Medienkompetenz von Jugendlichen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Christoph Klimmt, Kommunikationswissenschaftler und Direktor des Instituts für Journalistik und Kommunikationsforschung an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, hat mit rund 180 Schülerinnen und Schülern im Raum Hannover ein Pilotforschungsprojekt zur Medienkompetenz durchgeführt.
Online-Redaktion:
Prof. Klimmt, welche Gedanken liegen Ihrem Forschungsprojekt zugrunde?
Christoph Klimmt: Das Thema Medienkompetenz hat in den vergangenen 15 Jahren im schulischen Bereich enorm an Bedeutung gewonnen. Schulen benötigen heutzutage Medienkonzepte. Medienkompetenz wird als Querschnittsqualifikation eingefordert. Durch die veränderte Medienwelt beschleunigt, hat sich die Medienpädagogik als ein Teilgebiet der Erziehungswissenschaften etabliert. Es sind viele praxispädagogische Konzepte vorhanden, viel Literatur über Medienkompetenz und viele präzise Beobachtungen, wie Jugendliche mit neuen Medien im Alltag umgehen.
Die Medienpädagogik arbeitet aber kaum mit empirisch-statistischen Verfahren. Es existieren kaum Daten darüber, wie medienkompetent einzelne Gruppen sind, einfach deshalb, weil es auch keine Studien gibt, die aufzeigen könnten, wie man Medienkompetenz überhaupt messen kann. Will man nun Studien auflegen, verfügt die Medienpädagogik, im Gegensatz etwa zur pädagogischen Psychologie, über kein Methodeninstrumentarium. An unserem Institut betreiben wir Kommunikationswissenschaft, eine empirisch aufgestellte Disziplin, in der wir sehr wohl über Methoden verfügen, Medienkompetenz zu messen. Und wir haben uns vor Jahren gefragt, welchen Beitrag wir zur Diskussion um Medienkompetenz leisten können.
Online-Redaktion: Welche ersten Schritte sind Sie gegangen?
Klimmt: Wir haben Forschungsmittel vom Land Niedersachsen eingeworben, um empirische Methoden und Messinstrumente zu entwickeln und so belastbares Zahlenmaterial zu erhalten, wie hoch oder niedrig sich die Medienkompetenz bestimmter Bevölkerungskreise darstellt. Dabei haben wir uns auf einen kleinen Ausschnitt des weiten Feldes Medienkompetenz, auf die Medienkritikfähigkeit, fokussiert und eine eng definierte Lernergruppe, Neuntklässler, gewählt.
Nach den Anforderungen sozialwissenschaftlicher Methodengüte ist unser Messinstrumentarium valide. Wir haben die Leistungen von Neuntklässlern mit denen unserer Erstsemester verglichen. Die a priori vorausgesetzte, unterschiedlich ausgebildete Medienkompetenz wurde hierbei gut abgebildet. An die Methodengüte einer PISA-Studie kommen wir dabei natürlich nicht heran. Mathematische Kompetenzen oder Lesekompetenz sind allerdings auch deutlich einfacher zu testen, da die Fähigkeitskriterien gegenüber Medienkompetenzen viel schärfer zu beschreiben sind.
Online-Redaktion: Weshalb haben Sie gerade Neuntklässler als Befragtengruppe gewählt?
Klimmt: Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist die mittlere Adoleszenz ein interessantes Alter. Das Erwachsenenleben steht vor der Tür, und Bildungserfolg wird eine ganz kritische Größe. Zu diesem Zeitpunkt entscheidet sich eine Menge: welche beruflichen Entwicklungspotentiale und gesellschaftliche Teilhabe ein junger Mensch erhalten wird, welche Rolle er als Staatsbürger einnehmen wird. Und die Auseinandersetzung mit veröffentlichter Meinung gehört dazu. Außerdem ist die 9. Jahrgangsstufe diejenige, in denen sämtliche Jugendlichen in allen allgemeinbildenden Schulen noch vorhanden sind. Hätten wir beispielsweise die Klasse 11 gewählt, hätten wir unser Vorhaben ja nicht mehr in allen Schulen durchführen können. Das wäre unserer weiteren Planung zuwider gelaufen, unser Methodeninstrumentarium zukünftig in repräsentativen Studien einzusetzen.
Online-Redaktion: Sie haben erklärt, dass es bisher wenige Studien zur Überprüfung von Medienkompetenz gab. Wie haben Sie Ihren Fragenkatalog entwickelt?
Klimmt: Wir betrachteten verschiedene medienpädagogische Praxisprojekte, um herauszufinden, wie diese eigentlich Medienkritikfähigkeit definieren. An welchen Beispielen wird dort etwa problematischer Journalismus veranschaulicht? Wie sensibilisiert man Jugendliche, dass sie nicht alles, was in der Zeitung steht, für bare Münze nehmen? Allerdings haben wir in diesem Bereich nicht so viel gefunden. Die vorhandenen Projekte weisen eher einen hohen Lebensweltbezug für die Jugendlichen auf: Da geht es dann um das Handy als Kostenfalle, um Cyber-Mobbing oder die Frage, was Jugendliche mit dem Handy im Unterricht anstellen
Schließlich haben wir uns den professionellen Medienkritiksystemen in Deutschland zugewendet oder Gremien, die sich mit Qualitätskontrolle beschäftigen, namentlich dem deutschen Presserat, der regelmäßig Rügen für schlechten Journalismus ausspricht. Dies war für uns die ergiebigste Quelle. Wir haben an dieser Stelle den Übersetzungsschritt getan zu sagen: Medienkritikfähig ist, wer das, was professionell kritisiert worden ist, nachvollziehen kann. Für uns war das wichtig, an die Kriterien und Spruchpraxis des Deutschen Presserats anzudocken, so mussten wir nicht selbst definieren, was wir für medienkritikwürdig halten, denn dies wäre ja immer angreifbar. Aus den vorhandenen Beispielen gerügter, das heißt mangelhafter journalistischer Sorgfaltspflicht konnten wir plastische Aufgaben für die Schülerinnen und Schüler generieren.
Online-Redaktion: Wie haben Sie die Studie in den Schulen durchgeführt?
Klimmt: Wir haben einen Online-Fragebogen entwickelt, der innerhalb einer Schulstunde im Computerraum der Schulen bearbeitet werden kann. Schulen, die zukünftig mit uns zusammenarbeiten und die Medienkritikfähigkeit ihrer Schülerinnen und Schüler erforschen wollen, können unser Institut kontaktieren. Wir stellen dann Informationsmaterial zur Verfügung und senden der Schule die Zugangsdaten zum Online-Fragebogen zu. Von Freiburg bis Greifswald können alle Schulen mitmachen.
Online-Redaktion: Welche Tendenz lässt sich ausmachen, wenn Sie die Ergebnisse auswerten?
Klimmt: Unsere Studie diente in erster Linie dazu, die angewandte Methode auf ihre Brauchbarkeit zu testen. Es ist ein bisschen heikel, gleichzeitig die Wirksamkeit einer Methode zu prüfen und die dabei gewonnenen inhaltlichen Erkenntnisse zu interpretieren. Mit aller gebotenen Vorsicht lässt sich sagen, dass wir eine medienpädagogische Förderbedürftigkeit bei den untersuchten Neuntklässlern sehen. Die Gaußsche Normalverteilungskurve ist hier doch eher in den Bereich verrückt, in welchem die Kritikfähigkeit an journalistischen Produkten nicht übermäßig ausgeprägt ist.
Online-Redaktion: Werden Sie nun selbst Folgeprojekte zur Medienkompetenz durchführen?
Klimmt: Als Langzeitversion schwebt uns vor, weitere Bausteine der Medienkompetenz jenseits der Frage der Medienkritikfähigkeit und für andere Altersgruppen in ähnlicher Weise messbar zu machen, um am Ende einen ganzen Methodenbaukasten zur Verfügung zu haben. Unser Projekt stellt also eigentlich nur den Auftakt für eine ganze Projektfamilie dar. Wenn wir unser Instrumentarium entwickelt und erprobt haben, könnten wir Prävalenzmessungen durchführen, also das Kompetenzniveau vermessen, wie es die PISA-Studie macht. Dann sollte es möglich sein, beispielsweise die Neuntklässler auf einer Skala von null bis zehn in ihrer Medienkompetenz zu verorten und spezifischer zu bestimmen, wie hoch der Wert etwa im Ruhrgebiet, in Berlin-Neukölln oder in Hamburg-Eppendorf liegt. Es ließen sich dann Zusammenhänge dazu herstellen, welche Maßnahmen Jugendliche mitgemacht und welche Unterstützung sie erhalten haben, wenn sie medienkompetenter als andere Altersgenossen sind.
Ein weiterer Verwendungszweck wären Evaluationen. Wir könnten mit den Messinstrumenten zum Beispiel Medienkompetenz-Fördermaßnahmen in den Schulcurricula oder in den Projekten außerschulischer Bildungsträger vergleichend auf ihre Wirkung untersuchen. Es wird uns dann auch möglich sein, im Längsschnitt zu schauen, wie sich Medienkompetenz im Jugendalter entwickelt.
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