„Mit Bewegung in den Ganztag" : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Alexander Jordan leitet die zentrale Fortbildungseinrichtung für Sportlehrkräfte in Hessen. Im Gespräch berichtet er über die bewegte Schule, die Kooperation von Ganztagsschulen mit Vereinen und die Unterstützungsangebote des Landes.
Online-Redaktion: Der Sportmediziner Prof. Dr. Winfried Banzer von der Goethe-Universität Frankfurt bemängelte kürzlich, Bewegung würde in der Schule kaum eine Rolle spielen. Sehen Sie das ähnlich?
Alexander Jordan: Nein. Sportunterricht und die Gestaltung des Schullebens durch Schulsport und Bewegung ist in Schulen ein besonderes Anliegen – das gilt für die Ganztagsschulen wie für alle Schulen, in Hessen, aber nach meiner Erfahrung auch bundesweit. Allen ist die Bedeutung der Bewegung bewusst. Außerdem stellt der Sport ein Feld dar, in dem sich die Schülerinnen und Schüler mit ihrer Schule identifizieren können. Dazu kommt, dass sich Sport bestens zur Profilbildung und Außendarstellung der Schule eignet.
Online-Redaktion: Was heißt, Schülerinnen und Schüler können sich durch Sport mit ihrer Schule identifizieren?
Jordan: Einerseits können sie das durch die Teilnahme an sportlichen Wettbewerben und Turnieren in der Schule. Dann aber auch durch den Vergleich mit anderen Schulen, wie zum Beispiel im bundesweiten Programm „Jugend trainiert für Olympia“. Außerdem bieten wir seit zehn Jahren verschiedene Programme an, die es Schülerinnen und Schülern ermöglichen, sich als sogenannte Schülermentoren und -mentorinnen für Sport oder als Gesundheitsbotschafter ausbilden zu lassen. Sie können dann im Sportunterricht, aber auch im Schulleben Bewegungsaktivitäten und Sportangebote nicht nur unterstützen, sondern auch selbst aktiv gestalten. Die Chance, sich entsprechend zu qualifizieren, nutzen jährlich mehr als 300 Jugendliche.
Online-Redaktion: Sie sprechen Wettbewerbe an. Der Sportmediziner meint, Schülerinnen und Schüler würden frustriert, wenn sie Leistungsvorgaben nicht erfüllen, und die Folge sei, dass sie Sport auch in der Freizeit meiden.
Jordan: Wir bieten als Land Hessen zahlreiche Anreize, sich als gesundheitsfördernde Schule und damit als bewegte Schule zertifizieren zu lassen. Das beinhaltet beispielsweise die Stärkung eines bewegten Unterrichts und Lernmethoden, die Bewegung integrieren. Es geht darum, den Erwerb grundlegender Bewegungskompetenzen zu ermöglichen. Das fördert anderseits auch die Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen, sich im Sport bewusst zu verhalten und damit Bewegung als aktiven Lebensstil für sich wertzuschätzen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Sportunterricht beinhaltet Leistungsorientierung, aber darüber hinaus und gleichwertig zahlreiche andere Motive wie Fitness und Gesundheit, soziale Interaktion, auch das bewusste Wahrnehmen des eigenen Körpers und den Mut, etwas zu wagen.
Online-Redaktion: Es sind auch immer wieder Klagen zu hören, die Ganztagsschule verhindere sportliche Aktivitäten in den Vereinen. Teilen Sie die Sorge?
Jordan: Da hat sich in den vergangenen Jahren doch eine ganze Menge getan. Ganztagsschulen wie Vereine wissen, dass und wie sie voneinander profitieren können - eben auch im Interesse der Schülerinnen und Schüler. In Hessen ist der Sport der mit Abstand größte Kooperationspartner von Schulen. Ein Drittel aller Ganztagsangebote sind Sportangebote. Natürlich kann das noch ausgebaut werden. Erforderlich hierfür ist eine enge Kooperation zwischen Schulen und Vereinen mit möglichst guter Verzahnung der Angebote. Unsere landesweiten und regionalen Beratungsangebote zielen unter anderem genau darauf.
Online-Redaktion: Reicht viel Quantität aus?
Jordan: Natürlich nicht. Unser Ansatz lautet: Qualitativ hochwertige Kooperationen ermöglichen! Denn es geht ja gerade nicht darum, den Schülerinnen und Schülern irgendetwas anzubieten. Wichtig ist, dass Schulen und Vereine miteinander im Gespräch sind, um gemeinsam ihre Ziele zu definieren und Wege festzulegen, wie diese auch erreicht werden können. Wir unterstützen die Intensivierung solcher Gespräche flächendeckend zum Beispiel mit einem Leitfaden. In allen 15 staatlichen Schulämtern Hessens arbeiten Schulsportkoordinatoren und -koordinatorinnen. Den Führungskräften und Leitungen von Schulen bieten wir darüber hinaus das Seminar „Mit Bewegung in den Ganztag“ an. Es wird sehr gut angenommen!
Online-Redaktion: Wäre es nicht im Interesse der Sache, ein solches Seminar auch für Vereinsvertreter zu öffnen?
Jordan: Ein interessanter Gedanke. Der Landessportbund Hessen bietet ja seinen Übungsleitern und Vereinsfunktionären vergleichbare Fortbildungen an. Beide Zielgruppen aus Schule und Verein in einem gemeinsamen Seminar zusammenzuführen, welches sowohl vom organisierten Sport als auch von der Lehrerfortbildung gestaltet wird, halte ich für lohnend.
Online-Redaktion: Spüren Sie bei den Kollegien an Ganztagsschulen schon ein ausreichendes Bewusstsein für die Bedeutung, mit Sportvereinen zu kooperieren?
Jordan: Eine pauschale Antwort ist auf diese Frage nicht möglich. In den Steuergruppen der Ganztagsschulen steht das Thema Kooperationen mit außerschulischen Partnern, nicht nur mit den Sportvereinen, stark im Vordergrund. Bei jedem einzelnen Lehrer oder jeder einzelnen Lehrerin ist das meiner Erfahrung nach abhängig von der eigenen Biografie. Wer als Sportlehrer beziehungsweise Sportlehrerin nicht selbst in einem Sportverein aktiv ist, ist da oft zurückhaltender. Mit einem Praktikum in einem Sportverein im Rahmen der Lehrerausbildung wäre eine solche Verknüpfung zum Beispiel besser möglich.
Online-Redaktion: Wie schätzen Sie die Bewegungsförderung an Schulen in Hessen ein, sagen wir, bei einer Skala von 1 bis 10?
Jordan: Das muss man auch wieder differenzieren. Die Umsetzung des bewegten Lernens in den Unterrichtsfächern würde ich vielleicht bei vier sehen. Wenn es aber um aktives Schulleben, Bewegungsangebote in den Pausen oder etwa sportliche Klassenfahrten geht, sehe ich die Schulen mindestens bei einer Acht. Die Grundschulen sind übrigens bei der Verzahnung von Unterricht und Bewegung unsere Aushängeschilder. Sehr viele von ihnen sind als „bewegungsfördernde Schule“ zertifiziert. Eine Anforderung für ein solches Zertifikat ist die Teilnahme des Kollegiums sowie der Schulleitungen an Fortbildungen zum Thema.
Online-Redaktion: Was muss passieren, dass Ihre Bewertung auf der Skala noch steigt?
Jordan: Vorweg: Wir haben ganz sicher kein Erkenntnis-, sondern mancherorts eher ein Umsetzungsproblem. Was wirkt, sind gute Praxisbeispiele, die Orientierung bieten und Mut machen, neue Erfahrungen zu sammeln. Da geht es beispielsweise auch um neue Wege der Kooperation, um die Kommunikation zwischen Ganztagsschulen und Vereinen, um machbare und attraktive Schulentwicklungsziele, aber etwa auch um Unterrichtsmethoden. Und weil die Schülerinnen und Schüler den größten Zeitanteil in der Schule im Unterricht sind, kommt diesen eine sehr hohe Bedeutung zu. Denn nur mit und in Bewegung findet optimales Lernen statt. In unseren Fortbildungen machen wir diese Ansätze und Praxisbeispiele erfahrbar und erlebbar.
Kategorien: Kooperationen - Kinder- und Jugendhilfe
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