Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten: Ganztag in Grün : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten steht für eine neue Schulgartenbewegung. Anlässlich des 3. Berliner Schulgartentages sprach die Redaktion mit Auguste Kuschnerow.

1881 legte ein Lehrer in Gerderath (Regierungsbezirk Aachen) den ersten Schulgarten in Preußen an. 1926 bereiste im Auftrag der „Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Schulgartenwesens“ im Leipziger Lehrerverein eine Gruppe von Volksschullehrern „mit zwei sachkundigen Studienräten“ Sachsen, Berlin, Mitteldeutschland und die Rheinprovinz, um Schulgärten zu besichtigen.1

Besonders städtische Schulgärten und Gartenarbeitsschulen nahmen als Teil schulreformerischer Bestrebungen in der Weimarer Republik einen Aufschwung. So gab die Zeitschrift „Die Arbeitsschule“ 1930 das Sonderheft „Schulgarten – Gartenschule“ heraus.2 Zur wechselvollen Geschichte gehören allerdings auch die Vorstellungen einer „bodenverwurzelten Schularbeit“ und der „Liebe zur Scholle“, wie sie Schulgartenerlasse 1934 und 1939 propagierten.3 In der Nachkriegszeit dienten Schulgärten schließlich vielfach der Versorgung.

Dass Schulgärten mehr Potential für die Bildung haben, zeigt die neue Schulgartenbewegung der letzten Jahre. So betonte 2013 ein Fachtag des bayerischen Zentrums für Umwelt und Kultur Benediktbeuern die Bedeutung des Schulgartens als fächerübergreifender Lernort.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Schulgarten steht für die neue Schulgartenbewegung. Das bundesweite Netzwerk fördert den Erfahrungsaustausch und das Engagement vor Ort und wirkt konzeptionell bei der Entwicklung von Lehrplänen mit. Die Redaktion sprach mit Auguste Kuschnerow von der BAG Schulgarten über die Renaissance des Schulgartens und dessen pädagogische Potentiale, gerade für den Ganztag.

Online-Redaktion: Frau Kuschnerow, gestern fand der 3. Berliner Schulgartentag statt. Welches Angebot erwartete die Besucherinnen und Besucher dort?

Auguste Kuschnerow: Zu unseren Schulgartentagen, die als Fortbildung vom LISUM, dem Landesinstitut für Schule und Medien, anerkannt ist, laden wir nicht nur Biologielehrerinnen und -lehrer ein, sondern rund 130 Lehrkräfte aller Fächer. Früher war der Schulgarten meist Sache eines einzigen, dafür bestimmten Lehrers. Dies kann aber schnell zu Überforderung und Frustration führen, denn so ein Garten bedarf ja der ständigen Pflege. Wenn aber viele Hände mithelfen, ist der Arbeitseinsatz überschaubar. Wir zeigen in Workshops zu Themen wie „Boden“, „Wildkräuter“ und „Schwimmen, Schweben, Sinken – Naturwissenschaften im Schulgarten“, dass der Schulgarten Relevanz für fast jedes Fach besitzt und sich einbeziehen lässt.

Der Berliner Schulgartentag begann mit drei Vorträgen. Im ersten ging es um „Sprache im Schulgarten“, um das Finden einer gemeinsamen Sprache und das Einbeziehen von Schülerinnen und Schülern mit Sprachschwierigkeiten bei der Schulgartenarbeit. Der zweite Beitrag behandelte das Thema „Bionik und Stadtnatur“. Bionik ist ein neues Studienfach, das sich um das Lernen von der Natur dreht. Wie lassen sich Vorgänge in der Natur auf technische Innovationen übertragen?

Der dritte Vortrag „Hügel, Wildnis und Karotten“ gab Anregungen für Naturerfahrungen in der Schule und thematisierte problematische Ausgangslagen von Schulen mit versiegelten Flächen oder belasteten Böden und wie hier trotzdem Kräuter und Gemüse angebaut werden können.

Eine Garten- und Landschaftsarchitektin beriet die Schulen darüber hinaus, wie sie konkret einen Garten bei ihren jeweiligen spezifischen Gegebenheiten anlegen können. Die Lehrerinnen und Lehrer erhielten auch konkrete Tipps, wie sich die Schulgartenarbeit erleichtern lässt. Wichtig ist dabei auch der Hinweis, dass es besser ist, klein anzufangen, mit vier Quadratmetern pro Klasse, um sich keinen Stress aufzuhalsen.

Online-Redaktion: Die Bundesarbeitsgemeinschaft proklamiert das Recht auf einen Schulgarten für jedes Kind. Warum ist die Schule Ihrer Ansicht nach der richtige Ort für einen Garten?

Kuschnerow: Ein Schulgarten ist nicht nur zum Anbau und zur Verarbeitung von Obst, Gemüse und Kräutern geeignet, sondern er lässt sich für fast jedes Unterrichtsfach als veranschaulichende Unterstützung hinzuziehen. Der Biologieunterricht ist sowieso klar. Aber die Kartoffel beispielsweise, deren Anbau zum Beispiel Friedrich II. gefördert hat, die andererseits im 19. Jahrhundert als Monokultur mitverantwortlich für die europäische Auswanderungswelle war, lässt sich auch im Geschichtsunterricht behandeln. Ebenso wie die Wildkräuter, von denen sich unsere Vorfahren ernährt haben. Für den Chemieunterricht kann man Färberpflanzen anbauen und dann Pflanzenfarben benutzen. Oder sie können die Brotgärung behandeln.

Im Fach Deutsch lässt sich der Schulgarten gut mit Märchen verknüpfen. Rapunzel beispielsweise ist ja nicht nur ein Märchen, sondern der darin vorkommende Feldsalat. Im Erdkundeunterricht können die wichtigen Ressourcen Boden und Wasser behandelt werden, die natürlich auch im Schulgarten wesentlich sind. Es gibt viele Facetten, die in den einzelnen Bundesländern entwickelt werden und die wir uns in der BAG Schulgarten gegenseitig vorstellen. Bei uns arbeiten auch Universitätsprofessoren mit, die sich in ihrer Lehre für Schulgärten engagieren.

Online-Redaktion: Wie nehmen Sie die aktuelle Entwicklung des Schulgartens in Deutschland wahr? Steigt die Zahl der Schulgärten?

Kuschnerow: Absolut. Das kann man wirklich bejahen. Wir beobachten das ja seit 2002. In Berlin hat zum Beispiel die Initiative „Grün macht Schule“ einen großen Anteil an dieser Entwicklung. Sie hilft, Böden zu entsiegeln und Schulgärten auch auf kleinen Flächen anzulegen. Der Stand in den Bundesländern ist aber noch sehr unterschiedlich. Da braucht es manchmal so einen Anstoß wie die Schulgartentage, die in einigen Ländern stattfinden. In Sachsen gibt es seit über 20 Jahren Schulgartenwettbewerbe.

In Thüringen ist der Schulgarten sogar weiterhin ein Unterrichtsfach in der Grundschule. In Brandenburg werden wir im September in Kooperation mit dem Pädagogischen Zentrum für Natur und Umwelt in Ströbitz den 1. Schulgartentag veranstalten, und wir hoffen, dass sich dann auch da was tun wird. Erfreulich ist auch, dass an den Universitäten wieder mehr Forschungsgärten entstehen, wie es sie in Karlsruhe und Heidelberg schon länger gibt. Die Professorinnen und Professoren für die Didaktik der Physik, Chemie, Mathematik oder Biologie legen mit ihren Studentinnen und Studenten wieder Schulgärten an. Ein gutes Beispiel ist die Technische Universität Braunschweig.

Online-Redaktion: Ist die Renaissance des Schulgartens hierzulande auch mit dem Ausbau der Ganztagsschulen verbunden?

Kuschnerow: Das ist sicherlich auch ein Grund. Ganztagsschulen verfügen oft über Küchen, in denen sich die Ernte verarbeiten lässt. Manche haben auch Schülerfirmen, die das Weiterverarbeitete dann verkaufen, zum Beispiel in Schülercafés. Und durch die zusätzliche Zeit, die für freie Tätigkeiten, Freizeit oder Arbeitsgemeinschaften genutzt wird, ist auch mehr Zeit für die Arbeit, das Lernen, für Bewegung, aber auch die Muße im Schulgarten vorhanden. Wir finden allerdings, dass durchaus noch mehr Ganztagsschulen die Schulgarten-Idee aufgreifen sollten.

Online-Redaktion: Sie haben von den Inhalten gesprochen. Lässt sich der Schulgarten nicht auch zur Rhythmisierung in einer Ganztagsschule nutzen?

Kuschnerow: Es gibt Untersuchungen aus England und von der Universität Rostock, die festgestellt haben, dass gerade das Hinausgehen in den Schulgarten mit der Mischung aus Beobachten und Tun entspannt. 15 Minuten im Schulgarten pro Tag sind für Schülerinnen und Schüler eine gute Möglichkeit, sozusagen wieder runterzukommen, wenn der Stress hoch ist. Es gibt frei nach dem Motto „Weg vom Ritalin, rein in den Schulgarten“ sogar Beispiele, dass Kinder nach Wochen, in denen sie täglich regelmäßig im Schulgarten waren, ganz viel ruhiger wurden.

Online-Redaktion: Schulgärten sind demnach auch international ein Thema?

Kuschnerow: Ich kann sagen, dass uns Australien zum Beispiel weit voraus ist. Da besitzt jede Schule einen eigenen Garten und eine eigene Küche, in der die Ernte auch verarbeitet wird. Das geschah aus der Einsicht, dass sich die Jugendlichen zu viel von Fast Food ernähren und kaum jemand noch wusste, wie man kocht.

In der Schweiz spricht man vom sogenannten NDH, dem Nature Deficit Syndrome. Viele Schülerinnen und Schüler wissen nicht, wo Lebensmittel herkommen, wie etwas wo wächst und geerntet wird. Auch die Schweizer denken daher um und forcieren die Schulgärten.

Online-Redaktion: Das heißt, der Schulgarten kann auch einiges für die Ernährungsbildung leisten.

Kuschnerow: Neben der Verarbeitung von frischem Obst, Gemüse und Getreide können die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel Wildkräuter kennenlernen, von denen man die meisten essen kann, was die Wenigsten wissen. Da gibt es tolle Rezepte. Das angelieferte Mensaessen kann durch Wildkräuter auch aufgepeppt werden und stellt so den Bezug zum Schulgarten her.

Und das Wichtigste: Wir können die Kinder auch dafür sensibilisieren, dass man im Winter nicht unbedingt gezwungen ist, Obst und Gemüse, das erst um die halbe Welt geflogen werden muss, zu kaufen, sondern dass sie regionale Produkte besser wahrnehmen.

 

Zur Person:

Auguste Kuschnerow war viele Jahre stellvertretende Vorsitzende der BundesArbeitsGemeinschaft (BAG) Schulgarten e.V. sowie Vorstandvorsitzende des Kulturnetzwerk Neukölln in Berlin. Sie arbeitete seit 1980 in Berlin-Neukölln als Lehrerin und leitete ab 1995 die August-Heyn-Gartenarbeitsschule.
2002 gründeten Mitglieder der Deutschen Gartenbaugesellschaft die Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten; seit 2013 ist die BAG Schulgarten ein eingetragener Verein.

 


Literaturempfehlungen:

Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Saarland (2013). Nachhaltige Projekte. Schulgelände und Schulgarten als Bindeglied zwischen Vor- und Nachmittag an saarländischen Ganztagsschulen. Eine handlungsorientierte Dokumentation von Projekten und Veranstaltungen.

K. Klingenberg & E.-K. Rauhaus (2005). Schulgartenunterricht in Lehrer- und Schülerurteil: Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zu Interessen, Zielen, Kompetenzerwerb und transferiertem Wissen. Braunschweig: TU. (Aufruf 01.06.2015)

F.-J. Scharfenberg & J. Guder (2013). Schulgärten an bayerischen Gymnasien: eine Bestandsaufnahme zur unterrichtlichen Einbindung, zu Nutzungsformen und zu Zielvorstellungen. München: ISB. (PDF, 512kB, nicht barrierefrei)

Weitere Literatur unter BAG Schulgarten

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1 F. Walder (2002). Der Schulgarten in seiner Bedeutung für Unterricht und Erziehung. Deutsche Schulgartenbestrebungen vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 307.

2 Schulgarten – Gartenschule (1930). Sonderheft der Zeitschrift Die Arbeitsschule. Monatszeitschrift des Deutschen Vereins für werktätige Erziehung, 44 (7/8). Online verfügbar in der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (Aufruf: 01.06.2015).

Walder (2002), S. 23.

 

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