Ganztagsschulen "einfach ganz ANDERS" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
In Nordrhein-Westfalen bringt das Projekt "Einfach ganz ANDERS" von Eine Welt Netz NRW und BUNDjugend "Bildung für mehr Nachhaltigkeit" an die Ganztagsschulen der Sekundarstufe I. Dorothee Tiemann berichtet im Gespräch über die Angebote.
Online-Redaktion: Frau Tiemann, was verbirgt sich hinter Ihrem Projekt „Einfach ganz ANDERS“?
Dorothee Tiemann: Im Schuljahr 2009/2010 startete in Nordrhein-Westfalen der intensive Ganztagsschulausbau in der Sekundarstufe I, nachdem bis dahin der Schwerpunkt auf dem Grundschulbereich gelegen hatte. Gemeinsam engagieren sich das „Eine Welt Netz“ und die „BUNDjugend Nordrhein-Westfalen“ seitdem mit Qualifizierungsmaßnahmen, Materialien und konkreten Bildungsangeboten an diesen Ganztagsschulen. Wir setzen uns dabei für das Bildungskonzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ein, mit dem Ziel, mehr Nachhaltigkeit in die Schulen zu bringen und Schülerinnen und Schüler bei der aktiven Mitgestaltung ihrer Zukunft zu unterstützen. Die Jugendlichen sollen abschätzen lernen, wie sich ihr Handeln auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Weltregionen auswirkt.
Die Ganztagsoffensive im Sekundarbereich war für uns die Chance, unser innovatives Konzept zur Förderung einer Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Schulen zu etablieren und dem Bedarf der Ganztagsschulen an unterrichtsergänzenden Angeboten in ihrem erweiterten Zeitrahmen gerecht zu werden. Der Schwerpunkt lag dabei zunächst einmal bei den Arbeitsgemeinschaften. Wir sind aktuell immer noch das einzige Projekt in Nordrhein-Westfalen, das die klassische Umweltbildung und die klassische entwicklungspolitische Bildungsarbeit miteinander verbindet und damit dem ganzheitlichen Bildungsanspruch der Bildung für nachhaltige Entwicklung gerecht wird. Wir bemühen uns, beide Aspekte zusammenzudenken.
Online-Redaktion: Ihr Projekt ist Teil der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung gewesen…
Tiemann: Ja, wir sind von der deutschen UNESCO-Kommission mehrfach als Dekadeprojekt ausgezeichnet worden. Unsere Angebote sind daher auf den entsprechenden Portalen überall vertreten.
Online-Redaktion: Wie kommen Sie mit Ganztagsschulen zusammen?
Tiemann: Die Grundlage für unser Projekt ist der NRW-Ganztagserlass, in dem explizit gewünscht wird, dass außerschulische Partner wie zivilgesellschaftliche Verbände, Vereine und Nichtregierungsorganisationen mit Schule zusammenarbeiten. Das erhöht die thematische Vielfalt an den Schulen, aber bringt vor allem – und das macht uns als außerschulische Partner aus – auch neue Lernformen und Lernwege. Wir agieren jenseits des klassischen Unterrichts.
Wir konnten mit unserem Konzept verschiedene Förderer in Nordrhein-Westfalen gewinnen. In der ersten Projektphase 2010 bis 2013 unterstützte uns das nordrhein-westfälische Umweltministerium und in der aktuellen Projektphase die Stiftung Umwelt und Entwicklung. Wir sind als Verbände auf eine solche Förderung angewiesen, um diese außerschulischen Projekte realisieren zu können.
Online-Redaktion: Wie schaffen Sie es, in einem so großen Flächenland präsent zu sein?
Tiemann: Wir sind sehr gut vernetzt und haben im vergangenen Jahr etwa 100 Bildungseinsätze an Ganztagsschulen durchgeführt. Dazu haben unsere beiden Verbände „Eine Welt Netz“ und „BUNDjugend“ leicht unterschiedliche Wirkungskreise und erreichen so nochmal wesentlich mehr Interessenten. In den Bildungsstrukturen der Ganztagsschulen, zum Beispiel in der Lehrerausbildung und in der Fortbildung, ist die Bildung für nachhaltige Entwicklung noch nicht verankert. Das macht es uns etwas schwer, einen gefestigten Stellenwert in den Ganztagsschulen zu erlangen, wie sie der Sport oder die Musik besitzen.
Online-Redaktion: Wie muss man sich Ihre Angebote vorstellen?
Tiemann: Unsere Angebote sind eher praktisch als theoretisch. Das spiegelt sich auch in unserem Motto „Sensibilisieren, motivieren, realisieren“. Die Angebote haben also einen hohen Aktionscharakter, an ihrem Ende stehen immer ein Produkt oder eine Aktion, die in der Schulgemeinschaft sichtbar wird.
Ein Beispiel: Wir wollen nicht nur nach den Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie fragen, sondern setzen den Akzent darauf, was die Schülerinnen und Schüler in ihren Wirkungskreisen konkret tun können. Sie sollen Kompetenzen erlangen, Handlungsalternativen umsetzen zu können und Mitstreiter zu gewinnen. Am Ende freuen wir uns über jede Kleidertauschparty, auf der sich die Jugendlichen über die Produktionsbedingungen von Kleidung austauschen und ressourcenschonend im „Tauschrausch“ aktiv werden.
Online-Redaktion: Was heißt denn „Aktion“ oder „Aktionscharakter“?
Tiemann: Wir haben neun Angebote mit Aktionscharakter, unter anderem „Kleidertauschparty: Jetzt geht‘s an die Wäsche“, „Tischleindeckdich – Mein Essen und die Welt“ oder ganz besonders deutlich: „Werde Aktivist*in! Ideen zum Mitnehmen“. Erfreulich ist, dass wir immer häufiger Anfragen von Schülerinnen und Schülern bekommen, die mit diesem Workshop „Werde Aktivist*in!“ Nachhaltigkeitsthemen in ihre eigene Schule holen möchten. Das zeigt uns, dass unsere Angebote wirklich jugendgerecht, lebensweltnah und handlungsorientiert sind und gut ankommen.
Ergänzend haben wir Lernreihen mit aktionsgeladenen Methoden und vielen Hintergrundinformationen zu den Themen „Klima und Konsum“, „Boden und Ernährung“ sowie „Wasser“ entwickelt, die bereits vergriffen sind, aber noch als Download im Internet zur Verfügung stehen. Mit diesen Lernreihen wie „Wild, weit & virtuell – Wasserwelt konkret!“ stellen wir zusätzlich aktionsgeladene Methoden und viele aktuelle Hintergrundinformationen zu den einzelnen Themenbereichen zur Verfügung. Diese Bildungsangebote bieten wir in den Formaten Mini-Aktionstag, Projektwoche und Ganztags-AG an, sodass wir zeitlich flexibel auf die Wünsche jeder einzelnen Schule reagieren können.
Online-Redaktion: Wer bildet sich bei Ihnen fort?
Tiemann: Wir bieten Qualifizierungsmaßnahmen für interessierte Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die als Honorarkraft an Ganztagsschulen tätig werden wollen. An diesen Fortbildungen nimmt häufig an Ganztagsschulen tätiges Fachpersonal teil, aber es sind auch viele Lehrerinnen und Lehrer dabei.
Online-Redaktion: Wie beurteilen Sie insgesamt die Zusammenarbeit mit den Ganztagsschulen?
Tiemann: Wie ich schon angedeutet habe, müsste man die Bildung für nachhaltige Entwicklung und das globale Lernen noch stärker in die Bildungsstrukturen integrieren. Auch müsste von den Verantwortlichen berücksichtigt werden, dass Nachhaltigkeitsaspekte allumfassend sind und man sie nicht wie ein Fach isoliert betrachten sollte. Wir wünschen uns, dass das Projekt in der Lehrerfortbildung eingebunden wird.
Wir schreiben gerade an einem neuen Konzept, bei dem das deutlich wird. Wir wollen verstärkt auf die Landeskampagne „Schule der Zukunft“ zugehen, Qualitätszirkel, Schulämter, Schulverwaltungsämter, Bildungsbüros und Ganztagsträger ansprechen. Auch mit der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ NRW möchten wir enger zusammenarbeiten.
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