AWO Niederbayern: Werkzeugkoffer für den Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Der AWO-Bezirksverband Niederbayern/Oberpfalz engagiert sich schon lange in der Fortbildung von Fachkräften für den Ganztag. Bildungsreferentin Diana Friedrich spricht im Interview über ein Kompaktseminar mit Werkzeugkoffer.
Online-Redaktion: Die Arbeiterwohlfahrt Niederbayern/Oberpfalz hat seit 2003 in immer mehr bayerischen Schulen die Trägerschaft für den Ganztag übernommen. Was möchten Sie mit der Fortbildungsreihe „Werkzeugkoffer zum Einstieg in den Ganztag“ bewirken?
Diana Friedrich: Im Austausch mit unserem Fachberatungsteam haben wir festgestellt, dass unseren im Ganztag der Schulen Tätigen mitunter fachliche Grundlagen fehlen. Daraus resultiert eine Unsicherheit im Umgang mit rechtlichen Dingen, aber auch in der täglichen Arbeit. Das umfangreiche Arbeitsfeld stellt gerade Neueinsteiger vor die Herausforderung, auf viele Anforderungen reagieren zu müssen. Sie fragen sich unter anderem, was sie beachten müssen, was erlaubt ist und was sich in der Praxis bewährt hat.
Online-Redaktion: Betrachten Sie das als Folge einer „unzureichenden“ Ausbildung?
Friedrich: Nein, da würde ich nicht ansetzen. Das Problem ist eher der Fachkräftemangel. Wir sind unglaublich dankbar über die zahlreichen Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. Doch viele von ihnen beginnen ihre Tätigkeit mit zu wenig pädagogischem Grundwissen. Unser Werkzeugkoffer soll dazu beitragen, sich in das System Ganztag hineinzufinden, Stolperfallen zu erkennen und zu vermeiden.
Online-Redaktion: Das heißt, Ihr Angebot richtet sich in erster Linie an diese Personengruppe?
Friedrich: Die Gruppe der Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger möchten wir natürlich ansprechen. Aber bei unserer Premiere dieses Kompakt-Workshops mit insgesamt drei Stunden Fortbildung war die Zahl derjenigen, die bereits kurz, zum Teil aber auch schon recht lange im Ganztag arbeiten, besonders groß. Viele der 50 Teilnehmenden nutzten unsere Module zur Auffrischung ihres Wissens.
Online-Redaktion: War es angesichts der doch sehr hohen Zahl der Interessierten ein Vorteil, dass die Veranstaltung online stattfinden musste?
Friedrich: Online können wir mehr Personen zulassen als in einer Präsenzveranstaltung, wo allein schon die Räumlichkeiten eine natürliche Begrenzung darstellen. Interessant war die Mischung der Teilnehmenden. Unser Einzugsgebiet Niederbayern und Oberpfalz ist ja recht groß. Da kamen früher häufig nur Leute zu unseren Veranstaltungen, die keine weiten Wege zurücklegen mussten.
Insgesamt steigt durch die größere Beteiligung auch der Erfahrungshorizont. Man gewinnt viel mehr Eindrücke aus dem Alltag. Es hat mich überrascht und gefreut, wie intensiv der Austausch unter den Teilnehmenden war. So nahmen auch diejenigen wichtige Erkenntnisse und durchaus auch Tipps mit, die zu den eher Schweigsamen zählen. Dabei spürten und erfuhren alle immer wieder, dass sie mit den Problemen, die sie beschäftigen, nicht alleine dastehen. Es ist gut, das zu wissen.
Online-Redaktion: Wer hat die Fortbildung inhaltlich entwickelt?
Friedrich: Grundlage war zum einen ein Rahmenplan, den das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vor einigen Jahren für solche Fortbildungen entwickelt hat. Zum anderen haben wir auf die „Qualifizierung zum OGTS-Koordinator“ zurückgegriffen, die das Bildungs- und Servicezentrum für Europa ebiz durchführt und an der wir beteiligt sind. Man könnte den Werkzeugkoffer als Kompaktseminar dieser Qualifizierung bezeichnen.
Online-Redaktion: Warum steht das Thema „Arbeiten in multiprofessionellen Teams“ nicht auf der Agenda?
Friedrich: Wir glauben, dass dies eine Frage der Klärung vor Ort ist. Und dort unterscheiden sich die Rahmenbedingungen oft ganz erheblich. Dennoch wurde das Thema ebenso wie das der eigenen Persönlichkeit, des eigenen Auftretens gegenüber der Schule, aber auch den gegenüber Eltern oder Schülerinnen und Schülern in der Diskussion immer wieder aufgegriffen. Das hat viele zum Nachdenken gebracht.
Online-Redaktion: Die Begleitung und Betreuung der Hausaufgaben ist mitunter eine Herausforderung für Erzieherinnen und Erzieher. Sie sind ja keine Lehrkräfte…
Friedrich: Die Hausaufgabenzeit und der Umgang damit nehmen deshalb auch in unserer Fortbildung einen wichtigen Raum ein. Wir werden dabei sehr konkret und erarbeiten mit den Teilnehmenden wichtige Punkte, die sie bei der Hausaufgabenbetreuung beachten sollten.
Online-Redaktion: Das heißt?
Friedrich: Wir rücken noch einmal ins Bewusstsein, dass die Leistungsfähigkeit direkt nach den Mahlzeiten am geringsten ist und dass die Schülerinnen und Schüler langsam auf das Lernen eingestimmt werden sollten. Nach 10 bis 15 Minuten ist die Leistungsfähigkeit am höchsten, nach circa einer halben Stunde sinkt sie wieder. Wir empfehlen zudem, mit leichten und interessanten Aufgaben zu starten und die schwierigsten Aufgaben erst nach der Aufwärmphase anzugehen. Wir sind uns bewusst, dass es da noch viele andere Aspekte zu berücksichtigen gibt, wie etwa ein Rückmeldesystem, also ein Feedback der Schülerinnen und Schüler an die Lehrkräfte darüber, ob die Menge der Hausaufgaben passte oder ob manche mit ihnen zeitlich überfordert waren.
Online-Redaktion: Über den Sinn von Hausaufgaben wird kontrovers diskutiert. Viele Kinder und Jugendliche möchten nicht, dass der Nachmittag eine Verlängerung des Vormittags darstellt. Andere sind froh, wenn sie die Hausaufgaben im Ganztag erledigen können. Was raten Sie?
Friedrich: Hausaufgaben mit Begleitung erledigen zu können, stellt eine häufig willkommene Möglichkeit dar. Aber wir vermitteln auch immer unsere Haltung, dass Freizeit eben auch freie Zeit bedeutet. Die Schülerinnen und Schüler sollen an verschiedenen, spannenden Freizeitaktivitäten teilnehmen, sollen zwischen flexiblen und fixen Angeboten wählen können. Sie sollen Rückzugs- und Bewegungsmöglichkeiten erhalten, die ihre Neigungen berücksichtigen. Wir plädieren dafür, dass sie frühzeitig an der Gestaltung ihres Ganztags beteiligt werden. Und wir machen immer deutlich, dass ein qualitativ guter Ganztag abhängig ist von Zeit, Raum, Material und Personal.
Online-Redaktion: Sie sprachen bereits das Thema Unsicherheit an. Bieten Sie Ihren Teilnehmenden etwas an, mit dem sie ihr eigenes Handeln überprüfen können?
Friedrich: In der Tat. Wir haben basierend auf dem Praxisbuch „Unterrichtsstörungen souverän meistern“ und den Erfahrungen unseres Beraterteams eine Checkliste zur Selbstreflexion entwickelt. Darin geht es dann um den erwähnten Umgang mit Störungen beim Essen, im Stuhlkreis und bei den Hausaufgaben, wozu Sitzordnung, Blickkontakt, eigene Präsenz, die Gesamtgruppe im Blick haben gehören, aber auch konkrete andere Überlegungen. Beispielsweise, ob es gelingt, häufig genug zu loben und die Kinder zu aktivieren, sich selbst an die aufgestellten Regeln zu halten oder die eigene Verlässlichkeit zu hinterfragen. Wir wissen, dass solche Checklisten sehr hilfreich sind und von den im Ganztag Tätigkeiten schnell verinnerlicht und genutzt werden.
Online-Redaktion: Was darf ich ansonsten von Ihrem Werkzeugkoffer erwarten?
Friedrich: Meine Kolleginnen Elena Zimmerer und Theresa Fritsch haben einen umfangreichen Katalog zu organisatorischen und rechtlichen Fragen zusammengestellt. Er beantwortet Fragen zur Dokumentation, zu den unterschiedlichsten Anträgen und den entsprechenden Formularen für die Einrichtung von Ganztagsangeboten und enthält gebündelte Informationen zum Bildungs- und Teilhabepaket, zu Datenschutz, Unfallverhütung und Hygiene bis hin zur Aufsichtspflicht und Auszügen aus den Schulgesetzen. Und schließlich bündeln wir Tipps zum „Lernen lernen“.
Unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden dafür sensibilisiert, wie Lernerfolg positiv beeinflusst werden kann. Dazu liefern wir einige ganz konkrete Ideen wie zum Beispiel Spiele. Und wir erinnern daran, dass die Betreuungspersonen in allen Bereichen eine Vorbildfunktion haben. Schließlich vermitteln wir, dass eine Betreuungsperson im Ganztag auch Erfolg haben wird, wenn sie mit einer guten Portion Humor bei der Sache ist.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview.
Kategorien: Kooperationen - Lokale Bildungslandschaften
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