„Gute Ganztagsschule ist gesundheitsfördernd“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Gesundheit ist mehr als Bewegung und Ernährung. Auch das Schulklima ist bedeutsam. Die Fachtagung „Ganztag gesundheitsförderlich gestalten“ am 17. und 18. April in Dresden bezog Ergebnisse der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ ein.
Ein wichtiges Thema griff die Fachtagung „Prävention und Gesundheitsförderung in Schulen – Ganztag gesundheitsförderlich gestalten“ auf. Dass Gesundheit die Basis von allem ist, ist eine Binsenweisheit. Aber eine Fachtagung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) in Dresden machte auch deutlich, dass Gesundheit in der Schule nicht nur durch Bewegung und Ernährung bestimmt wird. Wohlbefinden – Well-being, wie es nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation heißt – ist eine Kategorie, die für Schülerinnen und Schülern, aber genauso für die Lehrkräfte und das pädagogische Personal von zentraler Bedeutung ist. Ein Merkmal des Wohlbefindens ist zum Beispiel die Qualität von Beziehungen.
Ganztagsschulen haben Potenzial zur Gesundheitsförderung
Rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland kamen am 17. und 18. April 2018 in das DGUV-Tagungszentrum, um sich darüber zu informieren und auszutauschen, welche Chancen die Entwicklung von Halbtags- zu Ganztagsschulen für die Gesundheitsförderung und Prävention bietet. Gabi Ohler, Staatssekretärin im Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, erklärte als Vertreterin der KMK in ihrem Grußwort: „Gesundheit zu fördern, sollte das Ziel jeder Schule sein. Die Ganztagsschule kann das mit dem Mehr an Zeit noch besser organisieren, die Schülerinnen und Schüler stärken, die Eltern und das Umfeld besser einbeziehen.“
Dr. Heinz Hundeloh, der Leiter des Fachbereichs „Bildungseinrichtungen“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, begründete, warum die DGUV das Thema Ganztag in den Mittelpunkt ihrer Veranstaltungsreihe „Prävention und Gesundheitsförderung in Schulen“ gestellt hat: In der Empfehlung der DGUV „Prävention und Gesundheitsförderung in der Schule“ ist „der Ganztag erstmals explizit erwähnt“. Die Schulverpflegung beispielsweise sei überhaupt erst durch die Ganztagsschule zum Thema für die DGUV geworden. „Wenn Ganztagsschule gut gestaltet ist, ist sie sicherlich gesundheitsfördernd“, urteilte Hundeloh. Dabei bezog er sich auch auf Ergebnisse der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG): So haben bis zu 70 Prozent der Schulen Gesundheitsangebote im Programm und verfügen demnach „über ein hohes Potenzial zur Gesundheitsförderung“.
Um solche Ergebnisse im O-Ton zu hören, hatten die Veranstalter gleich zwei StEG-Teams eingeladen, die in zwei Vorträgen und einem Workshop den Zusammenhang zwischen Ganztagsschulen und Gesundheit aus wissenschaftlicher Sicht beleuchteten. Diplom-Psychologin Karin Lossen vom StEG-Team des Instituts für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund stellte zunächst übergreifende Ergebnisse der Studie vor, um dem Publikum ein Bild vom Entwicklungsstand der Ganztagsschulen zu geben. Anschließend ging sie auf einige Gesundheitsaspekten ein.
StEG: Besseres Sozialverhalten sorgt für besseres Schulklima
„Die Ganztagsschule bietet mehr Möglichkeiten, auf Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern einzugehen. Ein offener Anfang, die Abwechslung von Anspannung und Entspannung über den Tag, selbstständig gestaltete Zeitanteile und größere Zeitblöcke sorgen für weniger Stress“, so Karin Lossen. „Der Ganztag unterstützt durch mehr Zeit auch die Möglichkeit zur Kooperation von Lehrerinnen und Lehrern, was eine Entlastung darstellen kann. Gesundheitsrelevant sind ebenso die Möglichkeiten, soziales Lernen, Bewegung, Gesundheit und Ernährung im Schultag zu verankern.“ Genauso wichtig sei das schulische Mittagessen, über das „man ebenfalls viele Inhalte transportieren kann, auch im Sozialverhalten“.
Ihr folgte Prof. Natalie Fischer mit dem Vortrag „Wohlbefinden in der Ganztagsschule – Ganztagsschule als Chance für ein positives Schulklima“ berichtete. Die ehemalige StEG-Koordinatorin am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) – auch sie Diplom-Psychologin – wurde 2014 als Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt „Soziale Beziehungen in der Schule“ an die Universität Kassel berufen. Für sie ist ein positives Schulklima eine Ressource für gesundheitliches Wohlbefinden. Das Schulklima einer Ganztagsschule spiegele sich nicht nur im Unterricht, sondern auch in Arbeitsgemeinschaften, beim Mittagessen, in den Pausen.
Auch sie betonte, dass Lehrkräfte die Kooperation im Kollegium als Entlastung empfinden. Da sich in Ganztagsschulen das Sozialverhalten von Schülerinnen und Schülern nachweislich verbessere, verminderten sich Konflikte und Unterrichtsstörungen. Aggressives Verhalten, das Lehrerinnen und Lehrer sonst gerade als besonders belastend schilderten, geht zurück. „In Ganztagsschulen wird die Beziehung zu den Erwachsenen besser und positiver erlebt, was auch Chancen für bessere Beziehungen im Unterricht eröffnet“, so die Erziehungswissenschaftlerin.
Vertrauen, Anerkennung und gegenseitige Wertschätzung
Der Ganztag befördere die Erfüllung der von Deci und Ryan definierten vier psychologischen Grundbedürfnisse des Menschen und führe damit zu höherem schulischen Wohlbefinden: Die „Lernmotivation“ werde durch Partizipation und Lebensweltbezug unterstützt, die „Autonomie“ durch Freiwilligkeit, Selbststeuerung des Lernens und Mitbestimmung. „Kompetenzen“ werden durch mehr Zeit für einzelne Lerngegenstände, Herausforderungen und individuelle Förderung gestärkt. Und wichtig ist schließlich die „soziale Eingebundenheit“ durch mehr gemeinsame Zeit, die auch Freundschaften stifte und festige, aber auch durch die Kooperation zwischen Schülerinnen und Schülern.
Natalie Fischer und ihre Kollegin Dr. Petra Richey präzisierten die Faktoren, die zu schulischem Wohlbefinden führen, in einem der sieben Workshops. Dabei definierten sie auch Kategorien wie Vertrauen, Anerkennung und gegenseitige Wertschätzung. „Vertrauen entsteht aufgrund von Zuverlässigkeit und ist die Grundlage von Offenheit in der Interaktion“, beschrieb das Petra Richey. Wenn Schülerinnen und Schüler eine Lehrperson als zugänglich, gerecht und authentisch wahrnehmen, mache dies sie vertrauenswürdig.
Dr. Andreas Jantowski vom Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien näherte sich dem Tagungsthema wiederum von der anderen Seite: Er diskutierte in seinem Workshop, wie Ganztagsschulen dazu beitragen können, das Belastungserleben von Lehrkräften zu reduzieren. Soziale Unterstützung, Wertschätzung und vielfältige Sozialkontakte innerhalb des Kollegiums, mit pädagogischen Fachkräften und mit außerschulischen Partnern seien wichtige Faktoren. „Dazu bedarf es positiver Rückmeldungen und eines funktionierenden Informationsflusses im Kollegium und zur Schulleitung“, sagte Jantowski.
Bildungsressource des Mittagessens: gemeinsame Alltagserfahrung
Weitere Themen waren die „Bewegte Schule und Pausengestaltung“ im gleichnamigen Workshop von Ralf Ulitzsch vom Landessportbund Thüringen sowie „Raumkonzepte für den Ganztag“, denn das Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern hängt selbstverständlich auch von der Gestaltung der Räumlichkeiten und des Schulgeländes ab. Beispiele gesundheitsfördernder Bildung und der wichtigen Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern stellte Christina Jenke, Schulleiterin der Sebastian-Kneipp-Schule Bad Tennstedt aus Thüringen vor. Der nach dem bayerischen „Wasserdoktor“ benannte Sebastian-Kneipp-Tag ist übrigens seit 2010 offizieller Gesundheitstag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Und natürlich war auch das Mittagessen ein Thema. Dr. Anke Oepping, Leiterin des „Nationalen Qualitätszentrums für Ernährung in Kita und Schule“, setzte sich in ihrem Vortrag und einem Workshop mit dem Qualitätsbegriff bei der „Gesundheitsförderung durch Essen und Trinken in der Schule“ auseinander: „Neben den häufig erwarteten erzieherischen Einflüssen beispielsweise zur Tisch- und Umgangskultur und zu gesunder Ernährung, die ein pädagogisches Konzept für die Schulmahlzeit ausüben kann, liegen die eigentlichen Bildungsressourcen des Mittagessens in der gemeinsamen Alltagserfahrung.“ Diese könnten Lehrerinnen und Lehrer mit natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Themen verknüpfen, die auch Bestandteile der Ernährungs- und Verbraucherbildung sind, so die Oecotrophologin.
Campus Efeuweg: Ein Stadtteil wächst zusammen
Wie das Umfeld einer Schule die Bildungs- und Gesundheitschancen erhöhen kann, war Thema im Workshop „Bildung und Gesundheit im Stadtteil gemeinsam gestalten“. Dort stellte Julia Nast, Leiterin der Programmabteilung, Schwerpunkt Bildung und Stadtentwicklung der Transferagentur für Großstädte der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), den Campus Efeuweg vor. Der Campus Efeuweg in Berlin-Neukölln ist ein Beispiel für eine seit 2008 laufende Entwicklung eines Bildungs- und Freizeitortes, der statt einer verlassenen Schulruine, hoher Zäune und undurchsichtiger Hecken eine durchgängige, einladende Bildungslandschaft von der Kita bis zur Hochschule offerieren soll. Für Franziska Giffey, die ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln und jetzige Bundesfamilienministerin, ist dies ein „Projekt der sozialen Gerechtigkeit“.
2014 wurde von Politik, Anwohnern und Ingenieurbüros ein Masterplan entworfen, der Schulen, Kitas, Sportstätten, Jugend- und Freizeiteinrichtungen und Pflegeeinrichtungen räumlich in Beziehung setzt. Es entstehen Orte für Bewegung, Begegnung und Kommunikation. Zwei Neubauprojekte sind das Oberstufenzentrum Lise Meitner und ein Zentrum für Sprache und Bewegung. Das Hauptgebäude der Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg wird umgebaut, sodass die Grundstufe bald dreizügig im gebundenen Ganztag arbeiten kann. Im Erdgeschoss entsteht eine Schulbibliothek, die auch vom Oberstufenzentrum genutzt werden kann. Ein weiteres Ziel ist, Prävention und Gesundheitsförderung im Stadtteil gemeinsam zu gestalten. „Für mich ist Schulentwicklung und Gesundheitsförderung ein- und dasselbe“, brachte Julia Nast den Geist der Dresdner Tagung noch einmal auf den Punkt.
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