Ganztagsschule im Sozialraum: Kooperation und Qualität : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Ohne Kooperation geht in der Ganztagsschule nichts. Das Programm "Ganztägig bilden" der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, der Stiftung Mercator und der Robert Bosch Stiftung fördert den bundesweiten Austausch.
Die Kooperation mit außerschulischen Partnern und damit die Öffnung in den Sozialraum ist ein entscheidendes Qualitätsmerkmal von Ganztagsschulen, die bundesweite „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) hat das immer wieder bestätigt. Was den Umfang der Kooperationen betrifft, sind Ganztagsschulen schon ziemlich gut. Ein nächster Qualitätsschritt ist die Verknüpfung von Unterricht und Angeboten. Hier ist oft noch reichlich „Luft nach oben“, wie die aktuellen StEG-Ergebnisse zeigen.
Das von den Ländern geförderte Programm „Ganztägig bilden“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, der Stiftung Mercator und der Robert Bosch Stiftung will den bundesweiten Austausch, wie er durch das Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ vor zwölf Jahren eingeleitet wurde und bereits viel geleistet hat, gezielt neu beflügeln. Am 16. Juni 2016 luden die Initiatoren, zu denen vor allem auch die Länder gehören, zum bundesweiten Beratungsforum „Ganztagsschule im Sozialraum“ nach Berlin ein.
Gute Ganztagsschulen entwickeln
„Multiplikatoren aus der Praxis“ waren zum Austausch eingeladen, so Programmleiterin Maren Wichmann. „Wir wollen diskutieren, welche neuen Fragen anstehen, wenn wir heute über Kooperationen sprechen“. In der Eröffnungsrunde betonten Wolf Schwarz, Referatsleiter für Ganztagsschulen im Hessischen Kultusministerium, und Dr. Sibylle Reichmann von der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung die Bedeutung der Öffnung in den Sozialraum für den Ganztag.
Hessen hat den "Pakt für den Nachmittag" geschlossen. Schulen und Schulträger entwickeln gemeinsame Konzepte für eine ganztägige Bildung und Betreuung. „Die Länder müssen Qualitätsstandards entwickeln“, so Schwarz weiter. „Es muss definiert werden, was eine gute Ganztagsschule ausmacht. Und es ist nötig, dass sich die Lehrerausbildung verändert und auf die Ganztagsschule reagiert.“
Sibylle Reichmann betonte aus den Hamburger Erfahrungen die wechselseitige Bereicherung: „Ganztagsschulen können nicht nur den Sozialraum nutzen, sondern umgekehrt kann die Ganztagsschule einen erheblichen Nutzen für den Sozialraum haben.“
StEG: „Es lohnt der Blick auf die Feinstruktur“
„Qualität und Wirkung von Ganztagsschulen“ im Lichte der StEG-Ergebnisse thematisierte Prof. Ludwig Stecher von der Justus-Liebig-Universität Gießen in seinem Einführungsvortrag. Am „StEG-Standort“ Gießen wurden „Ganztagsangebote als neue Lernarrangements“ untersucht und besonders die Frage, wie die Angebote zu selbstständigen, individuellen Lern- und Bildungsaktivitäten anregen.
„Grundsätzlich bewerten Schülerinnen und Schüler die Angebote positiv“, resümierte Stecher. „Aber es lohnt der Blick auf die Feinstruktur der schulischen Praxis, sei es bei der Organisation von Lernzeiten oder der Verzahnung von Unterricht und Angeboten.“ Viel spreche dafür, dass außerunterrichtliche Angebote besonders effektiv seien, wenn sie Verbindungen zum Unterricht, aber doch ein differenziertes Lernarrangement aufweisen.
Darmstadt: Schule und Jugendhilfe an einem Tisch
Genügend Anstöße also für den Austausch in den vier „Salons“, in denen das Thema Kooperation aus der Perspektive von Praktikern beleuchtet wurde. Im Salon „Ganztagsschule im Sozialraum und in der Kommune“ berichtete Bettina Kroh, Leiterin des Schulamtes Darmstadt über den „Pakt für den Nachmittag“, den die Stadt Darmstadt und der Landkreis Darmstadt-Dieburg, die sich 2012 zur Bildungsregion zusammengeschlossen haben, als Pilotschulträger umsetzen.
„Unser Ziel ist ein verlässliches Bildungs- und Betreuungsangebot von 7 bis 17 Uhr. Wir streben die Verknüpfung von schulischen und außerschulischen Angeboten an“, bezog sich Bettina Kroh auf das Eingangsreferat. „Dazu haben wir Schule und Jugendhilfe an einen Tisch gebracht. Sie entwickeln gemeinsame Leitbilder, definieren die Kooperation, agieren als Teams und lernen die jeweils andere Profession kennen.“ Der Pakt für den Nachmittag ist für offene Ganztagsgrundschulen gedacht. Aber man hofft im Schulamt, dass sich die freiwillige Teilnahme mit der Zeit auf 100 Prozent steigert, um eine Rhythmisierung zu ermöglichen und außerunterrichtliche Angebote in den Vormittag integrieren zu können.
„Vaterstettener Modell“
Schulleiterin Catherine Aicher und Ganztagsleiterin Agnes Koska gaben einen Einblick in die Praxis der Grund- und Mittelschule Vaterstetten in Baldham (Bayern), die im „Vaterstettener Modell“ mit der AWO kooperiert. In der gebundenen Ganztagsklasse ist die Kooperation des Personals gelebter Alltag. Die Erzieherinnen haben einen Personalraum in der Schule und sind bei Konferenzen dabei. Ihr Einsatz im Unterricht beginnt bereits ab der 3. Stunde. Lehrerinnen und Lehrer sind in außerunterrichtlichen Angeboten bis 15.30 Uhr involviert.
Seit fünf Jahren läuft das Modell, in dem Erzieherinnen und Lehrkräften in Klassenteams arbeiten. Auch in den AGs sind „die Professionen gemischt“, damit sich „so alle kennen lernen“, wie Catherine Aicher meinte. „Ich treffe mich einmal die Woche mit Frau Koska zur Besprechung. Wir arbeiten wirklich auf Augenhöhe. Das beginnt bei der Leitung.“
Rolf Brendecke von der Katholischen Jugendagentur Leverkusen, dem Träger von acht Ganztagsgrundschulen in Leverkusen und Köln, bestätigte, dass die Ganztagsschule erst im Verbund mit anderen Institutionen richtig wirksam werde, zum Beispiel in kommunalen Qualitätszirkeln. „Die Klärung finanzieller, personeller, inhaltlicher und rechtlicher Fragen bedeutet einen hohen Kommunikationsaufwand,der aber notwendig ist“, so Brendecke.
Teamzeiten für Kooperation
Um Voraussetzungen der „Multiprofessionellen Zusammenarbeit“ ging es im dritten Salon mit Susanne Hüllsiek von der Fachschule für Sozialpädagogik im Schulzentrum Neustadt und Prof. Till-Sebastian Idel von der Universität Bremen, die eine Fortbildung der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Bremen vorstellten: Erzieher- und Lehramtsausbildung der Hochschulen enthalten Module, in denen Studierende gemeinsam auf die Arbeit in der Ganztagsschule vorbereitet werden, auch mit Hospitationen in Schulen.
Wie Teamarbeit praktisch aussieht, berichteten Mirjana Reet-Telalbasic aus der Grundschule in der Köllnischen Heide und Susanne Hoffmann-Michel aus der Stadtteilschule Öjendorf, wo Teams von Erzieherinnen und Lehrkräften, Sozial- und Sonderpädagogen gemeinsam in den Klassen arbeiten. Wichtigste Voraussetzung: Teamzeiten für die Kooperation.
„OS-KAR, OS-KAR!“
Das Thema Integration ist für Ganztagsschulen derzeit besonders aktuell. Prof. Ingrid Gogolin von der Universität Hamburg, Expertin für international vergleichende Erziehungswissenschaft, legte den Teilnehmenden das Thema „Mehrsprachigkeit als Kompetenz“ ans Herz. Nicht selten werden fehlende Deutschkenntnisse mit mangelnder Sprachkompetenz gleichgesetzt. In der Diskussion konnte man spüren, wie wichtig für die Praktiker mehr Wissen zu solchen Fragen ist.
Wie es in der Praxis gehen kann und was eine gute Kooperation von Schulen mit außerschulischen Einrichtungen auch in der Sprachförderung ausmacht, zeigte ein Beispiel aus Leipzig. Ulrike Pörner von der August-Bebel-Schule und Ellen Heising vom Kinder- und Jugendkulturzentrum O.S.K.A.R. erzählten in Wort und Bild, wie Kinder aus Syrien, Afghanistan oder Irak in der Schule und im O.S.K.A.R. auf verschiedenen, sich ergänzenden Wegen Deutsch lernen: in der Schule nach Lehrplan, im O.S.K.A.R., indem sie Geräte bauen oder sich künstlerisch ausdrücken.
Sehr reflektiert verdeutlichte Grundschullehrerin Ulrike Pörner die Notwendigkeit der Aufgabenteilung in der Kooperation: Als Lehrerin sei es nun mal ihre Aufgabe, das Können und die Leistungen der Kinder auch zu bewerten. Im O.S.K.A.R. sei eine solche Bewertung nicht notwendig, die Kinder könnten andere Fähigkeiten zeigen, und Deutsch lernen sie dort spielend im Zusammensein mit anderen Kindern: etwa, wenn sie sich beim Bauen und Basteln gegenseitig Begriffe erklären.
Besonders wirksam war die Idee, die Arbeiten der Kinder bei Wettbewerben einzureichen. Die gewonnenen Preise stärkten nicht nur das Selbstbewusstsein und die Motivation, sondern auch ihr Zugehörigkeitsgefühl. „OS-KAR, OS-KAR!“ intonieren die Kinder inzwischen mit Vorfreude auf dem Weg von der Schule zum Jugendzentrum, erzählte Ulrike Pörner lächelnd. Der Stolz auf ihre Erfolge ist den beiden Referentinnen anzumerken.
„Hervorragendes Zeichen für den Transfer“
Eine erfolgreiche Veranstaltung, das konnte man an vielen Stellen hören. „Wir haben besonders für den Austausch in den Salons gute Rückmeldungen erhalten“, freute sich Projektleiterin Maren Wichmann am Ende des Tages über die starke Resonanz. Die Beratungsforen sollen fortgesetzt werden. „Das ist ein hervorragendes Zeichen für den weiteren Transfer.“
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