Ganz Selm e. V.: „Wir sind ein ganzer Tag“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Alle Offenen Ganztagsschulen „in einer Hand“ – das war die Idee in der kleinen Ruhrgebietsstadt Selm. Wie Ganz Selm e. V. die Idee realisiert hat, berichten Birgit Kalender und Daniela Rutz-Nölle im Interview.
Online-Redaktion: Frau Rutz-Nölle, wie kam es 2011 zur Gründung von Ganz Selm e.V.?
Daniela Rutz-Nölle: Damals stiegen die Anmeldezahlen der Offenen Ganztagsschulen (OGS) stark an, das war eine Erfolgsgeschichte. Die Stadt Selm hat überlegt, wer in Nachfolge eines aufgelösten Vereins die Trägerschaft der OGS übernehmen konnte – es sollte für alle Ganztagsschulen möglichst alles in einer Hand vereinigt werden. Unsere Vereinsvorsitzende Christiane Damberg war Vorsitzende der Elterninitiative „Die kleinen Strolche“ und bereits Mitglied des Vorgängervereins gewesen. Sie erklärte sich bereit, den Verein Ganz Selm e.V. zu gründen und zu führen.
Konsens war, dass wir in Selm am besten etwas bewirken können, wenn alle Beteiligten an einem Tisch sitzen. Den Vorstand bildeten und bilden deshalb die Schulleiterinnen und -leiter sämtlicher Selmer Schulen – drei Grundschulen, eine Sekundarschule, ein Gymnasium und eine Förderschule.
Wir arbeiten alle eng zusammen, und bei uns im Verein sprechen wir auch nicht von „Schule und wir“, von „Vormittag“ und „Nachmittag“, sondern wir verstehen uns als „ein Tag“. Das ist ganz wichtig, dass wir uns als Einheit verstehen und als Team arbeiten. Denn wir wollen den ganzen Tag über den Kindern ein angenehmes Lernfeld und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein angenehmes Arbeitsfeld bieten können.
Online-Redaktion: An welchen Stellen ermöglichen Sie den Austausch zwischen den unterschiedlichen Professionen, die im Ganztag tätig sind?
Rutz-Nölle: Es gibt feste Teamzeiten. Einmal in der Woche trifft sich das ganze OGS-Team, zu dem auch die Integrationshelfer gehören, mit der Schulleitung zum Austausch. Einmal wöchentlich treffen sich Schulleitung und OGS-Leitung. Dann gibt es noch die OGS-Leitungstreffen, bei denen auch Frau Kalender und ich sowie Susanne Jagusch, die Leiterin der Integration, und Claudia Schulz vom Schulamt dabei sind. Hinzu kommt das Netzwerktreffen „Frühe Hilfen“, an dem zum Beispiel die Caritas und die Familienbildungsstätte teilnehmen und das von Schwangerschaftshilfe bis Berufseinstieg alles abdeckt.
Schließlich gibt es noch einen Qualitätszirkel mit allen Schulleitungen, allen OGS-Leitungen, der Stadtkämmerin und der Ganztagsbeauftragten der Stadt. Ich selbst bin jeden Tag in allen Schulen vor Ort und so im ständigen Austausch mit allen Beteiligten. Wenn es Schwierigkeiten oder Anregungen gibt, kann ich diese an die entsprechenden Stellen weiterkommunizieren.
Online-Redaktion: Wie hat sich Ihre Arbeit in den Schulen entwickelt?
Rutz-Nölle: Einst ging es los mit der Hausaufgabenbetreuung in den weiterführenden Schulen. Heute organisieren wir auch das Mittagessen, Projekte und Arbeitsgemeinschaften im Ganztag. Hinzu kommen die Übermittagsbetreuung bis 13.30 Uhr, an der die Stadt festhält, und die Ferienbetreuung. Insgesamt sind heute – die Integrationshelfer eingerechnet – 103 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für etwa 400 Schülerinnen und Schüler verantwortlich, davon 300 in der OGS und 100 in der Übermittagsbetreuung.
Online-Redaktion: Ihr Vereinsmotto lautet „Betreut. Gebildet. Gefördert.“ Wie füllen Sie das mit Leben?
Rutz-Nölle: Durch eine enge Zusammenarbeit mit der Schule. Lehrerinnen und Lehrer sind auch in der Hausaufgabenbetreuung im Einsatz. Die außerschulischen Fachkräfte können sich mit ihnen schnell über Maßnahmen des Förderns und des Forderns kurzschließen. Das Team bespricht sich, zu welchem Kind welche Maßnahme passt. Braucht der eine vielleicht hier noch etwas Futter, oder muss die andere mal in eine Eins-zu-eins-Hausaufgabenbetreuung gehen? Das verpacken wir kindgerecht, sodass die Teilnahme an einer Fördermaßnahme nicht wie eine Strafe wirkt, zu der man hinmuss – die Materialien, die Aufgabenstellungen, die Namen sollen Spaß machen und zum Mitmachen anregen. Es gibt auch viel Kleingruppenarbeit.
Wir besuchen Fortbildungen, die zu diesen Themen angeboten werden. So haben wir ein Hausaufgabenkonzept entwickelt, das an allen Grundschulstandorten Anwendung findet: Mit Hilfe eines Buchstabensystems finden die Eltern und die Lehrkräfte schnelle Orientierung, wie ihre Kinder die Hausaufgaben erledigt haben. Von Vereinsseite schauen wir, dass wir Projekte und AGs anbieten, die breitgefächert musische, sportliche und künstlerische Bereiche abdecken. Die Angebote sollen den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, in möglichst vieles hereinzuschnuppern und neue Neigungen und Talente zu entdecken.
Online-Redaktion: Wer bietet die Arbeitsgemeinschaften an?
Rutz-Nölle: Unsere Fachkräfte machen Angebote, die ihren Interessen und Kompetenzen entsprechen, zum Beispiel Basteln oder die Garten-AG. Wir haben aber auch außerschulische Partner gewinnen können, zum Beispiel den Sportverein TG Einigkeit Selm, den Fußballverein und die Musikschule. In den Ferien war die Städtische Bücherei mit dabei. Man muss aber auch sagen, dass es schwieriger geworden ist, pädagogische Kräfte für den Nachmittagsbereich zu finden – wir als kleiner Verein können auch keine großen Gehälter zahlen.
Birgit Kalender: Umso mehr sind wir stolz, dass es immer wieder gelingt, schöne Kunstprojekte auf die Beine zu stellen. Im letzten Jahr haben wir zum Beispiel das Projekt „MärchenZauberGärten“ organisiert, zusammen mit dem Altenwohnhaus St. Josef und der Caritas Lünen. Die Schülerinnen und Schüler haben gemeinsam mit der Künstlerin Anke Knoke-Kahner unter dem Motto „jung und alt“ den Garten des Altenwohnhauses verschönert. Und das Schöne war, dass die Caritas auf uns zugekommen ist, um zu fragen, ob unser Verein nicht bei diesem Projekt mitmachen wolle. Das spricht ja auch ein bisschen für uns...
Online-Redaktion: Sie organisieren auch das Mittagessen, in welcher Form?
Kalender: Es gibt Caterer, die das Essen anbieten. Die Ludgerischule kocht selbst. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei der Essensausgabe und der Aufsicht dabei. Sie essen auch mit. Das ist dann wie zu Hause – beim Essen bekommt man die besten Informationen.
Online-Redaktion: Ihr Ferienangebot hat sich einen Namen gemacht. Gibt es das für alle Ferien?
Rutz-Nölle: In den Oster-, Herbst und Weihnachtsferien bieten wir jeweils für eine Woche und in den Sommerferien für die letzten drei Wochen eine Ferienfreizeit an. Im Sommer kooperieren wir mit der Jugendhilfe, dem Selmer Spielmobil. Dann organisieren Studentinnen und Studenten, die das wirklich mit Leib und Seele machen, das Programm unter einem Thema. Im vorigen Jahr war es beispielsweise der „Selmer Dschungel“, in diesem Jahr wird das Motto „Grünes Spielmobil – auf in das Naturabenteuer!“ sein. Die Kinder bauen und basteln dann immer auch etwas, was sie auf einem großen Fest ihren Eltern präsentieren. Die 120 Plätze sind immer sofort vergeben.
Online-Redaktion: Hakt es auch irgendwo?
Kalender: Unsere Schulgebäude sind uralt. Die Akustik in vielen Räumen und die Ausstattung lassen teilweise zu wünschen übrig. Die Nachfrage nach Ganztagsplätzen wächst aber unaufhörlich. Wir haben schon jetzt oft eine Doppel- und Dreifachnutzung in Klassenräumen. Ein extra Ruhe- oder auch ein Toberaum sind bisher nicht drin. Kurz gesagt: Wir brauchen neue Ideen für Räume.
Online-Redaktion: Und was läuft für Sie richtig gut?
Rutz-Nölle: Wir können mit gutem Gewissen sagen, dass die Schülerinnen und Schüler sich bei uns im Ganztag wohlfühlen. Das größte Kompliment ist sicherlich, dass viele Kinder nachmittags nach OGS-Schluss gar nicht nach Hause wollen.
Kalender: Für mich ist es einfach ein schönes Arbeiten. An jedem Standort passt es mit den Teams. Irgendwie haben wir immer die richtigen Leute gefunden. Und die Zusammenarbeit mit der Stadt ist sehr gut. Dass alle Beteiligten immer zusammen an einen Tisch kommen, ist gar nicht selbstverständlich, wie ich das aus anderen Gemeinden mitbekomme. Der Zusammenhalt ist vielleicht auch der kleinen Stadt und unseren Netzwerken geschuldet.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Kooperationen - Kulturelle Bildung
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