GemüseAckerdemie: "In der Erde wachsen keine Chips" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Landauf, landab lockt der Frühling in die Gärten. Auch in vielen Schulgärten von Ganztagsschulen heißt es nun: umgraben, Pflanzen setzen, aussäen. Die GemüseAckerdemie unterstützt sie dabei.

„Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.“ Landauf, landab geht es gerade in die Gärten, wird gebuddelt, gepflanzt, gesät, gezupft und gesetzt. Auch in vielen Ganztagsschulen beginnt die Hoch-Zeit des Schulgartens. Ein Partner für die Arbeit mit dem grünen Daumen ist die „GemüseAckerdemie“, ein bundesweites, theorie- und praxisbasiertes Bildungsprogramm unter dem Motto: „Wir ackern für Bildung und Ernährung.“

Ackerdemia e.V.
© Ackerdemia e.V.

Die Zielsetzung der 2013 gegründeten gemeinnützigen und unabhängigen Organisation Ackerdemia lautet: „Wir wollen, dass jede Schule einen Lernort in der Natur hat, an dem Kinder und Jugendliche erleben, lernen und erfahren, wo unsere Lebensmittel herkommen und wie diese angebaut werden.“ Dazu legen die Schulen einen Gemüseacker an, den sie bewirtschaften. In aktuell sieben Bundesländern unterstützt die GemüseAckerdemie sie dabei. Im Interview erklärt Johannes Wockenfuß, zuständig für das Programm AckerSchule, wie die GemüseAckerdemie funktioniert und welche Wirkungen sie bei Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften entfaltet.

Online-Redaktion: Herr Wockenfuß, seit der Gründung der GemüseAckerdemie vor fünf Jahren ist ihr Programm sehr schnell gewachsen. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Johannes Wockenfuß: Ich denke, dass liegt vor allem unserem starken Team, deren Mitglieder aus den unterschiedlichsten Bereichen kommen und sehr gut zusammen arbeiten. Außerdem ist unser Motto „Das Ziel ist das Ziel“ – wir wollen erreichen, dass alle Schulen einen Lernort in der Natur haben. Und wir werden so lange daran arbeiten, bis aus unserer Vision Realität geworden ist. Zusammen mit dem sozialunternehmerischen Ansatz, der seinen Profit nicht im Geld, sondern in der Wirkung sieht, trägt das wohl zum Erfolg bei. Wir suchen immer nach dem Ansatz, der die meiste Wirkung für die Wertschätzung von Lebensmitteln erzielt.

Online-Redaktion: Was möchten Sie konkret mit der GemüseAckerdemie erreichen?

Wockenfuß: Unsere Vision ist es, dass alle Menschen mehr Wertschätzung von Lebensmitteln entwickeln. Gerade Kinder wissen oft nicht mehr, wo die Lebensmittel herkommen, weil sie auch häufig gar nicht mehr die Möglichkeit haben, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Die Landwirtschaftsfläche in Deutschland ist zwar nach wie vor groß, aber es gibt immer weniger Höfe, und der Bezug zur Natur und Landwirtschaft verschwindet. Infolgedessen denken einige Kinder, dass die Lebensmittel aus dem Supermarkt kommen und nicht vom Acker. Und der fehlende Bezug führt auch zu einem sorglosen Umgang mit den Lebensmitteln, sodass zu viel weggeschmissen wird – in Deutschland etwa 80 kg pro Kopf und Jahr, und davon wäre die Hälfte der Abfälle vermeidbar. Das alles geht einher mit einer oft ungesunden Ernährungsweise.

Ackerdemia e.V.
© Ackerdemia e.V.

Eine darüber hinaus gehende Sichtweise, die auch ich als Geograph und Ökologe teile, ist die ökologische Dimension. Durch den hohen Konsum tierischer und verarbeiteter Lebensmittel benötigen wir sehr viel mehr Fläche und Energie, was unserem Planeten schadet. Wenn man Kindern zeigen kann, dass man Gemüse auch so essen kann, wie es aus dem Boden kommt, dass es schmeckt und zudem noch viele Nährstoffe besitzt und gesund ist, kann man dem entgegenwirken.

Online-Redaktion: Wie tragen Sie Ihr Programm in die Schulen?

Wockenfuß: Wir schreiben die Schulen nie direkt an, sondern zeigen Präsenz auf Messen wie der Bildungsmesse didacta und gehen über Bildungsträger, die das Angebot dann den Schulen als ein Bildungsangebot vorschlagen können.

Online-Redaktion: Wenn der Kontakt hergestellt ist, was muss dann die Schule einbringen, und was bringen Sie ein?

Wockenfuß: Wir schauen gemeinsam mit der Schule, wie sich das Programm umsetzen lässt. Bei einer Ganztagsschule bietet sich häufig eine AG am Nachmittag an, aber es lässt sich auch in den Unterricht integrieren. Dann klären wir die Fläche ab, die für den Acker benötigt wird. Unsere Gärten sind im Durchschnitt 150 Quadratmeter groß, und wir müssen schauen, ob es eine solche Fläche auf dem Schulgelände oder in gangbarer Nähe gibt. Vor Ort nehmen wir dann eine Bodenprobe, um sicherzugehen, dass der Boden in Ordnung ist.

Auch geklärt werden müssen die Kosten. Wir als Verein bringen Finanz- und Sachmittel mit ein, aber die Schule muss auch einen Teil etwas dazutun. Bevor dann die erste Pflanze gesetzt und das erste Saatgut ausgebracht ist, unterstützen wir die Schule sehr eng bei der Organisation: Wir besorgen das Saat- und Pflanzgut, machen die Anbauplanung, geben Fortbildungen für die Lehrerinnen und Lehrer, stellen sehr umfangreiches Bildungsmaterial zur Verfügung. Auch bei der Ferienbetreuung und der Vermarktung eines Teils der Ernte unterstützen wir. Während der AckerZeit von April bis Oktober hat die Schule bei uns immer einen Ansprechpartner und bekommt wöchentlich AckerInfos per E-Mail, wo drin steht, was auf dem Acker für Aufgaben anfallen und wie man das auch pädagogisch umsetzen kann.

Online-Redaktion: Wie lange arbeiten Sie mit den Schulen zusammen?

Wockenfuß: Der Programmzyklus ist auf ein Jahr angelegt. Wenn die Klassen nicht auf dem Acker sind, was vor allem im Winter der Fall ist, können sie sich mit dem Bildungsmaterial beschäftigen und verschiedene Themen bearbeiten. Die meisten Schulen arbeiten über mehrere Jahre mit uns zusammen, wir unterstützen im Laufe der Jahre aber immer weniger, wenn die Schule das wünscht. Die Schulen lernen ja auch sehr viel und können dann auch die Pflanzungen alleine machen.

Online-Redaktion: Was passiert innerhalb des Jahres?

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Wockenfuß: Im Februar geht es los mit der Vor-Ackerzeit, in der die Schule den ersten Teil des Bildungsmaterials, wo es um das Basiswissen Gemüseanbau geht, durcharbeiten kann. Im April beginnt dann die eigentliche Ackerzeit mit einer wöchentlichen Stunde auf dem Acker, wenn das Gemüse angebaut, gehegt, gepflegt, geerntet und gekostet wird. Im Oktober endet die Ackerzeit, vielleicht mit einem Erntedankfest, das bleibt der Schule überlassen. Die gemeinsame Ernte wird verkocht oder vermarktet, zum Beispiel an eine lokale Mensa. Da können die Schülerinnen und Schüler auch ein Gefühl entwickeln, was Lebensmittel monetär wert sein können. Danach beginnt die Nach-Ackerzeit, in der man den zweiten Teil des Curriculums verwenden kann, in dem es mehr um globale Themen geht wie zum Beispiel „Wo kommt das Gemüse aus dem Supermarkt her? Warum haben wir Tomaten im Winter? Was stecken eigentlich für Ressourcen in unseren Lebensmitteln drin?“ und so weiter.

Online-Redaktion: In der dunklen Jahreszeit stehen auch Ausflüge auf dem Stundenplan. Was hat es damit auf sich?

Wockenfuß: Wir geben Tipps für Exkursionen, zum Beispiel in einen verarbeitenden Betrieb, der Joghurts herstellt. Oder eine Firma, die Gemüse verarbeitet und daraus Suppen macht. Die Schülerinnen und Schüler sollen so die gesamte Wertschöpfungskette kennenlernen und die Entstehung des fertigen Produkts, das sie aus dem Supermarkt kennen, verfolgen. Den Schulen ist es überlassen, welche Ziele sie ansteuern.

Online-Redaktion: Haben Sie Beispiele aus Ihrer Stadt Berlin, was an Ganztagsschulen entsteht?

Wockenfuß: Hier gibt es ein schönes Beispiel an der Evangelischen Schule Berlin-Mitte. Dort ist der Schulacker etwas internationaler aufgestellt. Die Schülerinnen und Schüler haben den Kontakt zu zwei Schulen in Mexiko und Südafrika aufgebaut und sich gegenseitig darüber informiert, was sie anbauen, wie es wächst und wie es schmeckt. Die Spreewald-Schule in Berlin-Schöneberg hat eine Fläche, die sehr urban ist, zwischen Mauern und großen Häusern. Dort ist es dennoch gelungen, eine Fläche anzulegen, die nun durch eine AG bewirtschaftet wird.

Online-Redaktion: Fällt es Ganztagsschulen leichter, eine GemüseAckerdemie einzurichten?

Wockenfuß: Es bietet sich beim Ganztag an, weil es mehr Zeit am Nachmittag gibt, aber auch, weil die Zeiten insgesamt über den Tag flexibler gehandhabt werden können.

Online-Redaktion: Ein Ziel der GemüseAckerdemie ist auch die Reflexion des eigenen Konsums und der Umweltbeeinflussung. Glauben Sie, dass sie dieses Ziel bei Schülerinnen und Schülern erreichen?

Wockenfuß: Über die Wirkung „über den Ackerrand hinaus“ schreiben wir jedes Jahr einen Wirkungsbericht. Dazu interviewen wir unter anderem Schülerinnen und Schüler, die Lehrer und die Eltern. Da kam von einer Mutter die Rückmeldung: „Mein Kind bringt jetzt Mangold mit nach Hause, davon hatte ich noch nie gehört, und das Kind isst mit einem Mal Gemüse. Und im Supermarkt achtet es auf einmal darauf, dass wir unverarbeitetes Gemüse kaufen.“

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AckerSchülerinnen und -Schüler mit ihrer Ernte © Ackerdemia e.V.

Eine Lehrerin sagte uns: „Jetzt wissen eigentlich alle Kinder, dass Kartoffeln unter der Erde wachsen und nicht in Form von Chips herauskommen.“ Und eine Schülerin aus Baden-Württemberg meinte: „Die Möhren sind viel süßer als die aus dem Supermarkt! Und viel orangener!“ Da kann man schon eine gewisse Bewusstseinsänderung erkennen. Wir werden auch zukünftig weiterhin unsere Wirkung messen, sodass wir auch eine nachhaltige und tiefgründige Wirkung nachweisen könne.

Online-Redaktion: Was bringt die diesjährige Gartensaison?

Wockenfuß: Eine Herausforderung für uns wird sein, die Steigerung unserer Standorte von 55 im letzten Jahr auf über 100 in diesem Jahr zu managen. Dazu kommen noch Sommerschulen, die nach den Sommerferien starten. Eine weitere Sache ist der Ausbau unseres Kita-Programms AckerKita. Und erstmals gibt es dieses Jahr bei uns eine Online-Plattform, wo sich Lehrerinnen und Lehrer einloggen können, um eine Menge Hintergrundinformationen zu bekommen, unter anderem unsere Acker-Clips. Dort kann man sich anhand von 20 kurzen, ziemlich coolen Lehrvideos anschauen, wie das zum Beispiel mit dem Kartoffeln-Häufeln geht und man es pädagogisch-didaktisch mit 20 Kindern umsetzt.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

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