Grundschulverband Hamburg: Kooperation in der Ganztagsgrundschule : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die Frühjahrstagung „Ganztagsschule entwickeln - Strategien und Unterstützung für die Einführung und Umsetzung ganztägigen Lernens“ des Hamburger Grundschulverbandes am 6. April widmete sich besonders Fragen der Kooperation.

Erstmals hatten der Hamburger Grundschulverband und der Landesverband Hamburg des Ganztagsschulverbandes GGT e. V. gemeinsam zu einer Tagung eingeladen. Nach dem Impulsreferat der Professorin für Grundschulpädagogik an der Universität Koblenz-Landau, Prof. Dr. Heike de Boer, wurden in zwölf Workshops Strategien für die Einführung und Umsetzung ganztägigen Lernens vorgestellt und diskutiert. Die Arbeitsgruppen beschäftigten sich unter anderem mit Fragen gelingender Kooperationen und der sozialräumlichen Vernetzung von Ganztagsschulen, aber auch mit Förderkonzepten und Rhythmisierung, der Hausaufgabenthematik, Ferienbetreuung sowie der Partizipation.

Heike de Boer: Kooperation braucht Verbindlichkeit

Dass Kooperation einerseits eine Frage der Organisation und der Gelegenheitsstrukturen in der einzelnen Schule, andererseits eine der wechselseitigen Perspektiven der Kooperationspartner ist, machte die Erziehungswissenschaftlerin Heike de Boer in ihrem Vortrag deutlich. Dies gelte sowohl für die Zusammenarbeit im Kollegium als auch für die mit außerschulischen Partnern. „Kooperation ist das Herzstück für Personal-, Organisations- und Unterrichtsentwicklung“, so die Grundschulexpertin. Kooperation müsse verbindlich sein und bedürfe klarer Strukturen. Eine präzise Aufgabenverteilung sei ebenso erforderlich wie ein festgelegter Ablauf, ein für alle verbindlicher Zeitrahmen und zum Beispiel die Festlegung auf wechselnde Gesprächsleiter. De Boer: „Die Umsetzung der Kooperation hängt von der Bereitschaft aller Beteiligten zum Gespräch ab. Sie erfordert Perspektivenübernahme und Lösungsorientierung.“

Als weiteren Gelingensfaktor nannte sie die Verständigung auf gemeinsame Ziele. Eines könne sein, die unterschiedliche professionelle Wahrnehmung eines Kindes zu thematisieren:  „Das ist eben nicht immer nur Schüler, sondern es hat andere Interessen. Vielleicht macht es auch Sport, Kunst, Musik oder forscht gerne.“. Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher sollten sich zum Beispiel austauschen, wie sie Kinder am Vor-, bzw. am Nachmittag erleben. Zugleich machte sie den Schulen Mut, sich beim Aufbau von Kooperationen Raum zum Erproben zu schaffen. Sie empfahl Schule und Jugendhilfe: „Öffnen sie ihre Konferenzen gegenseitig für die andere Profession. Gespräche dürfen nicht dem Zufall überlassen werden.“ Das beinhalte im besten Fall den Aufbau neuer Teamstrukturen. Tandems, bestehend aus Lehrer_in und Erzieher_in, seien eine nachdenkenswerte Variante.

Kommunikation trotz unterschiedlicher Arbeitszeiten

Engagiert diskutierte das Plenum über die Frage, wie Kooperation angesichts unterschiedlicher Arbeitszeiten der verschiedenen Professionen möglich sei. Zu einem manchmal praktizierten  „Übergabemodell“, bei dem die Erzieherin in der letzten Unterrichtsstunde 15 Minuten mit im Klassenzimmer sei, meinte Heike de Boer: „Für einen guten Austausch müssen Sie etwas an den Gesamtstrukturen im Tagesablauf verändern.“

Den Hinweis einer Zuhörerin, man müsse Verständnis für Lehrer_innen und Erzieher_innen haben, die angesichts der immer zahlreicheren Aufgaben irgendwann einmal „Stopp“ sagten, widersprach eine Zuhörerin. Sie habe wenig Verständnis, wenn Lehrer_innen davon ausgingen, einen Halbtagsjob zu haben. In Ganztagsangeboten müssten die zeitlichen Ressourcen anders verteilt werden, ergänzte eine andere Lehrerin.

Ganztagsgrundschule und sozialräumliche Vernetzung

Wann seines Erachtens Kooperation gelingt, verriet Martin Peters (Der Paritätische), gegenüber www.ganztagsschulen.org: „Das funktioniert, wenn beide Seiten bereit sind, Positionen und Grundhaltungen zu überdenken und neu zu verhandeln“. Peters gehörte zu den Vertretern der Jugendhilfe, die den Landesrahmenvertrag „Ganztägige Bildung und Betreuung an Schulen“ (GBS) mit dem Land ausgehandelt haben. In dem Vertrag ist die verbindliche Kooperation von Schulen mit einem festen Partner aus der Jugendhilfe festgelegt. Sie sieht vor, dass der Jugendhilfepartner in Kernzeiten – frühmorgens sowie von 13 bis 16 Uhr, gegebenenfalls auch bis 18 Uhr sowie in den Ferien – die Betreuung der Schülerinnen und Schüler gewährleistet. Auf diese Weise wurden in Hamburg 10.000 Betreuungsplätze geschaffen.

Podiumsdiskussion
© Susanne Peters

Uwe Gaul, der in der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung für die Ganztagsschulen zuständig ist, hob im Rahmen einer Podiumsdiskussion hervor, dass gebundene Ganztagsschulen mehr Möglichkeiten einer veränderten Pädagogik böten. „Zu einer solchen gehört, wie wir wissen, mehr als Unterricht. Deshalb wünsche ich mir insbesondere für die Grundschulen mehr Räume, in die sich Kinder zum Entspannen, Kraft tanken und Spielen zurückziehen können. Aber das ist eine Frage der Ressourcen.“

Im Workshop „Kooperationen im Ganztag und sozialräumliche Vernetzung“ standen ebenfalls Erfolgsfaktoren für das Zusammenwirken verschiedener Professionen im Mittelpunkt. Der Ganztagskoordinator der Stadtteilschule Poppenbüttel, Carsten Temming, berichtete über die Öffnung seiner Schule für den Sozialraum. Lange bevor die Schule überhaupt Ganztagschule geworden sei, habe man bereits 50 Arbeitsgemeinschaften angeboten. Viele davon seien von außerschulischen Partnern getragen worden. Kooperation brauche angemessene Rahmenbedingungen, Wertschätzung, Entwicklungsoffenheit, Kreativität und auch die Eigenständigkeit der Kooperationspartner mit ihrer je unterschiedlichen professionellen Logik. Mit Blick auf die Steuerung im Ganztag betonte er: „Es muss Raum zur Wahrung der Identität der Kooperationspartner geschaffen und ein gemeinsames Ganztags- und Bildungskonzept für den Stadtteil entwickelt werden.“

Kinder dürfen nicht überfordert werden

Dass Kooperation im Ganztag unabdingbar ist, machten die Leiterinnen der Grundschule Appelhoff, Ute Gerken-Schröder, und der Grundschule Iserbrook, Ute Peters, in ihrem Workshop deutlich, der sich dem „Umgang mit Kindern mit herausfordernden Verhaltensweisen“ widmete. Es gebe Kinder, die sich verhielten, als würden am Nachmittag die Schulregeln nicht mehr gelten. Das führe etwa zu respektlosem Verhalten, zu Ausgrenzungen, mitunter auch zu Prügeleien. Als präventive Maßnahmen habe man unter anderem Zeitfenster für tägliches Freispiel geschaffen, weil Kinder damit überfordert seien, „permanent Programm zu haben“. Überhaupt setze man auf ein sehr differenziertes Angebot für verschiedene Bedürfnisse, von Bewegung über ruhigere und handwerkliche Angebote. Besonders wichtig aber sei das Vertrauensverhältnis zwischen Schüler_innen und Lehrkräften bzw. Erzieher_innen. „Wenn Kinder sich sicher fühlen, ist die Gefahr kleiner, dass sie auffällig werden“, betonte Peters. Dafür bräuchten sie klare Strukturen, aber auch Werte und Regeln.

„Fleißraum“, pädagogische Insel und Mittagsgruppe

Ute Gerken-Schröder berichtete über das Konzept der Ganztagsgrundschule Appelhoff für den „Umgang mit herausfordernden Verhaltensformen“. Dazu gehören ein „Fleißraum“, eine pädagogische Insel sowie eine spezielle Mittagsgruppe. Der „Fleißraum“ ist während der zweiten großen Pause täglich für 20 Minuten geöffnet. Hier arbeiten Kinder, die sich wiederholt verspäten, ein geringes Arbeitstempo an den Tag legen, die Arbeit verweigern oder wiederholt gegen die Regeln verstoßen. Die pädagogische Insel ist täglich von 9.30 Uhr bis 16 Uhr (freitags bis 13 Uhr) mit einem Erzieher mit besonderer pädagogischer Qualifikation, einem Sonderpädagogen oder Grundschullehrer, besetzt. Die Insel dient als Ruhe- und Entspannungsraum bei Ruhebedürfnis, Krankheit oder psychosozialen Problemlagen, als Trainingsraum für klassenübergreifende Konfliktklärung sowie als „Time-Out-Raum“.

In der 90minütigen Mittagsgruppe steht ein sozialpädagogisch erfahrener Erzieher für maximal acht Kinder zur Verfügung. Ziel für die Kinder ist das Erlangen von Impulskontrolle. Auf die Frage, ob die Aufnahme in die Mittagsgruppe von den Betroffenen nicht als Strafe empfunden werde, weil sie nicht wie die Schulkameraden frei spielen können, betonte Ute Gerken-Schröder: „Im Gegenteil. Und sie werden von den anderen Kindern wegen der festen Bezugsperson und der großen Zuwendung fast beneidet.“ Das Konzept geht auf: Nach ca. einem Jahr Mitgliedschaft in der Mittagsgruppe können die meisten Kinder wieder in den „normalen“ Tagesablauf integriert werden.

Die beiden Schulleiterinnen machten deutlich, dass der Umgang mit der Unterschiedlichkeit der Schülerinnen und Schüler ein wesentlicher Teil der Schul- und Unterrichtsentwicklung der vergangenen Jahren gewesen sei. Dafür müsse man als Schulleitung Freiräume schaffen. Dem pflichtete Heike de Boer in der die Veranstaltung abrundenden Podiumsdiskussion bei. Und sie meinte: „Schulentwicklung ist Teil des Berufsbildes. Wer das verinnerlicht, empfindet diese Arbeit nicht als Zusatzbelastung.“

Kategorien: Bundesländer - Berlin

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