausschauend und rücksichtsvoll fahren. Davon künden auch unsere Aufkleber für Autos, Busse und Bahnen und Faltblätter mit Informationen für Eltern. Hinzu kommen unzählige Initiativen und Broschüren vor Ort und die Arbeit der Schul- und Buslotsen.
Wichtig ist uns, dass die Kinder nicht nur Verkehrsregeln lernen und Verkehrsschilder erkennen, sondern ihre Aufmerksamkeits-, Bewegungs- und Koordinationsfähigkeiten trainieren. Das heißt, Situationen zu abstrahieren und Gefahren abzuschätzen. Das fängt beim Schulweg an, den die Eltern mit den Kindern am Anfang intensiv üben müssen. Dazu gehen sie eine geeignete Strecke gemeinsam ab und besprechen mit ihren Kindern Abläufe und Gefahrenpunkte. Nicht der schnellste Schulweg ist der richtige, sondern der sicherste. Manche Schulen unterstützen das mit Schulwegplänen. Zu diesem Thema informieren wir und viele Verkehrswachten vor Ort über das richtige Schulwegtraining.
Es gibt auch Jugendverkehrsschulen, die von Verkehrswachten betrieben werden, in denen Schülerinnen und Schüler in einem Schonraum mit dem Fahrrad üben können. Hierbei trainieren sie auch Koordination und Gleichgewicht, Konzentration und das Einschätzen von Verkehrssituationen.
Online-Redaktion: Nicht selten gefährden die Eltern selbst die Kinder durch das Hol- und Bringchaos vor dem Schulgebäude...
Sothmann: Die Verkehrswachten setzen sich dafür ein, dass die Eltern ihre Kinder nicht zur Schule fahren, sondern die Schülerinnen und Schüler selbst den Weg zurücklegen lassen, wenn dies gefahrlos möglich ist. So bekommen sie wichtige Lernerfahrungen für die eigenständige Verkehrsteilnahme und stärken ihre motorischen Fähigkeiten. Wir können nichts verbieten, aber wir möchten sensibilisieren und Alternativen zum Eltern-Taxi aufzeigen. Einige Verkehrswachten schauen, wo man Hol- und Bringzonen in der Nähe der Schule einrichten kann, die keine Gefährdung der Schülerinnen und Schüler heraufbeschwören.
Online-Redaktion: Welche Angebote machen Sie Schulen?
Sothmann: In den Unterricht können wir natürlich nicht hineingehen, aber wir setzen uns dafür ein, dass die Verkehrserziehung im Unterricht stattfindet. Besonders unsere Verkehrswacht Medien & Service entwickelt entsprechende Konzepte, wie Verkehrspädagogik gut umgesetzt werden kann. Neben der Radfahrausbildung wurden auch Programme für Ganztagsschulen entwickelt, wobei nicht nur das pädagogische Konzept, sondern oft auch unterstützende Materialien und Medien erstellt und angeboten werden.
Der Kurs „Auf Rollen und Rädern“ schult die motorischen Fähigkeiten und Kompetenzen von Zweit- bis Viertklässlern. Hier lernen die Grundschülerinnen und -schüler Roll- und Geschwindigkeitserfahrungen mit dem Fahrrad und anderen Rollgeräten kennen. Sie laufen mit Laufdosen, Stelzen und Pedalos, was unter anderem den Gleichgewichtssinn schult, und üben das sichere Bremsen und das Halten der Spur mit ihren Fahrrädern.
Für Klasse 5 entwickelte die Verkehrswacht Medien & Service den Kurs „Neue Rad-Wege“, bei dem wirklich alles rund um das Fahrradfahren thematisiert wird – von der Frage, wie der Fahrradhelm richtig sitzt, über die Auswertung von Radwegen mit anschließenden Verbesserungsvorschlägen bis zur Entwicklung eigener Radschulpläne. Auch der Aufbau von Fahrradwerkstätten in Schulen ist Teil des Ganztagskonzeptes der Verkehrswacht Medien & Service.
An Jugendliche von 14 bis 18 Jahren wendet sich das Projekt „Driving Forces“. Hier setzen sich die Schülerinnen und Schüler in deutscher oder in englischer Sprache unter anderem mit der Thematik des Führerscheinerwerbs auseinander, der in dieser Altersgruppe ja eine große Rolle spielt. Da geht es um Peer-Group-Verhalten und Gruppenzwänge, die Klärung von Konflikten, den Umgang mit Geld, aber auch um Übernahme oder Ablehnung von Verantwortung. Beim Angebot „Mit dem Fahrrad auf die Datenautobahn“ recherchieren die Jugendlichen am Computer Themen rund um das Fahrrad und präsentieren ihre Ergebnisse, sodass zugleich die Medienkompetenz geschult wird.
Die Suche von Ganztagsschulen nach Kooperationspartnern öffnet unseren Verkehrswachten Chancen, sich als Anbieter von Ganztagsaktivitäten zu positionieren. Radfahren und Inline-Skaten kommen dem nachgewiesenen Bedürfnis der Schülerinnen und Schüler nach Freizeitangeboten und AGs entgegen. Diese Angebote sollten die bisherige Verkehrs- und Mobilitätserziehung ergänzen, aber keinesfalls ersetzen.
Online-Redaktion: Bei Ihren Angeboten für Ganztagsschulen findet sich auch der Kurs „Soziales Lernen“...
Sothmann: Wir brauchen das Bewusstsein, dass wir uns im Straßenverkehr nicht alleine bewegen und einem die Straße nicht alleine gehört, sondern dass es ein Raum ist, den wir mit anderen teilen. Das verlangt Rücksichtnahme, um Gefährdungen, Behinderungen und Unfälle zu vermeiden. Man sollte einander respektvoll begegnen. Im Kurs werden Hintergrundinformationen zu Kommunikation, Teambildung und Konfliktbearbeitung in Verbindung mit Übungen und Gruppenspielen durchgeführt. Die Schüler erfahren viel über sich und die Perspektive anderer und können damit auch besser mit Konfliktsituationen umgehen. Es muss Teamwork zwischen den Verkehrsteilnehmern herrschen. Das klingt erstmal einfach, aber auf der Straße vermissen wir das zu oft. Und es muss früh gelernt werden.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Ganztag vor Ort - Partizipation
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