Ganztag in Hessen: „... die Feuerwehr ist da“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Polizist, Pilot, Feuerwehrmann, Lokführer – das sind bis heute Traumberufe von Jungen, wie eine aktuelle Studie zeigt. Das zweijährige Modellprojekt „Mehr Feuerwehr in die Schule“ in Hessen stellt Projektleiter Michael Grau im Interview vor.
Online-Redaktion: Herr Grau, wie viele Feuerwehrleute gibt es in Hessen und bei Ihnen im Raum Frankfurt am Main?
Michael Grau: Bei uns gibt es eine Berufsfeuerwehr mit rund 1.000 Beamtinnen und Beamten und eine Freiwillige Feuerwehr der Stadt mit 29 Freiwilligen Feuerwehren mit etwa 900 Einsatzkräften. In Hessen sind das insgesamt 70.000 aktive Einsatzkräfte. Dazu gehören auch etwa 25.000 Jugendliche im Alter von 10 bis 17 Jahren in den Jugendfeuerwehren. Und schließlich sind bei uns 11.300 Kinder zwischen 6 und 10 Jahren in den Kinderfeuerwehren aktiv.
Online-Redaktion: Welche Aufgaben übernehmen denn Kinder bei der Feuerwehr?
Grau: In den Kinderfeuerwehren geht es primär um Themen der Brandschutzerziehung und um Präventionsmaßnahmen. Im Kindergarten- und Grundschulalter vermitteln wir kindgerecht und spielerisch das Thema „Brandschutz“ und wie sich die Kinder bei einem Brandfall verhalten sollten. Da geht es um das Absetzen eines Notrufes, um das Hilfeholen, das Informieren der Eltern und darum, dass man sich vor allem bei einem Feuer nicht versteckt, wie es leider manche Kinder im Schadensfall noch immer tun.
Nach und nach führen wir die Kinder auch spielerisch an die Feuerwehrausbildung heran, die so richtig erst im Jugendalter beginnt. Da kommt das Thema Ehrenamt ins Spiel. Die Jugendlichen lernen, wie man einen Brand löschen kann, und sie lernen die entsprechenden Hilfsmittel kennen, wie die Löschfahrzeuge mit den Feuerlöschgeräten und Feuerwehrkreiselpumpen.
Online-Redaktion: Wie sieht es bei Ihnen mit der Nachwuchsgewinnung aus?
Grau: Die haben wir in Hessen einigermaßen stabilisiert, auch durch Seiteneinsteiger. Heute machen nicht selten Dreißig- oder Vierzigjährige – Handwerker, Akademiker, Verwaltungsfachleute – nochmal die Feuerwehrgrundausbildung und steigen bei der Feuerwehr ein. Bis vor 20 Jahren gab es das noch nicht so stark, da waren Seiteneinsteiger kein Thema.
Und die Mitgliederzahlen der hessischen Jugendfeuerwehren sind im vergangenen Jahr erstmals seit zehn Jahren wieder gestiegen. Das liegt auch am gemeinsamen Engagement von Land und Landesfeuerwehrverband, beispielsweise in der Nachwuchswerbung, für die im Jahr 2016 eine eigene Jugendfeuerwehrimagekampagne ins Leben gerufen wurde, deren Erfolg auch an den steigenden Mitgliederzahlen ablesbar ist.
Online-Redaktion: Es liegt nahe, in der Schule den Nachwuchs für die Feuerwehr zu interessieren. Gibt es da gute Beispiele für das Zusammenwirken?
Grau: Es gab schon vor unserem Modellprojekt „Mehr Feuerwehr in die Schule“ Kooperationen von Feuerwehr und Schule. Die Champions League, wenn man das so sagen will, spielt in Rodgau im Kreis Offenbach. An der dortigen Claus-von-Stauffenberg-Schule, einer sogenannten Gymnasialen Oberstufenschule, wird seit über zehn Jahren eine komplette Feuerwehrgrundausbildung angeboten, sogar mit Atemschutzgeräten, und eine Rettungssanitäterausbildung, die immerhin 520 Stunden umfasst. Diese Ausbildung findet im Rahmen eines AG-Angebots statt.
Die Schülerinnen und Schüler können sich später während des Studiums auch etwas als Rettungssanitäter hinzuverdienen. In der Einsatzabteilung in Rodgau kommen mittlerweile bereits über 20 Prozent der Einsatzkräfte aus dieser Schule. Da hat die Zusammenarbeit richtig gefruchtet. Und zwar schon so weit, dass die Feuerwehr Rodgau die Teilnehmerzahl der AG Brandschutz hat begrenzen müssen. Die Ressourcen an Ausbildern sind schlicht und einfach knapp, und die Ausbildung soll ja Hand und Fuß haben.
Ein anderes gutes Beispiel ist die Feuerwehr Herborn, die seit mehreren Jahren ein AG-Angebot in Schulen anbietet und den ein oder anderen Schüler dann übernommen hat. So ein Angebot ist die AG „Familie Feuerstein“ in der Comenius-Schule Herborn. Dort gibt es seit 2015 sogar ein Schulfach „Feuerwehr”, genauso wie an der Helmut-Schmidt-Schule Usingen. Was genau die Kooperationen bewirken, darüber müssen wir uns aber selbst erstmal systematisch ein Bild machen. Es kann ja sein, dass ein Schüler eine Feuerwehr-AG an einer weiterführenden Schule besucht, die nicht an seinem Wohnort liegt, und er dann Mitglied bei seiner Feuerwehr am Wohnort wird, statt bei derjenigen, die in seiner Schule die AG anbietet.
Online-Redaktion: Im September endete nach zwei Jahren das Modellprojekt „Mehr Feuerwehr in die Schulen“ des Hessischen Innenministeriums, das sie geleitet haben. Was haben Sie erreicht?
Grau: In dem Projekt sind Kooperations- und Unterrichtsformen zwischen Feuerwehren und Schulen durchgeführt worden, um Feuerwehren Hilfestellung bei der Anbahnung und Umsetzung von Kooperationen mit örtlichen Schulen zu geben. Auch um die konkrete Unterrichtsgestaltung ging es. Die Projektergebnisse und Erfahrungen der Kooperationspartner, aber auch viele Informationen, Tipps und Arbeitsmaterialien haben wir in einem Leitfaden „Mehr Feuerwehr in die Schule“ veröffentlicht. Zum Abschluss haben wir die Ergebnisse gerade vom Hessischen Innenminister Peter Beuth präsentiert.
Wichtig war uns, den Feuerwehren möglichst praxisnahe Informationen und Ratschläge zu geben. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist unsere Informationsplattform, auf der wir den Feuerwehren viele Informationen für das Engagement an Schulen geben möchten. Und die Plattform wird noch weiter wachsen.
Bei diesem Projekt gab es eine Steuergruppe, die bestand aus Vertretern des Innenministeriums, des Kultusministeriums, des Landesfeuerwehrverbandes und der Modellregionen Hochtaunuskreis, Main-Taunus-Kreis, Stadt Frankfurt und später noch der Stadt Hanau. Wir haben uns alle zwei Monate getroffen und gegenseitig auf den aktuellen Stand gebracht. Wir werden uns auch nach Projektende weiter treffen. Denn gerade beim Thema „Mehr Feuerwehr in die Schule“ war und ist die Netzwerkbildung von entscheidender Bedeutung.
Online-Redaktion: Was ist ein wichtiger Tipp, der sich aus den Erfahrungen speist?
Grau: Die Intention des Modellprojekts ist natürlich die Nachwuchsgewinnung, aber auch die Sensibilisierung für das Ehrenamt allgemein. Wir wollen junge Menschen überhaupt erstmal für das Ehrenamt interessieren, in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann in irgendeiner Form ehrenamtlich engagieren. Die Schule ist ein Ort, an dem man das sehr gut vorleben kann und wo die Schülerinnen und Schüler das erfahren und dann außerhalb der Schule weiterleben können.
Vielen Schulen war und ist gar nicht bewusst, dass die Feuerwehr in Hessen zu 95 Prozent ehrenamtlich organisiert ist. Es gibt nur sechs Berufsfeuerwehren. Daher darf die Erwartungshaltung der Schule nicht sein, dass man mal eben bei der Feuerwehr anruft und morgen hat man das Kooperationsangebot auf dem Tisch. Wir schätzen, dass es ein Jahr Vorlaufzeit benötigt, bis alles richtig steht und personell wasserdicht ist. Wir wollen die Schulen nicht enttäuschen, wenn ein Kooperationsplan zu sehr mit der heißen Nadel gestrickt worden ist und vielleicht das Angebot dann mehrfach ausfallen würde.
Online-Redaktion: Wie sieht es mit finanzieller Unterstützung aus?
Grau: Im Rahmen unseres Projekts hat das Land eine Förderrichtlinie erarbeitet, um die Feuerwehren und die im Katastrophenschutz des Landes Hessen mitwirkenden Hilfsorganisationen einschließlich THW bei ihrem Engagement in den Schulen zu unterstützen. Die Feuerwehren können nun für die Kooperationen mit den Schulen im ersten Schuljahr Fördergeld vom Hessischen Innenministerium beantragen, zunächst bis zu 5.000 Euro, die für Sachmittel wie beispielsweise einen Feuerwehrtrainer oder Dienstkleidung eingesetzt werden können. Im zweiten und dritten Projektjahr gibt es jeweils bis zu 2.500 Euro. Darüber hinaus gibt es Fördergelder in Höhe von 400 bis 800 Euro für Projekttage oder Projektwochen. Für das Schuljahr 2018/2019 sind bereits 34 Schulprojekte mit einer Gesamtsumme von rund 170.000 Euro gefördert worden.
Es gibt eine schriftliche Kooperationsvereinbarung des Kultusministeriums, in der genau die Aufgaben von Schule und Feuerwehr definiert werden. Und in dieser Vereinbarung ist auch eine Aufwandsentschädigung in Höhe von mindestens 14 Euro pro Schulstunde für die Feuerwehrausbilderin oder den -ausbilder festgeschrieben.
Online-Redaktion: Sie arbeiten auch mit der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hessen zusammen...
Grau: Mit der Veranstaltungsreihe „Mehr Ehrenamt an Schulen“ wollen wir die Idee noch weiter ins Land tragen. Das Modellprojekt war ja zunächst auf drei, dann vier Modellregionen beschränkt.
Online-Redaktion: Lohnt sich das Engagement?
Grau: Auf jeden Fall. Im Hessischen Innenministerium gehen mehr Förderanträge ein – das zeigt, dass mehr Feuerwehren und Schulen im Land auf die Fördermöglichkeiten aufmerksam geworden sind. Dabei kann jede Feuerwehr frei entscheiden, ob sie mitmachen möchte und wie. Fängt sie erstmal mit einem Projekttag in der Schule an? Sammelt sie langsam Erfahrungen und baut ihr Angebot dann sukzessive aus? Oder steigt sie in einer Ganztagsschul-AG gleich voll mit einem ganzen Schuljahr ein? Es gibt viele Möglichkeiten, und das versuchen wir auch in diesen Regionalveranstaltungen darzustellen. Es soll sich keine Feuerwehr selbst überfordern und dann womöglich noch Stress einhandeln. Dass keine Verpflichtung und kein Druck zum Mitmachen bestehen, wollen wir hier rüberbringen.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Ganztag vor Ort - Partizipation
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