Auf Partnersuche für den Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
In den regionalen Kooperationswerkstätten der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Sachsen-Anhalt lernen sich Ganztagsschulen und Partner manchmal erst kennen.
Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg zum Propheten kommen: zum Beispiel nach Schönebeck/Elbe im Salzlandkreis oder nach Röblingen im Kreis Mansfeld-Südharz. Als die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr den Eindruck gewann, dass zentrale Fortbildungsveranstaltungen in der Landeshauptstadt Magdeburg nicht ausreichen, änderte das Team um Leiterin Sylvia Ruge ihr Konzept: Im April, Mai und Juni 2016 wurden regionale Kooperationswerkstätten ins Leben gerufen, um Ganztagsschulen vor Ort mit möglichen Kooperationspartnern in Kontakt zu bringen.
„In Sachsen-Anhalt besteht inzwischen ein großer Bedarf, Ganztagsschulen mit Kooperationspartnern zu vernetzen. Die vielfältigen Partner sollen die Schulen mitgestalten können“, erklärt Sylvia Ruge. Viele Jahre gestalteten Ganztagsschulen ihr Angebot mit Lehrerstunden und nur zu einem kleinen Anteil mit externen Partnern. Diese Konstellation brachte durchaus Vorteile: „Lehrkräfte haben erzählt, dass sie so viel mehr über die Schülerinnen und Schüler und ihre Familien erfahren haben, was sich positiv auf den Unterricht ausgewirkt hat“, so Sylvia Ruge.
Chancen für Schulen und Kooperationspartner
„Aber Kooperationen sind auch eine große Chance für die Ganztagsschulen. Verschiedene Professionen bringen ihre Sichtweisen in die Schule ein und beleben den Lernort Schule. Für die Kinder und Jugendlichen birgt es die Möglichkeit, einmal ganz anders auf sich zu schauen: Was kann ich? Welche Talente habe ich? Wo brauche ich noch Unterstützung, um meinen individuellen Weg zu finden?“
Das Land statte die Ganztagsschulen finanziell gut aus, um geeignete Kooperationspartner zu vergüten, sagt Sylvia Ruge. Das Öffnen der Türen für Partner bedeute allerdings auch einen kulturellen Umbruch, Offenheit für Dritte. Nicht alle Schulen tun sich damit schon leicht. Mancherorts gibt es sogar Vorbehalte gegenüber Externen, wenn diese nicht mehr nur eine Arbeitsgemeinschaft anbieten, sondern sich aktiv in die Gestaltung des Ganztages einbringen möchten.
Die Kooperationswerkstätten sollten für Ganztagsschulen die Chancen von Kooperation darstellen und Lust darauf machen. Und die externen Partner hatten Gelegenheit, sich vorzustellen. Die Serviceagentur hat gemeinsam mit verschiedenen außerschulischen Partnern inhaltlich und finanziell vorabgestimmte Angebote entwickelt, die es den beiden Seiten erleichtern sollen, zu einem bestimmten Thema zusammenzuarbeiten. Schulen haben dadurch weniger Abstimmungsaufwand und können die Angebote dennoch vereinfacht an die individuelle Situation der Schule als auch der Schülerinnen und Schüler anpassen.
„Demokratie leben“ und MINT als Themen der Kooperation
Ein Beispiel ist das abgestimmte Angebot „Demokratie leben“. Mit diesem Angebot zur politischen Bildung soll das im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung geforderte Verständnis demokratischer Willensbildung durch Erproben und Handeln an Schule gestärkt werden.
Ein anderes vorab abgestimmtes Angebot ist die „Juleica“, die Jugendleiterausbildung an der Schule, die Jugendliche für ihr ehrenamtliches Engagement qualifiziert. Schülerinnen und Schüler setzen sich hier mit rechtlichen Themen zur Aufsichtspflicht und zum Jugendschutz auseinander, sie lernen, wie man eine Gruppe anleitet, trainieren spielpädagogische und andere Methoden und wissen, wie man Freizeit- und Bildungsangebote konzipiert, finanziert, organisiert und eigenverantwortlich durchführt. Ein drittes abrufbares Angebot kommt aus dem Bereich der Spielpädagogik. Mit „Jugger“ wird durch die Serviceagentur auf den schulischen Bedarf nach attraktiven Ganztagsangeboten auch für Jungen und ältere Schülerinnen und Schüler reagiert. Zudem sollen sind aktuell Angebote durch das Deutsche Rote Kreuz, ein zirkuspädagogisches Angebot und ein erlebnispädagogisches Angebot in Vorbereitung. Alle diese vorab abgestimmten und dennoch individualisierbaren Angebote können mit dem Unterricht verknüpft werden.
Ein weiteres Angebotzu MINT-Themen wird mit Blick auf den „sehr hohen Bedarf von Schulseite“ aktuell erarbeitet. Für diese Themen will die Serviceagentur beispielsweise die Fachhochschule Merseburg an Bord holen.
Zunächst erprobt die Serviceagentur die Übertragbarkeit der abgestimmten Angebote „Demokratie leben“, „Juleica“ und „Jugger“ im kommenden Schuljahr an Beispielschulen: an zwei Sekundarschulen im ländlichen und städtischen Raum und an einem Gymnasium. Gerade Schulen im ländlichen Raum sind teilweise vor große Herausforderungen gestellt, passende Kooperationspartner in der Region zu finden. Hier möchte die Serviceagentur unterstützen. Die vorabgestimmten Angebote außerschulischer Partner sind über die Internetseite der Serviceagentur abrufbar.
Um Kooperationspartner in den Landkreisen zu finden, konnte die Serviceagentur auf das „Adressbuch“ des Programms „Schulerfolg gemeinsam sichern“ zurückgreifen. In diesem Programm, das das Land Sachsen-Anhalt gemeinsam mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung durchführt und das auch Träger der Serviceagentur ist, sind bereits 68 Träger der freien Jugendhilfe an Schulen vertreten.
„Die Schätze der Landkreise unter die Lupe nehmen“
Durchschnittlich 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter viele aus ländlichen Regionen, haben sich jeweils in den Kooperationswerkstätten über Möglichkeiten, externe Partner zu finden, ausgetauscht. Daniela Küllertz, Projektleiterin in der Serviceagentur, berichtet: „Es gibt nicht nur ein großes Interesse der Schulen, sondern auch von Seiten der Träger. Vor dem Hintergrund der Diskussion um fehlende Zeit für Jugendarbeit erkennen die Träger hier ihre Chance, junge Menschen für Jugendverbandsarbeit zu gewinnen oder mit ihren Bildungs- und Freizeitangeboten überhaupt zu erreichen. Das ist eine win-win-Situation.“
Partner aller Couleur waren in den Kooperationswerkstätten vertreten: Träger der Jugendhilfe und der Jugendverbände, die Schulaufsicht und kommunale Schulträger, aber auch Hochschulen, Künstler, die lokalen Sportvereine und Betriebe. „Es war viel Arbeit im Vorfeld, die Landkreise unter die Lupe zu nehmen, um alle potenziellen Kooperationspartner zu finden, und Schulleitungen zu befragen, welche Partner sie sich wünschten“, erzählt Projektleiterin Kerstin Kaluza-Riecke. „Wir haben uns verschiedener Kanäle wie Newsletter von Verbänden bedient, um zur Teilnahme an den Kooperationswerkstätten aufzurufen.“
Das gelang der Serviceagentur sehr gut, denn im Nachgang der Veranstaltungen gab es entsprechend positive Rückmeldungen von Schulleiterinnen und Schulleitern. Manche waren auf Kooperationspartner gestoßen, von denen sie bis dahin gar nicht gewusst hatten. Einen zusätzlichen Gewinn hatten die Veranstaltungen für die Kooperationspartner, die sich auch untereinander austauschen und manchmal sogar vernetzen konnten.
Im Landkreis Harz verabredeten sich beispielsweise ein Jugendhaus und Zirkuskünstler, demnächst gemeinsam einen außerschulischen Lernort anzubieten. Auch überregional wurde „abgeguckt“, wie zum Beispiel bei den „Wirtschaftssenioren e.V., Alt hilft Jung“, einem Kreis ehemaliger Führungskräfte und Unternehmer. In Mansfeld-Südharz bot eine Gaststätte an, Kochkurse zu veranstalten.
Finanzen und Rechtssicherheit
Schulen berichteten von guten Beispielen bestehender Kooperationen, „an die wir so gar nicht herangekommen wären, wie zum Beispiel eine Keyboard-Lehrerin“, erinnert sich Agenturmitarbeiterin Yvonne Bonfert. Sylvia Ruge ergänzt: „Wenn eine Ganztagsschule von ihren Partnern berichtet, kann das sogar für die Nachbarschule interessant sein, die dadurch manchmal erst erfährt, dass es diese Kooperationspartner in ihrem Landkreis gibt.“
Viele Kooperationspartner denken in Projektzeiträumen. In den Kooperationswerkstätten wurde deutlich, dass sich Ganztagsschulen demgegenüber wöchentliche Angebote wünschen. Hier hat die Serviceagentur eine wichtige Vermittlungsfunktion. „Unser Part besteht nach den Werkstätten nun auch darin, mit den Partnern zu schauen, wie sich wöchentliche Angebote stricken lassen“, sagt Kerstin Kaluza-Riecke.
Wichtig für alle Beteiligten waren besonders zwei Themen: die Finanzen und die „Erlasslage“, das heißt, die Rahmenbedingungen, die das Land Sachsen-Anhalt bietet. In allen drei Werkstätten informierte daher Heiko Hübner vom Bildungsministerium umfassend zu diesen Themen. Das sei „auf hohe Resonanz gestoßen“, bilanziert Sylvia Ruge, „denn Schulen und Partner brauchen auch Rechtssicherheit.“ Der Fragebedarf war so hoch, dass gerade zu diesem Thema weitere Veranstaltungen gewünscht wurden.
Die Schulen sind von den Kooperationswerkstätten sehr angetan. Ein Gymnasium meldete zurück, dass die Veranstaltung genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen wäre, um für das nächste Schuljahr planen zu können. Da immer wieder das Thema „Räume“ aufkam, will die Serviceagentur demnächst auch eine Veranstaltung anbieten, „bei der wir schauen, wie man kreativ Lernräume finden und nutzen kann“, berichtet Sylvia Ruge. Und natürlich sollen die Kooperationswerkstätten in weitere Landkreise getragen werden.
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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