Kooperation oder Konkurrenz? Ganztagsschule und Jugendarbeit : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Ist es möglich, eine Bildungslandschaft zu gestalten, in der die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen konsequent in allen Bildungsorten berücksichtigt werden? Eine Fachtagung des Landesjugendrings Rheinland-Pfalz fragte nach der Rolle der Jugendarbeit in der Kooperation mit Ganztagsschulen.
Die Kooperation von Ganztagsschule und Jugendarbeit wirft viele Fragen auf – diesen Eindruck konnte gewinnen, wer die Einladung des Landesjugendrings Rheinland-Pfalz zur Fachtagung „Zwischen Eigenständigkeit und Partnerschaft – Jugendarbeit mit und neben Ganztagsschule“ am 19. Januar 2015 in Mainz las. „Ist eine dauerhafte Kooperation zwischen Jugendarbeit und Ganztagsschule überhaupt sinnvoll – oder sollte Jugendarbeit angesichts der Unterschiedlichkeiten und der scheinbaren Übermacht des Schulsystems besser für Rahmenbedingungen einer friedlichen Koexistenz streiten?“, heißt es dort.
Die Fachtagung sollte auch eine Bestandsaufnahme sein und bilanzieren, wie die beiden Systeme Schule und Kinder- und Jugendhilfe kooperieren. Schon zum Beginn der Veranstaltung zeigte sich Volker Steinberg, der Vorsitzende des Landesjugendrings, „sehr zufrieden mit der Resonanz“. Der Saal des Tagungszentrums Erbacher Hof war mit etwa 200 Anwesenden gut gefüllt. Darunter waren allerdings, wie einige Teilnehmer bedauerten, keine Lehrkräfte.
„Die Schule prägt heute den Alltag der Kinder und Jugendlichen mehr denn je“, begrüßte Steinberg die Teilnehmenden. „Die Angebote der Jugendarbeit müssen sich dementsprechend verändern. Eigentlich müsste die Jugendarbeit der ideale Partner der Ganztagsschulen sein, aber es knirscht. Da reibt sich das Prinzip der Freiwilligkeit in den Angeboten der Jugendarbeit mit dem verpflichtenden Lehrplan der Schule. Da stehen Fragen der Verlässlichkeit bei der Arbeit mit Ehrenamtlichen im Raum und ob eine Identifikation mit einem außerschulischen Lernangebot auch unter dem Dach der Schule möglich ist.“
Wenig Zeit für vertiefte Kooperation...
Für die Bestandsaufnahme hatte der Landesjugendring zwei Experten für die beiden Bereiche eingeladen: Prof. Heinz Günter Holtappels vom Institut für Schulentwicklungsforschung an der Technischen Universität Dortmund und Prof. Ivo Züchner von der Philipps-Universität Marburg, die die „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) durchführen. Anhand der empirischen Befunde aus der bundesweiten Studie konnten sie zeigen, wie sich die Kooperation von Ganztagsschule und Jugendarbeit nun tatsächlich darstellt.
Für Heinz Günter Holtappels sollte „Lernen“ die Überschrift für eine Ganztagsschule sein. Der Erziehungswissenschaftler versteht darunter auch ein „Lernen für eine allseitige Entwicklung, bei der Schlüsselkompetenzen erworben werden“. In der Lehrerausbildung kämen das soziale Lernen und der erzieherische Aspekt weiterhin zu kurz. „Hier kann die Jugendarbeit hineingehen.“ Sie werde gebraucht für die Förderung in verschiedenen Lernarrangements wie Projekten, in Schülerfirmen oder Lernwerkstätten, beim Demokratie lernen, bei der Förderung von sozialen und personalen Kompetenzen. Die Verbindung von Fachunterricht und außerschulischen Lernarrangements sei dabei sehr fruchtbar. „Und gerade hier ist die Ganztagsschule schwach, da müssen andere mithelfen“, so der Wissenschaftler.
Für die Konzeption solcher Angebote sei die gemeinsame Vorbereitung mit den Lehrkräften nötig, womit ein Problem der Ganztagsschule beschrieben sei: „Das funktioniert nicht bei zwei Stunden Anwesenheit der außerschulischen Partner in den Schulen.“ Die StEG-Daten haben gezeigt, dass der Anteil der Beschäftigten mit einem Stundenumfang von unter fünf Wochenstunden im Primarbereich bei 23 Prozent und in der Sekundarstufe I bei rund 50 Prozent lag. „Das lässt keine vertiefende Kooperation zu, und selbst der Austausch zwischen den Professionen ist gering“, so der Forscher. Ein Weg, fehlende Ausbildungsfelder und mangelnde Zeit im Alltag zu kompensieren, seien gemeinsame Fortbildungen.
...aber Öffnung der Ganztagsschule zur Kinder- und Jugendhilfe ist deutlich
StEG habe aber auch belegt, dass die Öffnung der Ganztagsschule zur Lebenswelt und anderen Partnern stattfindet: 82 Prozent der Schulen arbeiten mit Kooperationspartnern. Mit der Kinder- und Jugendhilfe kooperieren 66 Prozent der Grundschulen und 59 Prozent der weiterführenden Schulen. Und die Zusammenarbeit werde von beiden Seiten mehrheitlich als gut bewertet.
Prof. Ivo Züchner stellte in seinem Vortrag die Größenverhältnisse der beiden Partner Schule und Kinder- und Jugendhilfe in Rheinland-Pfalz dar: Etwa 1.500 allgemeinbildende Schulen, davon 1.036 Ganztagsschulen, und rund 560 Einrichtungen wie Jugendzentren gibt es. 35.000 Lehrkräften stehen etwa 1.000 Hauptamtliche in der Kinder- und Jugendhilfe gegenüber.
Die Ganztagsschule habe für eine deutliche Öffnung zur Kinder- und Jugendhilfe gesorgt, und es gebe auch Hinweise auf eine verstärkte Nutzung von Jugendzentren durch die Schülerinnen und Schüler. Nach den bundesweiten StEG-Daten sei die Kinder- und Jugendhilfe in 86 Prozent der Ganztagsschulen mit Angeboten vertreten. In 27 Prozent der Ganztagsschulen stellt die Kinder- und Jugendhilfe den Träger.
Alles in allem sei der Sport der dominierende Kooperationspartner der Schulen (61 Prozent). Die Jugendarbeit spiele bisher keine große Rolle (Jugendpflege 7 Prozent, Jugendzentren 18 Prozent). Interessant sei aber, dass im Falle einer Kooperation 44 Prozent der Angebote der Jugendarbeit unter dem Dach der Schule stattfinden und 38 Prozent in den Räumlichkeiten der Jugendarbeit. Die Ganztagsschule nutze hier die Möglichkeit außerschulischer Lernorte.
Kooperation als Gewinn für die Jugendarbeit
„Eine Kooperation bedingt, dass die Partner partiell ihre Unabhängigkeit aufgeben müssen, womit sich die Schule schwer tut. Teilweise darf sie ihre Unabhängigkeit auch nicht beschneiden“, führte der Professor für außerschulische Jugendbildung aus. Auch er belegte mit seinen Zahlen, dass die Zufriedenheit der Partner der Kinder- und Jugendhilfe mit den Ganztagsschulen hoch ist: „Die Befragten äußern sich weit überwiegend positiv zur Akzeptanz durch die Lehrkräfte und die Unterstützung durch die Schulleitungen. Als weniger gut beurteilen sie die finanzielle Ausgestaltung und die Mitbestimmungsmöglichkeiten.“
Bei den Kooperationen, die schon über mehrere Jahre bestehen, konnte die Jugendarbeit einen Gewinn aus der Partnerschaft für ihre eigenen Institutionen ziehen: So verbesserte sich für 86 Prozent der Befragten aus der Kinder- und Jugendhilfe das Image der Jugendarbeit, für 74 Prozent hat sich das Angebotsspektrum erweitert, und 67 Prozent sehen das Erreichen anderer Zielgruppen als einen Gewinn.
„Gleichheit“ in der Partnerschaft ist laut Züchner „eine Utopie“. Die „gleiche Augenhöhe“ lasse sich am besten in der gemeinsamen Zielbeschreibung und Konzeption von Angeboten erreichen. Züchners Fazit lautete: „Die Ganztagsschule ist die umfassende Alltagswelt von derzeit rund 25 Prozent der Kinder und Jugendlichen. Die Jugendarbeit ist ein Partner unter vielen. Die Zusammenarbeit ist begrenzt und erfolgt hauptsächlich durch Angebote. Beide Partner sind unterschiedlichen Logiken unterworfen, zum Beispiel in der Frage von Hausrecht oder Freiwilligkeit.“
„Keine Konkurrenz, sondern riesige Chance“
In einer anschließenden Podiumsdiskussion „Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen als Ausgangspunkt“ beleuchteten die Vertreter der unterschiedlichen Akteure den Ist-Zustand der Kooperation aus ihrer Sicht. Johannes Domnick von der Landesschülervertretung Rheinland-Pfalz beklagte fehlende Mitbestimmungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler bei der Gestaltung des Unterrichts. Themen wie Demokratie lernen kämen viel zu kurz.
Klaus-Peter Hammer, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, meinte: „Wenn sich die Schulleitungen für die außerschulische Wirklichkeit öffnen, gelingt die Zusammenarbeit. Das antiquierte Bild von Schule, das noch in vielen Köpfen vorherrscht, muss endlich zugunsten einer Schule weichen , in der Lehrkräfte zu Lernbegleitern werden, die differenziert im Projektunterricht arbeiten. Dass das funktioniert, habe ich als Lehrer selbst erlebt.“
Lisi Maier, Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings, meinte, dass in vielen Ganztagsschulen für die Jugendverbände nur die Hausaufgabenbetreuung übrig bleibe: „Von gleicher Augenhöhe kann gar keine Rede sein. Die Kooperationen sollten nicht nur von der Schulleitung abhängen, sondern in Strukturen verankert werden.“ Für die Kinder und Jugendlichen mahnte sie Zeiten und Räume an, „in denen sich die Schüler selbst verwirklichen können“.
Frank Beckmann vom Deutschen Jugendinstitut resümierte schließlich: „Wir reden bei Schule und Jugendarbeit nicht von Konkurrenz, sondern von einer riesigen Chance für eine bessere Schule. Die Kinder- und Jugendhilfe insgesamt und die Jugendarbeit besonders sollten dafür streiten.“
Zum Abschluss der Veranstaltung machten sich zwei der besten deutschen Poetry Slammer, Philipp Herold und Stefan Dörsing, ihre „Gedanken zur Bildung“. Fazit: „Bildung macht nicht dumm.“
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