Berufsbegleitend qualifiziert und zertifiziert für den Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Dr. Volker Titel ist Wissenschaftlicher Leiter der Akademie für Ganztagsschulpädagogik. Über deren Engagement in der berufsbegleitenden Weiterbildung, wie jetzt in Schleswig-Holstein und in Sachsen, spricht er im Interview.
Online-Redaktion: Herr Dr. Titel, die Akademie für Ganztagsschulpädagogik ist bisher vorwiegend in Bayern tätig gewesen. Wieso haben Sie sich entschieden, nun auch bundesweit Fortbildungen anzubieten?
Volker Titel: Tatsächlich hatten wir unsere Fortbildungen für Fachpädagoginnen und Fachpädagogen für Ganztagsschulen 2014 zunächst mal für Bayern, eigentlich sogar nur für den Raum Franken konzipiert. Nach dem Pilotlehrgang haben wir die Fortbildung geöffnet, und von Beginn an kamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch aus anderen Bundesländern – im ersten Durchgang, dies ist bis heute „Entfernungsrekord“, sogar aus Ostfriesland. Von Lehrgang zu Lehrgang hat sich der Anteil von Nicht-Bayern halbjährlich erhöht, und so kamen wir ins Nachdenken, ob es Sinn macht, auch einen Standort in einer ganz anderen Region zu etablieren.
Online-Redaktion: Wie erklären Sie sich diese bundesweite Ausstrahlung?
Titel: Wir haben die Teilnehmenden natürlich gefragt. Es liegt einerseits an der Größe des Lehrgangs mit seinen 500 Stunden Umfang und den vielen Modulen, den es so nirgendwo sonst gibt. Es gibt einige Bundesländer, in denen gute Qualifizierungsreihen laufen, aber nicht in diesem Umfang. Entscheidend ist andererseits auch, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ende den offiziellen Titel als „Fachpädagogin / Fachpädagoge für Ganztagsschulen“ führen können. Da geht es durchaus ums Selbstwertgefühl, und wir hören auch immer wieder, dass es für ihr Standing in den Ganztagsschulen besser ist, wenn sie etwas vorweisen können und nicht einfach weiter unter „sonstiges Personal“ laufen, als eine „Betreuungskraft“, die mal zwei Stunden mit den Kindern spielt.
Online-Redaktion: Wie kam der Kontakt nach Schleswig-Holstein zustande?
Titel: Die norddeutschen Bundesländer waren immer wieder stark bei unserer Fortbildungen vertreten. Auch zwei Teilnehmerinnen aus Elmshorn hatten unseren Lehrgang absolviert. Und bei einer feierlichen Zertifikatsverleihung vor zwei Jahren bei uns in Gräfenberg sind wir mit Martin Theen-Rathjen von der Stiftung Lebenshilfe, Träger von Ganztagsangeboten in Schleswig-Holstein, ins Gespräch gekommen. Ihm ist es maßgeblich zu verdanken, dass wir nun eine Fortbildung auch in Elmshorn durchführen können.
Es gab dann Verhandlungen mit der Stadt und mit der Stiftung Lebenshilfe, die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen konnte, mit dem Ganztagsschulverband und mit der Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein, einer gemeinnützigen GmbH der dortigen Industrie- und Handelskammer, die wir als Zertifizierungspartner angefragt haben. Unsere Zertifikate sind zwar deutschlandweit gültig, aber wir wollten den Norddeutschen nicht zumuten, für ihre Prüfungen nach Bayreuth kommen zu müssen – also haben wir die örtliche Industrie- und Handelskammer als Partner gewonnen. Insgesamt ist es sehr schöne Sache, dass die Fortbildung in Schleswig-Holstein in Kooperation von vielen engagierten Partnern angeboten wird.
Die Fortbildung zur Fachpädagogin und zum Fachpädagogen am Standort Elmshorn richtet sich nicht nur an Personal in Schleswig-Holstein, sondern an den ganzen norddeutschen Raum. Die Administration läuft weitgehend über uns, und auch unser eCampus besteht weiterhin in Kooperation mit der Universität Erlangen. Für die Selbstlernphasen und die Kurse vor Ort haben wir Dozentinnen und Dozenten in Schleswig-Holstein gefunden, Personen, die eine fachliche Expertise – zum Beispiel in der Gesundheitsförderung oder in der Medienpädagogik – besitzen, aber auch eine Schulaffinität aufweisen und bereit sind, sich auf unsere Inhalte einzulassen.
Online-Redaktion: Lässt sich der Lehrgang so einfach übertragen?
Titel: Der Föderalismus schlägt auch im Ganztagsbereich durch. Das fängt ja damit an, dass der Ganztag überall anders heißt. Wenn ich den Bayern von Profil 1 bis 3 erzähle, dann gucken die mich groß an – während diese Bezeichnungen der Ganztagsorganisation nebenan in Hessen selbstverständlich sind. Bei einigen unserer Module sind diese Unterschiede schon eine Herausforderung. Bei Modulen wie Medienerziehung und Entwicklungspsychologie ist es egal, aber bei den unterschiedlichen Schulsystemen müssen wir auf die Zusammensetzung der Teilnehmerschaft achten. Wir haben daher jetzt kleine Zusatzhefte mit Informationen zu den einzelnen Bundesländern aufgelegt. Und in Elmshorn unterstützt uns die Serviceagentur Ganztag Schleswig-Holstein, um auf länderspezifische Aspekte eingehen zu können.
Online-Redaktion: Am Konzept haben Sie also nichts verändert?
Titel: Nein, das Konzept ist genau das gleiche. Zum einen hat es sich bewährt, zum anderen wurde ja genau dieses Konzept evaluiert und zugelassen: Sowohl für die IHK-Zertifizierung als auch für die AZAV-Förderung, mit der eine Übernahme der Lehrgangskosten möglich ist, müssen wir auf die Einhaltung der Qualitätskriterien achten.
Online-Redaktion: Wie läuft der erste Durchgang?
Titel: Ab Januar 2021 waren die Anmeldungen möglich. Wir haben uns gesagt, dass wir zur Not auch nur mit sechs Leuten starten – wir wollten einfach reinkommen, auch in Corona-Zeiten. Im Mai hat der Lehrgang begonnen, und auf Anhieb sind es jetzt 21 Teilnehmende geworden. Mehr dürften es auch gar nicht sein. Das hat uns dann doch überrascht. Die meisten Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmer kommen aus Schleswig-Holstein, Bremen und Niedersachsen. Wir haben mit einer Online-Zusammenkunft begonnen. Aktuell arbeiten die Teilnehmenden mit unseren Studienheften. Für Oktober steht die erste Präsenzwoche an.
Online-Redaktion: Wie stellen Sie sicher, dass die Qualität in der „Filiale“ so hoch bleibt wie in der „Zentrale“?
Titel: Die Qualitätssicherung ist natürlich ein wichtiger Aspekt, nicht nur für die Zertifizierung. Wir haben uns im Vorfeld eng mit unseren Partnern abgestimmt und tun das auch weiterhin. Bei den Präsenzwochen in Elmshorn werden auch Vertreter aus der Akademie dabei sein. So halten wir das seit zwei Jahren auch bei unserem zweiten Standort in oberbayerischen Traunstein. Wir merken aber, dass die Expertisen und das Engagement an den verschiedenen Standorten sehr hoch sind.
Online-Redaktion: In Sachsen bieten Sie seit Mai einen Zertifikatskurs für Kursleiter/innen im Ganztag an. Wie kam es dazu?
Titel: Durch Vermittlung des Sächsischen Landesverbandes im Ganztagsschulverband wurden wir auf das Start-up Kiwies aus Chemnitz aufmerksam, das Kursleitende und Coaches mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zusammenbringt, oft Studierende oder Senioren, die in Ganztagsangeboten tätig werden können. Es arbeitet deutschlandweit und hat schon einen Pool von über 1.200 Menschen.
Mit Kiwies haben wir eine Basisfortbildung entwickelt, die genau für diese Zielgruppe der externen Kursleiterinnen und Kursleiter konzipiert ist. Sie ist deutlich niederschwelliger als diejenige für die Fachpädagogen, vermittelt aber wichtige Grundlagen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen an Schulen. Die Fortbildung besteht aus drei halben Online-Tagen mit verschiedenen Modulen. Auch hier bekommen die Teilnehmenden Lehrmaterial in die Hand, mit dem sie arbeiten. Am Ende erfolgt eine Prüfung. Den Pilotlehrgang haben zwölf Teilnehmehmende absolviert, die meisten aus Sachsen, aber auch aus Berlin und Bayern. Die nächsten beiden Kurse werden Ende August und Anfang September starten.
Insgesamt sehen wir auch diesen Lehrgang als einen Baustein für die Qualitätssicherung von Ganztagsangeboten. Dies ist für uns, wie eben auch für den Sächsischen Landesverband im Ganztagsschulverband und seines Co-Vorsitzenden Christoph Bülau, aktuell ein wichtiges Thema: Wie bekommen wir es hin, dass Kursleiterinnen und Kursleiter im Ganztag nicht bloß ein polizeiliches Führungszeugnis mitbringen, sondern auch eine Vorstellung haben, welche Chancen und Herausforderungen eine Schule mit Ganztagsangebot bietet?
Online-Redaktion: Welches erste Zwischenfazit können Sie hier ziehen?
Titel: Die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind sehr gut. Zwei Hauptziele, die wir bezweckt haben, sind erfüllt worden. Zum einen haben uns die Teilnehmenden zurückgemeldet, dass sie neue Informationen über den Ganztag erhalten haben, und zum anderen, dass sie Antworten auf ganz praktische Fragen bekommen haben. So eine Frage ist zum Beispiel immer wieder: Was mache ich, wenn in einer Gruppe Kinder immer querschießen? Ich gebe zu, dass ich zunächst skeptisch war, ob man in einem so begrenzten Zeitvolumen etwas erreichen kann. Aber ich bin eines Besseren belehrt worden. Manche wollen sogar weitermachen und den „Fachpädagogen“ angehen. Das freut uns natürlich besonders.
Ich bin auch deshalb zuversichtlich, weil ich das Potenzial sehe. In der Kiwies-Datenbank mit den über 1.200 Personen für Ganztagsschulen können sich Schulen registrieren und ganz gezielt nach qualifizierten Personen schauen, beispielsweise, wenn sie eine Kursleiterin oder einen Kursleiter für Englisch oder für ein Medienprojekt suchen. Demnächst wird dort auch unser Zertifikat der Kursleiterfortbildung mit angezeigt. Wir hoffen auf eine Eigendynamik in dem Sinne, dass Schulen verstärkt Kursleitende an sich binden, welche die Fortbildung absolviert haben. Letztlich ergeben sich hier auch Möglichkeiten für andere Vernetzungsportale, so zum Beispiel für die erst kürzlich etablierte Plattform „Chance Ganztag“ in Bayern.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
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