Beratungsforum „Kooperation und multiprofessionelle Zusammenarbeit“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Zu einem Kernthema der Qualität von Ganztagsschulen lud das bundesweite Programm „Ganztägig bilden“ nach Berlin ein. Es ging um Kooperation auf allen Ebenen der Bildungslandschaft.
Gleich zum Auftakt bringt Michael Rißmann, Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, den Schlüsselsatz, der auch als Überschrift der Veranstaltung hätte dienen können: „Austausch ist wichtiger denn je!“ Denn um „Kooperation und multiprofessionelle Zusammenarbeit“ auf allen Ebenen einer Bildungslandschaft ging es beim diesjährigen Beratungsforum der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und der Stiftung Mercator im länderübergreifenden Programms „Ganztägig bilden“.
Zusammenarbeit auf allen Ebenen meint: die Kooperation innerhalb der Kommunen, zwischen Ganztagsschulen und Schulsozialarbeit, mit außerschulischen Partnern, darunter der Jugendhilfe, Kooperation innerhalb der Schule in der Schulleitung, im Kollegium bis ins Klassenzimmer, zwischen Lehrkräften und mit anderen pädagogischen Fachkräften. Zusammenarbeit bezog sich nicht zuletzt auf die 15 Länder, die sich am Programm „Ganztägig bilden“ beteiligen.
„Austausch ist wichtiger denn je!“ ließ sich aber auch auf das Beratungsforum selbst anwenden. Den ganzen Tag über traten an diesem 21. Mai 2019 im Tagungswerk in der Jerusalemkirche in Berlin rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland in Podiumsdiskussionen und Workshops, aber auch mit kurzen Vorträgen in den Austausch über die Rahmenbedingungen von Kooperation und multiprofessionelle Teams in und außerhalb von Ganztagsschulen. Schülerinnen und Schüler des SV Bildungswerks diskutierten parallel über Kooperation aus Sicht der Jugendlichen.
Kooperation vor Ort: „Auf gutem Weg“
„Wir sind beim Ganztagsschulausbau in den letzten 15 Jahren erstaunlich weit gekommen“, stellte Michael Rißmann fest. Und auch in Sachen Kooperation habe es erhebliche Fortschritte gegeben: „Wir sind im Zeitalter Kooperation 2.0 angekommen. Während die Diskussion früher stark politisch geprägt wurde mit der Frage von Zuständigkeiten, sind die rechtlichen Fragen und die der Ressourcen inzwischen geklärt. Heute geht es konkret um die Kooperationen vor Ort in der Schule.“ Für die bayerischen Kommunen, in denen die Referate Schule und Jugend bereits zusammenarbeiten – oder sogar wie in München integriert worden sind –, bilanzierte er: „Wir sind auf einem guten Weg.“
Was für München gilt, konstatierte Monika Ripperger auch für Frankfurt am Main. Die Leiterin der Stabstelle Pädagogische Grundsatzplanung im Stadtschulamt meinte in der Podiumsdiskussion: „Die Kooperation auf Ämterebene gehört dazu. Je besser sie gelingt, desto besser gelingen auch Kooperationen vor Ort.“ Sie berichtete vom „Gesamtkonzept Ganztag“, das notwendig sei, „um den bunten Strauß an Angeboten, der sich über die Jahre entwickelt hat und der Eltern die Übersicht erschwert, zu einem konsistenten Angebot für alle Schülerinnen und Schüler zu machen.“ Auch der Schulbau müsse der Multiprofessionalität gerecht werden: Eine Erhebung hat in Frankfurt gezeigt, dass – von Schulstandort zu Schulstandort verschieden – neben den Lehrkräften rund 25 Prozent völlig unterschiedlich zusammengesetztes pädagogisches Personal arbeitet.
„Wenn man will, dann haut es hin“, befand Renate Holub-Gögelein vom Amt für Schule und Bildung im Dezernat für Umwelt, Jugend, Schule und Bildung der Stadt Freiburg im Breisgau, die aber auch zu bedenken gab, „dass es bei Kooperationen als erstes menschelt“. 2008 hat die Stadt erstmals die Eltern nach dem Betreuungsbedarf gefragt, den 68 Prozent bejahten. Heute liege diese Zahl bei 85 Prozent der Eltern. Für die stellvertretende Amtsleiterin geht es „um den kreativen Umgang mit der Kindheit“, nicht einfach um formales Lernen über den ganzen Tag. „Wir haben im Dezernat den Bildungsbegriff diskutiert. Unsere Vision ist die gebundene Ganztagsschule.“
Für die 30 Freiburger Grundschulen finanziert die Stadt den Einsatz von Erzieherinnen und Erziehern über den ganzen Tag. Eingeschlossen sind auch Planungszeiten für Schulleitungen und Betreuungsleitungen. Um Ganztagsschule zu entwickeln, brauchten die Leitungen entsprechende verfügbare Zeit, stellte Renate Holub-Gögelein klar. Ebenso wird der regelmäßige Austausch zwischen der Schule und den Ganztagsfachkräften sowie zwischen Schulen, Betreuungsleitungen und dem Amt für Schule und Bildung angerechnet. Die Koordination dieser Treffen liege bei der Betreuungsleitung, beim Amt für Schule und Bildung und bei der dortigen Koordinierungsstelle für den Ganztag, die vom Land im Rahmen eines Modellprojekts finanziert wird. Beispiele für solche Koordinierungsstellen sind Michelfeld oder Crailsheim im Landkreis Schwäbisch-Hall.
„Alle Professionen tragen die Verantwortung“
Iris Samajdar, Schulleiterin der Wittelsbacher-Grundschule in Augsburg, berichtete für die Schulebene: „Wie Schulleitung und die Leitung der offenen Ganztagsschule zusammenarbeiten, strahlt enorm in die Schulgemeinschaft aus. Da haben wir eine Vorbildwirkung. Wichtig ist es, eine gemeinsame pädagogische Haltung zu entwickeln, bei der das Kind, die Eltern und die Familien im Mittelpunkt stehen.“ Ein Drittel ihrer Arbeitszeit umfasse Fragen der Kooperation. Leider müssten viele Absprachen immer noch zwischen Tür und Angel stattfinden.
„Teamarbeit muss von der Schulleitung vorgelebt werden“, meint Martin Roth. Roth war bis vor Kurzem als Schulleiter am Gymnasium Hennef, einem gebundenen Ganztagsgymnasium im Rhein-Sieg-Kreis tätig, bevor er in das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg wechselte. 1.200 Schülerinnen und Schüler besuchen das Ganztagsgymnasium, und rund 100 Lehrerinnen und Lehrer arbeiten hier. „Die erweiterte Schulleitung besteht aus acht Personen, zu ihr gehört auch die Ganztagsschulkoordinatorin“, so Roth im Workshop.
„Vernetzte Teamarbeit braucht Zeit und Räume. Die Schulleitung trifft sich jede Woche für zwei Stunden. Und wöchentlich trifft sich auch das Ganztagsteam mit Kooperationspartnern und Ehrenamtlichen aus dem AG-Bereich.“ Ganztagskoordinatorin Sarah Emons brachte die Sichtweise der Verantwortlichen auf den Punkt: „Alle Professionen tragen die Verantwortung für alle, aber nicht alle sind für alles verantwortlich.“
Immer voneinander lernen
An der Paul-Schneider-Realschule plus Sohren-Büchenbeuren im Rhein-Hunsrück-Kreis ist der Internationale Bund seit 2001 mit einem Büro an der Ganztagsschule mit ihren rund 350 Schülerinnen und Schülern vertreten. Andrea Espenschied, Jan Herzog und Axel Menzer bringen vielfältige Angebote der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit ein. Die Zeiten, in denen die Schulsozialarbeit als reine „Feuerwehr“ in Konfliktfällen „hinzugerufen“ wurde, sind lange vorbei. Das Trio ist längst anerkannter und gleichberechtigter Teil der Schulgemeinschaft. „Es ist eine tolle Zusammenarbeit“, so Jan Herzog.
„Wir sind eine Teamschule, horizontal wie vertikal“, erzählte Schulleiter Steffen Möller im Workshop. „Die Jahrgangsteams aus Lehrkräften, Sozialpädagogen und Schulsozialarbeitern, die ihre Klassen über Jahre begleiten, sind bei uns für die Kooperation, für die Rhythmisierung und für das fächerübergreifende Lernen in ihrem Jahrgangs selbst zuständig. Es geht darum, gemeinsame Lösungsansätze für die Schülerinnen und Schüler zu finden. Das ist mehr Arbeit und braucht Absprachen, aber gleichzeitig bringt es Erleichterung. Auf einmal ist Unterrichtsentwicklung ein Thema im Lehrerzimmer.“
Jan Herzog stimmte dem zu: „Die Zeiten, in denen man ein Problem mit sich selbst ausmachte, in sich reinfraß und mit nach Hause nahm, sind vorbei. Jetzt kommt alles im Team auf den Tisch. Das Schöne ist, dass man gemeinsam immer etwas voneinander lernen kann.“
Über das eigene Berufsverständnis nachdenken
Was „an der Basis“ als positiv in der Teamarbeit erfahren wird, konnte Prof. Anne Sliwka von der Universität Heidelberg in ihrem Vortrag „Wege zur Chancengleichheit: Maßnahmen und Praxisbeispiele aus internationalen Schulsystemen“ untermauern. Beispielsweise stützen sich in der kanadischen Provinz Alberta die Schulen auf das kommunale Bildungsmonitoring . Zeigen sich Defizite bei den Schülerleistungen, könnten die multiprofessionellen Teams der Schulen sofort umsteuern und die Schülerinnen und Schüler stärker unterstützen. Die Überschrift laute dort: „Scheitern ist keine Option.“
Prof. Till-Sebastian Idel, Professor für Schultheorie und Schulforschung an der Universität Bremen, kommentierte das Beispiel: In Kanada sei das „evidenzbasierte Arbeiten“, also Schulentwicklung auf der Grundlage von Daten und Schulinspektionsberichten, eine kulturelle Selbstverständlichkeit. „Hier in Deutschland wird das dagegen noch eher als Kontrolle wahrgenommen.“ Idel stellte schließlich sein gemeinsam mit dem Landesinstitut für Schule konzipiertes Modellprojekt „Förderung zur Interprofessionalität in einem integrierten Ausbildungsformat“ vor.
Was kompliziert klingt, bedeutet einfach, dass bereits die Ausbildung in gemischten Ausbildungsgruppen stattfindet. Fachschülerinnen und Fachschüler der beruflichen Zentren für Sozialpädagogik, Studierende der Sozialen Arbeit der Hochschule Bremen und Lehramtsstudierende können bereits in der regulären Ausbildung ein professionsübergreifendes Wahlpflichtangebot nutzen. Und: Sie erhalten schon während ihrer Ausbildung Einblicke in die Ganztagsschule. Es geht darum, „auch über das eigene Berufsverständnis nachzudenken“, so Idel.
Der Impuls für diese Ausbildungsreihe ging 2012 von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Bremen aus, die bis heute eine wertvolle Schnittstelle ist, wie Idel betonte. Die Serviceagenturen „Ganztägig lernen“ der Länder waren denn auch ebenso wie Vertreterinnen und Vertreter der Kultusministerien und der Landesinstitute beim Beratungsforum zahlreich vertreten. Sie können die Impulse und Ideen nun weitergeben.
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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