Hort und Ganztagsbildung in Sachsen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Bei den Eltern in Sachsen ist er hoch populär, sorgt für fast flächendeckende Bildungs- und Betreuungsangebote im Grundschulbereich und ist doch mit dem Blick auf die schulischen Ganztagsangebote verunsichert – der Hort in Sachsen.

1911 hielt die „Deutsche Zentrale für Jugendfürsorge“ in Dresden die 1. Kinderhortkonferenz ab, die sich mit dem Problem „aufsichtsloser Schulkinder“ befasste. Die Antwort war der Hort als Einrichtung der Jugendwohlfahrt. Schon damals wurde diskutiert, ob und wie die Jungen und Mädchen in diesen Einrichtungen ihre Schularbeiten, sprich Hausaufgaben, erledigen sollten.

Rund 100 Jahre später werde diese Diskussion in den Horten noch immer geführt, wie Prof. Hans Gängler von der Technischen Universität (TU) Dresden ausführte: „Der Bezug der Horte zur Schule war schon immer da. Und der Hort war schon immer als Ergänzung zur Halbtagsschule eingerichtet.“ In der DDR gehörte der Hort schließlich seit dem Schulgesetz von 1959 zur Schule, ob räumlicher Bestandteil der Schule oder eigenes Gebäude.

Heute stellt sich die Frage, welche Rolle der Hort in einem Bildungssystem mit immer mehr Ganztagsschulen spielen kann und soll. Werden die Horte aufgelöst wie in Berlin oder Nordrhein-Westfalen? Rücken sie unter das Dach der Schule als Schulhort wie in Thüringen? Bleiben sie als eigenständige Institutionen neben Schule und Ganztagsangeboten bestehen wie in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen?

20 Jahre auf der Suche nach der Rolle des Hortes

In der empirischen Studie von Karl Lenz, Katharina Weinhold und Rüdiger Laskowski (TU Dresden) zur „Leistungsfähigkeit schulischer Ganztagsangebote“ (2011), wurde das „Spannungsfeld von Schule, Hort und Familie in Sachsen“ untersucht. Probleme sah man darin, dass die schulischen Ganztagsangebote die am Sächsischen Bildungsplan (2005) ausgerichtete Tätigkeit der Erzieherinnen und Erzieher in den – der Jugendhilfe zugehörigen – eigenständigen Horten einschränken oder sogar konterkarieren könnten.

Die Einführung von schulischen Ganztagsangeboten seit 2005 erwies sich somit für die Hortentwicklung als schwierig. Thomas Markert und Katharina Weinhold (TU Dresden) stellten in weiteren Studien fest, dass „das potenziell spannungsreiche Kooperationsfeld Grundschule-Hort durch den Ausbau von zusätzlichen, zumeist schulisch organisierten Ganztagsangeboten weitere Brisanz erhielt. Vorsichtig ausgedrückt, wurde bei weitem nicht überall in der Tradition einer guten Zusammenarbeit von Grundschule und Hort gemeinsam ein Ganztagskonzept erstellt, das im Sinne beider Einrichtungen war.“

Sichtet man wie Markert die amtlichen Dokumente über die letzten 20 Jahre – vom Sächsischen Schulgesetz über das Sächsische Kinder- und Jugendhilfegesetz bis zur Broschüre „Ein guter Start. Ganztagsschulen in Sachsen“ des Sächsischen Kultusministeriums von 2013 –, zeigt sich eine Pendelbewegung: Teils werde der Hort als Ergänzung der Schule beschrieben, teils als von der Schule unabhängige Institution mit eigenem Bildungsauftrag. 20 Jahre Hort in Sachsen sind laut Markert „20 Jahre Suche nach der Rolle des Hortes zwischen Schule, Ganztagsangeboten und Familie“. Dabei hätten weniger pädagogische Aspekte als politische Gegebenheiten über den Hort bestimmt.

Verunsicherung bei Erzieherinnen und Erziehern

Dass Klärungsbedarf besteht, was der Hort als Bildungseinrichtung leisten soll, zeigte die Fachtagung „Impulse für die Arbeit im Hort“ des Landesjugendamtes Sachsen am 10. September 2013 in Meißen. Referent Wolfgang Brinkel, der im Landesjugendamt unter anderem für den Bereich Fortbildung zuständig ist und die Veranstaltung in der Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung moderierte, erklärte zum Motiv dieser Tagung, momentan wisse niemand genau, wo die Reise hingehe. Seit der ersten „Förderrichtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zum Ausbau von Ganztagsangeboten“ (2005) herrsche bei den Horten eine „gewisse Orientierungslosigkeit“. Die Tagung sei als ein Gedankenaustausch gedacht, bei dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch eine Standortbestimmung vornähmen.

Den Gesprächsbedarf belegte die Nachfrage. „Wir mussten die Teilnehmerzahl auf 200 erhöhen, weil wir sonst mehr Absagen als Zusagen hätten schreiben müssen“, berichtete Brinkel in seiner Begrüßung. Der Referent freute sich, dass besonders viele „Menschen von der Basis“ anwesend seien – viele Erzieherinnen und Erzieher. Am Rande: Der Workshop zum Thema „Hausaufgaben“ war dermaßen überbelegt, dass ein größerer Raum gesucht werden musste. Viele Anwesende seien besonders wegen dieses Themas angereist, so Brinkel.

Ungebrochene Popularität des Horts bei den Eltern

Gesichert ist die ungebrochene Popularität des Hortes bei den Eltern. Nach einem kurzen Einbruch nach der „Wende“ kletterte die Teilnahmezahl rasch wieder auf 60 Prozent aller Grundschülerinnen und -schüler in Sachsen. Zur Überraschung vieler stieg sie trotz des Ganztagsschulausbaus weiter und liegt aktuell bei 80 Prozent. Die Hortlandschaft ist Thomas Markert zufolge dabei „vielfältig profiliert – eine andere generelle Aussage ist mangels empirischer Daten nicht möglich“. Diese Vielfalt zeige sich zum Beispiel in der von Kommune zu Kommune unterschiedlichen Raumsituation: Während in Zwickau die Horte zu 90 Prozent unter einem eigenen Dach arbeiten und nur zu zehn Prozent im Schulgebäude, ist das Verhältnis in Dresden, wo sich 95 Prozent der Horte in der Schule befinden, genau umgekehrt.

Bei der vom Kultusministerium in Auftrag gegebenen Evaluation des Sächsischen Bildungsplans (2011) blieben die Horte, die im Verantwortungsbereich des Sozialministeriums liegen, ausgeklammert. Trotz einer Aufforderung durch den Landesjugendhilfeausschuss 2012, eine Evaluation für die Horte zu starten, sei diese bisher nicht vorgesehen. Für Markert unverständlich: „Die Funktion des Hortes ist aufgrund der fehlenden Empirie unklar.“

Wenn die Kooperation stimmt, ist das „Kombi-Modell“ eine gute Option

Hört man sich an der „Basis“ um, ergibt sich ein differenziertes Bild. Manche Erzieherinnen sehen sich zu „Dispatchern“ herabgestuft, die nur noch dafür zu sorgen haben, dass die Kinder zwischen Schule und Ganztagsangeboten zur rechten Zeit am rechten Fleck sind. „Man würde gerne mehr machen, muss sich aber nach den Zeiten der Schule richten“, bedauerte eine Erzieherin. Eine Kollegin beklagte den ständigen Zeitdruck für die Kinder: „Wenn sie gerade schön ins Spiel vertieft sind, muss ich sie schon wieder herausreißen.“

Absprachen mit den Schulen können allerdings den Zeitdruck mindern. So beschränken manche Schulen die Hausaufgaben auf die Tage von Dienstag bis Donnerstag, um den Erzieherinnen und den Schulkindern mehr Freiheit im Hort einzuräumen. Oder Schulen lassen die Ganztagsangebote später anfangen, damit die Schülerinnen und Schüler ausreichend Zeit zum Essen haben.

Einig sind sich bei den Diskussionen in den Workshops die Erzieherinnen und Erzieher, dass sich alle im Team einig sein müssen, wie man mit den Kindern arbeiten möchte. Und viele Erzieherinnen und Erzieher sind mit „Herzblut“ dabei: „Ich lasse mich jeden Tag auf ein neues Abenteuer mit den Kindern ein, und jeder Tag ist aufs Neue spannend“, so eine Horterzieherin.

Prof. Ludger Pesch von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin stellte zum Abschluss der Tagung die Vorzüge der Bildung im Hort heraus: Diese deckten sich hervorragend mit den Bedürfnissen von Kindern: „Der Hort bietet Freiraum ohne Haltlosigkeit, Bildung ohne Belehrung und Begleitung ohne Gängelung.“ Der Grundschulpädagoge erklärte zwar die gebundene Ganztagsschule zum zukunftsweisenden Modell. Da eine flächendeckende Versorgung mit gebundenen Ganztagsschulen aber derzeit nicht realistisch scheine, sei das sächsische Kombi-Modell die derzeit beste Option. Ans Plenum gewandt meinte er: „Münzen Sie den hohen Zuspruch der Eltern in politische Unterstützung um!“


 

Literatur:

Karl Lenz/Katharina Weinhold/Rüdiger Laskowski (2010): Leistungsfähigkeit schulischer Ganztagsangebote. Wechselseitige Verantwortung für Bildung, Erziehung und Betreuung im Spannungsfeld von Schule, Hort und Familie in Sachsen. Download (PDF)(link hinterlegen)

Hans Gängler/Thomas Markert (2011): Vision und Alltag der Ganztagsschule. Die Ganztagsschulbewegung als bildungspolitische Kampagne und regionale Praxis. Weinheim, München: Juventa.


 

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