„Kulturkreisel“ im rhythmisierten Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
In Mönchengladbach warten Kultureinrichtungen nicht auf die Kinder, sondern gehen als „Kulturkreisel“ selbst in Ganztagsgrundschulen. Der kommunale Fachberater OGS Dirk Lehnen vom Regionalen Bildungsbüro im Interview.
Online-Redaktion: Wer an Mönchengladbach denkt, ist schnell beim Fußball. Doch jetzt macht die Stadt mit einem neuen Bildungskonzept von sich reden – dem „Kulturkreisel“. Was verbirgt sich dahinter?
Dirk Lehnen: Wir bringen rhythmisierte Ganztagsgrundschulen und kulturelle Einrichtungen der Stadt zusammen. Die Idee hat mehrere Mütter und Väter. Auf der einen Seite sind die Ganztagsschulen, die nach externen Kooperationspartnern suchen. Auf der anderen Seite gibt es die Kultur, die erkannt hat, dass sie dorthin gehen muss, wo die Kinder sind. Und da sind ein Oberbürgermeister Felix Heinrichs und die Stadtpolitik mit ihrer Strategie, den Kulturbereich in der Schule zu stärken sowie die Beigeordnete für Bildung, Kultur und Sport Christiane Schüßler, die diese Strategie mit Leben erfüllen will. Gemeinsam haben sie in Gesprächen mit allen Beteiligten, den Grundschulen und den Akteuren der Mönchengladbacher Kultureinrichtungen überlegt, wie beides zusammengeführt werden kann.
Online-Redaktion: Durch Kooperationsprojekte?
Lehnen: Über den Sinn und die Vorteile einer Kooperation von Schule und Kultur herrschte Einigkeit. Doch schnell wurde klar, dass die Kultureinrichtungen keine Chance sahen, beispielsweise eine Arbeitsgemeinschaft über ein halbes Schuljahr anzubieten. Hauptsächlich bestand die Sorge vor einer zu geringen Anzahl an Kulturpädagoginnen und -pädagogen. Hinzu kamen Bedenken, ausreichend Inhalte für so einen langen Zeitraum entwickeln zu können. In dieser Phase gab der Leiter unserer städtischen Musikschule, Stefan Vörding, den entscheidenden Impuls: Warum gehen wir dann nicht rollierend in die Schulen?
Der Vorschlag fand sofort Zustimmung. Die Musikschule, das Museum Abteiberg, das Museum Schloss Rheydt, das Stadtarchiv und die Zentralbibliothek erklärten sich bereit, jeweils vier Wochen lang eine Schulstunde zu übernehmen und dort den Kindern altersgerecht ihre Kultureinrichtung näherzubringen. Aber sie sagten auch, dass sie das nicht in den über 30 Ganztagsgrundschulen der Stadt leisten können.
Online-Redaktion: In welchen Schulen kommen die Schülerinnen und Schüler nun in den Genuss des „Kulturkreisels“?
Lehnen: Wir haben uns für unsere Grundschulen mit rhythmisiertem Ganztag entschieden. Das sind vier Schulen, die seit diesem Schuljahr in einem Pilotprojekt eine, man könnte sagen, gebundene Ganztagsklasse eingerichtet haben. Das heißt, eine Klasse mit mindestens 25 Schülerinnen und Schülern lernt und lebt bis 16 Uhr ganztags in der Schule, während die anderen Kinder das Angebot des Offenen Ganztags nutzen oder nach Unterrichtsende nach Hause gehen. Vier dieser Pilotschulen stiegen ins „Kulturkreisel“-Projekt ein: die Grundschulen Mülfort-Dohr, Waisenhausstraße, Pahlkestraße und Untereicken. Eine fünfte Grundschule startet im kommenden Schuljahr.
Sie alle arbeiten von 8 bis 16 Uhr rhythmisiert. Das bedeutet, dass der „Kulturkreisel“, an dem alle Kinder des rhythmisierten Ganztags teilnehmen, immer im Vormittagsband des Unterrichts seinen Platz für 45 Minuten nach der ersten großen Pause gefunden hat. Die Schulen haben zu Recht darum gebeten, dass das Projekt erst im zweiten Schulhalbjahr starten soll. Im ersten sind die I-Dötzchen genug mit dem Wechsel von der Kita in die Grundschule beschäftigt. Er stellt ja doch eine enorme Herausforderung und Veränderung für sie dar.
Online-Redaktion: Was wird im „Kulturkreisel“ beispielsweise angeboten?
Lehnen: Die Kultureinrichtungen sind völlig frei in ihrer Auswahl. Sie suchen alle nach altersgerechten Angeboten, die den Schulalltag bereichern und den Kindern Freude bereiten. Im optimalen Falle bringen sie noch die gesamte Familie dazu, auch in ihrer Freizeit die kulturellen Orte aufzusuchen. Denn die erste Phase des „Kulturkreisels“ bestätigte die Befürchtung, dass viele Kinder noch nie in den Museen, dem Stadtarchiv, der Bibliothek, geschweige denn im Schloss Rheydt gewesen sind.
Das Schloss Rheydt steigt nun beispielsweise mit einer „Traumreise“ in die vier Stunden ein. Darin sollen die Kinder erzählen, manchmal auch malen, wie sie sich das Schloss vorstellen. Anschließend sehen sie die Realität in einem Video. Sie können dann später Kostüme aus der Renaissance anprobieren, die Ritterzeit kennenlernen und selbst Holzschwerter schnitzen. Das bereitet ihnen Freude. Aber das ist natürlich nur einer von ganz vielen spannenden Zugängen, die sich den Kindern zur Kultur öffnen.
Online-Redaktion: Wer leitet die Stunden?
Lehnen: Die Personalfrage ist neben den Inhalten die schwierigste Stellschraube. Mitunter übernehmen das Angestellte der Einrichtungen. Aber deren Zeit ist begrenzt. Also müssen die Kultureinrichtungen auf selbstständige Kunstpädagoginnen und ‑pädagogen zurückgreifen. Diese belasten dann mit ihren Honoraren das Budget für externe Kooperationspartnerinnen und -partner der Ganztagsschulen. Insbesondere dann, wenn wir dem Wunsch der Pädagogen und Schulleitungen nach einem 90-minütigen Angebot pro Einheit nachkommen möchten.
Online-Redaktion: Als Regionales Bildungsbüro sind Sie auch so etwas wie ein Bindeglied zwischen der Stadt, Ganztagsschulen, freien Trägern der Jugendhilfe und Vereinen. Haben alle den Nutzen von Kooperationen mit Ganztagsschulen verinnerlicht?
Lehnen: Das ist durchaus unterschiedlich. Viele sehen den Nutzen und die Notwendigkeit, wie allein unsere Broschüre „AGs, Angebote und Projekte“ über Kooperationspartner in Mönchengladbach, die schon in dritter Auflage erschienen ist, zeigt. Aber es gibt auch noch solche, die darauf warten, dass die Kinder und Jugendlichen wie gewohnt nahezu automatisch zu ihnen finden. Spätestens in einigen Jahren, wenn der Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung umgesetzt worden ist, werden sie die Auswirkungen spüren, wenn sich das Leben der Kinder zu einem noch größeren Teil in den Ganztagsschulen abspielen wird. Schon jetzt nutzen in unserer Stadt rund 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler den Ganztag, und wir erwarten, dass sich die Zahl in den nächsten wenigen Jahren verdoppeln wird. Das hat Folgen für alle kulturellen Einrichtungen, Sportvereine, aber auch Jugendheime und Freizeiteinrichtungen. Jede und jeder hat jetzt schon die Möglichkeit, die Weichen richtig zu stellen.
Online-Redaktion: Die von Ihnen erwähnten Kultureinrichtungen haben die Weichen schon gestellt. Wie fällt das Fazit nach der ersten Phase aus?
Lehnen: Genaues werden wir nach einer umfassenden Evaluation, die wir aktuell vorbereiten, sagen können. An ihr werden die Einrichtungen, die Schulen, Schülerinnen und Schüler und auch die Eltern beteiligt sein. Aber wir befinden uns schon jetzt im regelmäßigen Austausch mit den beteiligten Akteuren. Wir hören ein extrem positives Echo, das wir in dieser Form selbst nicht erwartet haben. Die von uns in der Theorie gesehenen Stolpersteine blieben aus, alle Beteiligten sind flexibel und suchen, wenn erforderlich, kreative Lösungen.
Es ist beeindruckend, dass zwei so unterschiedliche Professionen mit dem eher starren System Schule auf der einen und den kreativen Kunstschaffenden auf der anderen Seite so gut harmonieren. Es ist doch wunderbar und sagt viel aus, dass sich jetzt schon die Stimmen mehren, die 45 Minuten pro Woche nicht ausreichend finden. Offensichtlich trifft der „Kulturkreisel“ den Nerv aller Beteiligten und die Neugier der Kinder.
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