Gemeinsam ausgebildet für den multiprofessionellen Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

In Bremen ist „Multiprofessionalität in der Ganztagsschule“ schon Teil der Ausbildung. Susanne Hüllsiek von der Fachschule für Sozialpädagogik im Interview.

Susanne Hüllsiek
© Fabian Wanisch / DKJS

In Bremen können angehende Erzieherinnen, Studierende der Sozialen Arbeit und angehende Lehrerinnen und Lehrer seit 2011 gemeinsam ein Ausbildungsangebot nutzen, in dem sie neben theoretischen Inhalten auch praktische Einblicke in die Ganztagsschule erhalten. Ende November startet die nunmehr sechste Ausgabe der Modulreihe „Multiprofessionalität in der Ganztagsschule“. Susanne Hüllsiek von der Fachschule für Sozialpädagogik Blumenthal erläutert Idee, Voraussetzungen und Durchführung des Angebots.

Online-Redaktion: Frau Hüllsiek, wie geht multiprofessionelle Zusammenarbeit, also die Kooperation verschiedener Berufsgruppen, in der Ganztagsschule?

Susanne Hüllsiek: Jede Profession muss sich mit ihrer Rolle auseinandersetzen: Welchen Beitrag kann sie zu dieser Kooperation beisteuern und welche Erwartungen habe ich an meine Teampartner. Dann braucht es Zeit wie es Till-Sebastian Idel und Anna Schütz in ihrem Artikel „Kooperation in der Ganztagsschule als Problem und Gestaltungsaufgabe“ betonen. Es ist ein Prozess der von Höhen und Tiefen begleitet wird und der gar nicht von jetzt auf gleich funktionieren kann. Es braucht drittens Rahmenbedingungen mit Zeit und Raum für den gemeinsamen Austausch und die konzeptionelle Weiterentwicklung, auch in offenen Ganztagsschulen. Und viertens braucht es ein gemeinsames Ziel und einen gemeinsamen Blick auf die Kinder und Jugendlichen.

Online-Redaktion: Sie bilden Erzieherinnen und Erzieher aus und beteiligen sich am Ausbildungsangebot „Multiprofessionalität in der Ganztagsschule“. Was war der Anlass?

Hüllsiek: Die Idee zu diesem Projekt hatte die frühere Leiterin der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Bremen, Sabine Heinbockel. Sie sprach meine Kollegin und heutige Abteilungsleiterin Daniela Thies an der Fachschule für Sozialpädagogik an. Frau Thies war von dem Konzept sehr angetan und hat unsere Partnerschule, die Fachschule Delmestraße in der Neustadt, angefragt, ob sie bei dem Projekt mitmachen würde.

Ich hatte mich in meiner zweiten Staatsexamensarbeit mit dem Thema Erzieherinnen an Schulen, ihrer Rolle dort und den Schwierigkeiten im Schulpraktikum beschäftigt. Frau Thies wusste also, dass ich an diesem Thema interessiert bin und hat mich nachdem sie selbst aus beruflichen Gründen nicht mehr teilnehmen konnte, angesprochen. Gemeinsam mit meiner Kollegin Heike Witte sind wir dann mit unseren Kooperationspartnern, Elfriede Dreyer von der Fachschule Neustadt, dem Schulforscher Prof. Till-Sebastian Idel der Universität Bremen und Holger Kühl von der Hochschule Bremen in die Umsetzung der ersten Modulreihe gestartet.

Online-Redaktion: Welche Idee steht hinter dem Ausbildungsangebot?

Hüllsiek: Die Idee spiegelt sich schon im Untertitel unseres Moduls: „Von Anfang an gemeinsam“. Es geht darum, bei den in Ganztagsschulen arbeitenden Professionen – die angehenden Erzieherinnen und Erzieher, die angehenden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie die angehenden Lehrkräfte – ein Bewusstsein dafür herzustellen, welche Funktion und welche Ziele eine Ganztagsschule hat, welche Rolle sie dort einnehmen und was multiprofessionelles Arbeiten bedeutet.

Workshop-Teilnehmer an einer Tafel
© Serviceagentur "Ganztägig lernen" Bremen

Das erleben sie in der Modulreihe hautnah, weil sie von Beginn an in gemischten Teams arbeiten. Sie lösen dort gemeinsam von uns gestellte Aufgaben und lernen, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Sie erhalten dadurch in der Ausbildung die Möglichkeit, sich mit sich selbst und ihren Kooperationspartnern auseinanderzusetzen. Es ist, wie gesagt, ganz wichtig, sich mit der eigenen Rolle zu beschäftigen: Was bringe ich mit? Was erwarte ich von mir selbst? Und welche Erwartung habe ich an meine Partner?

Gerade für Auszubildende, die selbst nur eine klassische Halbtagsschule kennengelernt und nur geringe Erfahrungen mit Ganztagsschulen haben, die aber mit immer größerer Wahrscheinlichkeit ihren zukünftigen Arbeitsort in einer Ganztagsschule haben werden. Wir wollen dazu beitragen, dass ihre berufliche Handlungsfähigkeit erhöht wird.

Online-Redaktion: Welche spezifische Sichtweise bringt die Fachschule für Sozialpädagogik ein?

Hüllsiek: Ich habe festgestellt, dass es weniger Unterschiede in den Sichtweisen der verschiedenen Partner wie der Universität, der Hochschule und unserer Fachschule für Sozialpädagogik gibt als viele Überschneidungen. Wir alle verstehen die Ganztagsschule als einen Ort, an dem eine ganzheitliche und individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt steht. Und für diese Förderung bedarf es unterschiedlicher Professionen. Das ist die Grundüberzeugung von uns allen, über die wir nicht mehr diskutieren müssen.

An der Fachschule Blumenthal legen wir unseren Schwerpunkt darauf, dass die Auszubildenden dazu beitragen, die Schülerinnen und Schüler in ihrer Selbst- und Sozialkompetenz zu stärken, und ihnen Schlüsselqualifikationen vermitteln. Die Kinder sollen eine eigenständige Persönlichkeit entwickeln können. Das heißt aber nicht, dass diese Ziele nicht ebenso von Lehrerinnen und Lehrern oder von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern verfolgt werden.

Online-Redaktion: Was können angehende Erzieherinnen und Erzieher aus dem Ausbildungsangebot mitnehmen?

Workshop-Notizen an einer Pinnwand
© Serviceagentur "Ganztägig lernen" Bremen

Hüllsiek: Ich wünsche mir, dass sie durch das aktive Mitwirken in der gemeinsamen Arbeit an Selbstbewusstsein gewinnen und ihr Berufsbild aufwerten, wenn sie im Austausch mit den Studierenden hautnah ihre Kompetenzen erleben. Denn manchmal gibt es noch die Problematik, dass die Erzieherinnen und Erzieher glauben, die Lehramtsstudierenden sähen in ihnen nur die Basteltanten und Betreuerinnen.

Und es ist ihnen auch am Beginn ihrer Ausbildung manchmal gar nicht bewusst, dass sie mit dem Abschluss einem Bachelor gleichkommen. Gerade die Modulreihe zeigt ihnen, dass die Ausbildung hoch anspruchsvoll ist, dass sie anschließend über Fach-, Methoden- und Sozialkompetenzen verfügen und diese in den Schulen einbringen können.

Online-Redaktion: Welche konkreten Inhalte hat die gemeinsame Ausbildung?

Hüllsiek: Sie besteht aus drei Modulen. Das erste Modul „Kommunikation und Kooperation – Vom Personalmix zum multiprofessionellen Team“ organisiert unsere Fachschule. Die anschließenden Hospitationen an den Ganztagsschulen organisiert die Serviceagentur, das zweite Modul „Arbeitsplatz Ganztagsschule“ die Universität Bremen, und das dritte Modul „Multiprofessionalität für eine gelingende Schulkultur“ veranstaltet die Hochschule Bremen.

Schülerinnen und Schüler auf einem Spielplatz der Integrierten Stadtteilschule an den Sandwehen Bremen
Oberschule In den Sandwehen Bremen © Britta Hüning

In diesem Monat beginnt unsere sechste Ausgabe der Modulreihe. Hier lässt sich eine schöne Entwicklung ausmachen, denn auch wir sind als multiprofessionelles Team zusammengewachsen. Es gibt immer jemand Verantwortlichen, aber durch das gemeinsame Arbeiten haben wir immer mehr ein Team entwickelt. Zu Beginn, 2011, hat noch jeder sein Modul stark für sich organisiert. Es gab einen fachlichen Input von Till-Sebastian Idel zu Ganztagsschule allgemein und einen Austausch, aber das war's auch. Inzwischen fühlen wir uns alle für alle Module gemeinsam verantwortlich. Wir schauen zusammen, was wir verbessern und weiterentwickeln können.

Online-Redaktion: Wie viel Theorie und wie viel Praxis vermitteln Sie?

Hüllsiek: Einer der Schwerpunkte der Reihe ist die Verbindung von Theorie und Praxis. Unser Anspruch ist, dass die Teilnehmenden realitätsnah und praxisbezogen arbeiten. Wir klopfen jede unserer Fragestellungen darauf ab, ob sie in der Realität eine Rolle spielt. Durch die Hospitation in Schulen ist der Praxisbezug sowieso gegeben. Hier kann man vor Ort genau sehen, was zu einer gelingenden multiprofessionellen Kooperation beiträgt und was manchmal hinderlich sein kann.

Im zweiten Modul werten die Teilnehmenden dann ihre Schulbesuche aus. Hier findet auch eine Podiumsdiskussion statt, bei der Vertreterinnen und Vertreter der einzelnen Professionen aus den Schulen vor Ort sind und bei offenen Fragen Rede und Antwort stehen.

Online-Redaktion: Welche Rückmeldungen haben Sie bisher von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erhalten?

Hüllsiek: Wir werten jede Modulreihe mit einem Evaluationsbogen aus. Eine der Aussagen im Evaluationsbogen, die zu bewerten sind, lautet zum Beispiel: „Ganztagsschulen benötigen unterschiedliche Professionen, um den vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden.“ Von 43 Teilnehmerinnen und Teilnehmern haben in einem Jahrgang 40 dieser Aussage „voll zugestimmt“ und drei „eher zugestimmt“. Für mich ein klares Indiz, dass wir mit unserer Modulreihe eines unserer Hauptziele erreichen.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

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